Kunst, Müll und Einwegrealismus

Gespräch mit Andrei Krioukov

Zwei zerquetsche Coladosen, eine mit hebräischer, eine mit arabischer Aufschrift

Künstlerisch bearbeitete Coca-Cola-Dosen
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Andrei Krioukov hat für den Kunstautomaten Coca-Cola-Dosen mit hebräischer und arabischer Aufschrift bearbeitet und zerquetscht. Ich traf ihn und seine Frau Rita in ihrer gemeinsamen Kunstschule in der Immanuelkirchstraße. Dort unterrichtet Andrei internationale Studenten, die sich bei ihm ausbilden und staatlich anerkannt prüfen lassen.

Im persönlichen Gespräch erzählt Andrei von seiner Faszination für das Design der berühmten Dosen und erklärt, was daran Müll und was daran Kunst ist.

Christiane Bauer: Andrei, was fasziniert dich an einer Coca-Cola-Dose?

Andrei Krioukov: Eine Dose ist typisch für unser Leben heute. Überall findet man sie, aber fast niemand bemerkt sie. Für mich ist dabei auch die Diskrepanz zwischen Müll und Kunst spannend: Wenn eine Dose auf der Straße liegt, ist sie einfach nur Müll. Aber wenn ich sie aufhebe und sie genau betrachte und mir überlege, was ich daraus mache, dann wird daraus Kunst.
Ein Künstler aus dem 19. Jahrhundert malte Knoblauch, eine Zwiebel oder einen Krug. Heute ist unser Leben voll mit den Coca-Cola-Dosen.

Der Krug wurde als Alltagsgegenstand in einem Stillleben abgezeichnet. Welche Wertigkeit hat die Dose? Betrachtest du eine Coca-Cola-Dose als Wegwerfartikel oder als modernes Kulturgut?   weiterlesen


Migration neu denken

Denkanstöße von der Fachtagung zu »Migrations- und Integrationspolitik heute«

Der 18. Dezember wurde im Jahr 2000 von der UNO zum Internationalen Tag der Migranten erklärt. Heute, 13 Jahre später, können wir feststellen: Deutschland ist längst eine Migrationsgesellschaft. Die Bevölkerung ist plural, multireligiös und multiethnisch. Migration und Integration sind daher zukunftsweisende Handlungsfelder der Politik und Wissenschaft. Doch wo steht die Migrations- und Integrationspolitik heute? Und welche Rolle spielt die Wissenschaft dabei? Welche Konzepte sind überholt und welche neuen Perspektiven notwendig?

Ein gefüllter Saal mit fünf Diskutierenden auf dem Podium

Podiumsdiskussion im Saal der Akademie des Jüdischen Museums Berlin
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Ernst Fesseler

Am 22. November 2013 diskutierten ausgewiesene Expertinnen und Experten der Migrationsforschung diese Fragen intensiv und kontrovers in einer gemeinsamen Fachtagung der neuen Akademieprogramme »Migration und Diversität« des Jüdischen Museums Berlin und des Rats für Migration. In einer anschließenden öffentlichen Podiumsdiskussion traf Wissenschaft dann auf Politik: Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger debattierten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem über die vorläufigen migrationspolitischen Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen.

Von der ›Integration‹ zur ›postmigrantischen Gesellschaft‹?  weiterlesen


Israelische Popkultur in der hessischen Provinz

Ich reagiere schon mit Kopfschütteln, wenn deutsche Freunde aus dem hessischen Darmstadt in die umliegende Provinz ziehen. Umso absurder und wagemutiger erscheint die Entscheidung einer israelischen Familie, ihren Wohnsitz von Tel Aviv nicht etwa wie viele Israelis nach Berlin zu verlegen (vgl. den Blogtext »Von Israelis für Israelis. Zehn Regeln für Berlin« auf Spree-Aviv.de), sondern ins hessische Niederbrechen zu ziehen. Genau dies aber ist die Ausgangssituation von Sarah Diehls Debütroman Eskimo Limon 9. Sie erlaubt es ihr, einen »Culture-Clash der besonderen Art« darzustellen, wie es im Klappentext heißt.

Buchcover des Romans Eskimo Limon 9, auf dem ein Wald vor einem schwarzen Nachthimmel mit Sternen zu sehen ist

Buchcover
© Atrium Verlag

Da sind auf der einen Seite die israelischen Figuren. Die sind alles andere als versessen auf Gespräche über die deutsche Vergangenheit oder die Geschichte der europäischen Jüdinnen und Juden.

»Das Einzige, was mich im Jüdischen Museum an meine Lebenswelt erinnern wird, werden wahrscheinlich die Metalldetektoren sein, durch die man am Eingang gehen muss.«

Dem israelischen Familienvater Chen wäre es lieber, die Deutschen »würden uns mit Eskimo Limon in Verbindung bringen als mit sechs Millionen Toten.« Der Romantitel bezieht sich also auf die gleichnamige Filmserie, die hierzulande in den achtziger Jahren unter dem Titel Eis am Stiel lief, »eines der wenigen Ereignisse der israelischen Popkultur […], die einem deutschen Publikum bekannt wurden«. Allerdings dachten viele, die Filme kämen aus Italien, was zeigt – so die Autorin im Nachwort –, wie selektiv nichtjüdische Deutsche Israel wahrnehmen und wie beschränkt ihre Vorstellung von Jüdischkeit häufig ist.

Auf der anderen Seite stehen die Eingeborenen Niederbrechens.  weiterlesen

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