Ein verfrühter Aprilscherz aus dem Jahr 1931
Briefumschlag vom 13. März 1931; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Margaret Littmann und Susan Wolkowicz, den Töchtern von Hilde Gabriel, geb. Salomonis
Die richtige Einordnung eines Dokuments in seinen historischen Kontext kann manchmal von einer klitzekleinen Zusatzinformation abhängen. Das wurde mir erst neulich wieder beim Inventarisieren einer kürzlich gestifteten Familiensammlung bewusst: Die Sammlung der Familien Gabriel/Salomonis mit mehr als 3.000 Dokumenten, Fotografien und Objekten enthält unter anderem eine umfangreiche Korrespondenz mit Hunderten von Briefen, Postkarten und Telegrammen. Beim Sortieren stieß ich auf einen kleinen Briefwechsel aus dem März 1931, bestehend aus vier Briefen: Zwei sind handschriftlich geschrieben und wurden von der damals 72-jährigen Berlinerin Ernestine Stahl (1858–1933) verfasst, die – gut leserlich – mit ihrem Namen unterschrieb. Der Verfasser der beiden anderen, maschinengetippten Briefe war mir hingegen zunächst unklar, nicht zuletzt weil seine Unterschrift fehlte. Ernestine Stahl spricht ihn in ihren Antwortschreiben als »mein Herr« und »sehr geehrter Herr« an.
Lösen konnte ich dieses kleine Rätsel erst mit Hilfe eines Briefumschlags, der an anderer Stelle des Konvoluts auftauchte und sich dem Briefwechsel zuordnen lässt. → weiterlesen
Das restaurierte Begleitschreiben zur Verleihungsurkunde des Roten Adler Ordens IV. Klasse an Emanuel Mendel © Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Wolfgang Schönpflug, Foto: Ulrike Neuwirth
Jedes Jahr kommen zahlreiche neue Objekte in die Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin, die inventarisiert und wissenschaftlich bearbeitet werden. Viele dieser Objekte haben eine lange Geschichte hinter sich, oft sind sie einmal rund um den Erdball gereist. Durch Flucht, Emigration und jahrzehntelange Aufbewahrung sind manche Dokumente in einem so schlechten Zustand, dass sie nicht benutzt werden können, ohne weitere Schäden zu verursachen. Unsere Aufgabe als Papierrestauratoren ist es dann, diese Objekte so zu konservieren und gegebenenfalls zu restaurieren, dass man sie wieder gefahrlos in die Hand nehmen kann. → weiterlesen
Kurz nach Eröffnung der Wechselausstellung »Haut ab!« wurde dem Jüdischen Museum Berlin der Nachlass von Fritz Wachsner (1886-1942) geschenkt. Das darin überlieferte Konvolut von Briefen ist so umfangreich, dass ich bei der Inventarisierung nicht immer genügend Zeit habe, um mich in die einzelnen Schriftstücke zu vertiefen. Bei einem Brief bleibe ich jedoch hängen. »[…] Dein Gutachten über die Frage der Beschneidung […]«, schrieb Wachsner am 24. Juli 1919 an Anselm Schmidt (1875-1925), den Onkel seiner – damals hochschwangeren – Ehefrau Paula. Ich lese mich fest und befinde mich plötzlich inmitten einer innerjüdischen Beschneidungsdebatte, die vor fast einhundert Jahren geführt wurde.
Fritz Wachsner mit seiner Frau Paula und seiner erstgeborenen Tochter Charlotte, Atelieraufnahme, ca. 1916 © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jörg Waßmer, Schenkung von Marianne Meyerhoff
Fritz Wachsner, seinerzeit Lehrer im brandenburgischen Buckow, legt in dem fünfseitigen Brief die Gründe für seine ablehnende Haltung gegenüber der Brit Mila dar. Er war ein assimilierter deutscher Jude und gehörte der Jüdischen Reformgemeinde an. Gegenüber seinem Onkel erklärte der 33-Jährige, dass er »ziemlich orthodox erzogen« worden sei, dann aber im Verlauf seines Studiums an den Universitäten in Berlin und Jena sowie an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums zu Berlin, »den Geist des Judentums frei von allem undeutschen Beiwerk kennen und schätzen« gelernt habe. Er sei dabei zu der Überzeugung gelangt, dass der religiöse Kultus sich ständig weiter entwickeln und »zeitgemäss weiterbilden« müsse. Wachsners Maxime: »Werdet Deutsche, auch im Kultus« bekommt insbesondere dann → weiterlesen