Enkelinnen

oder: »Sein, wer ich bin«

»In der Nacht, bevor ich nach Deutschland zu Mosha, meinem Großvater, fliege, lerne ich jemanden kennen, nehme ihn mit zu mir und schlafe zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Mann.«

Buchcover, auf dem sich diverse Ortsnamen und Kartenausschnitte überlagern

© weissbooks.w
Frankfurt am Main

Mit diesem Satz beginnt das erste Kapitel des 2010 erschienenen Romans Sag es mir von Vanessa F. Fogel. Die Autorin ist 1981 in Frankfurt am Main geboren und in Israel aufgewachsen. Sie stellt die Ich-Erzählerin ihres autobiographischen Romans gleich als Enkelin und als selbstbewusste junge Frau vor, die trotz der bevorstehenden Reise zu den Orten der Vernichtung – von Berlin geht es dann mit dem Opa nach Polen – den Freuden und der Vitalität des Lebens zugewandt ist.

Nun hat der Frankfurter weissbooks-Verlag erneut eine jüdische Stimme der ›dritten Generation‹ ins Programm genommen. Die ebenfalls 1981 in Frankfurt am Main geborene – und anders als Fogel auch dort lebende – Juristin Channah Trezbiner hat ihr Buch Die Enkelin genannt. Es handelt sich hierbei nicht um einen Roman, sondern um »eine Art inneren Monolog«. Auch dieser beginnt selbstbewusst: »Ich akzeptiere die, die ich bin.« Sogleich macht die Autorin dann allerdings auf den schwierigen Prozess aufmerksam, der dieser Behauptung zugrunde liegt:

»Ich habe die Verbindung zu meinem innersten Ich jahrelang gekappt […], [um] Ersatz für ermordetes Leben zu sein. […] Wie hätte ich anders gekonnt. Ich heiße Channah, so wie die jüngste Schwester meiner Oma […].«  weiterlesen


Kunst zum Mitnehmen

Ein grauer, leicht rostiger, alter Warenautomat

So sah der Automat anfangs aus.
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Gelia Eisert

Normalerweise ist ein Museum ein Ort, an dem man Kunst aus einem gesicherten Abstand betrachtet. Das wird mit dem »Kunstautomaten«, den wir heute in unserer Dauerausstellung aufstellen, anders: Durch den Einwurf von 4 Euro können Sie nun Kunst aus dem Museum mit nach Hause nehmen!
Wenn Sie sich unter einem »Kunstautomaten« ein High-Tech-Gerät vorstellen, das Kunst produziert, die man sich wie bei einem Getränkeautomaten aus einem Sortiment ziehen kann, liegen Sie allerdings falsch. Unser Kunstautomat beherbergt viele kleine Kunstwerke, die von Künstlern extra dafür hergestellt wurden.

Weil so ein Apparat nicht handelsüblich ist, ersteigerte ich im Internet einen alten Warenautomaten aus den 1970er Jahren. Er befand sich in einem Sportcenter in Rheinland-Pfalz und musste von dort antransportiert werden.

Ein weiß lackierter Warenautomat mit der Aufschrift »Kunst / Art«, mit pinken Bändern an eine Wand mit der Aufschrift »Schteh-Café« gebunden

So sollte der Automat nach der Umgestaltung aussehen.
© Entwurf: Hanno Dannenfeldt

Im Anschluss erarbeitete der Graphiker Hanno Dannenfeldt ein Gestaltungskonzept, denn der Automat sollte nicht nur ›Hülle‹ für die Kunstwerke in den kleinen Fächern sein, sondern zugleich selbst ein Ausstellungsobjekt. Der Entwurf »Hanging« kleidete den Automaten in schlichtes, deckendes Weiß mit prägnanter schwarzer Aufschrift. Mit pinken Slacklines wird er an die Wand geschnürt.

Die nächsten Arbeitsschritte stellten mich als Museumsmitarbeiterin vor ungewöhnliche Fragen:  weiterlesen


Veröffentlicht von am 3. Januar 2013

Was war das Ereignis des Jahres 2012 für dich?

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jüdischen Museums Berlin geben Antwort.

Zeichnung des Logos der Paralymipcs»Mein öffentliches Ereignis des Jahres war der Doppelevent Olympiade und Paralympics in London. (Geschenkt: schwarzgeränderte Quadrataugen am nächsten Morgen.) Von den Paralympics hat man ungleich mehr Bilder als je zuvor gesehen: besonders die Fotos sprintender Menschen mit künstlichen Säbelbeinen haben für mich Symbolkraft: Grenzen überfliegen!«
Ines Rösler, Sammlungsdokumentation
(Anm. d. Red.: Unser Blogbeitrag vom 31. August 2012 widmete sich Ludwig Guttmann, Vater der Paralympics.)

»Für mich war die Diskussion um die Adorno-Preisverleihung an Judith Butler das Ereignis des Jahres, weil mich die sprachliche Kluft zwischen der Argumentationsweise Butlers und dem umgangssprachlichen Stil derer, die ihre Preiswürdigkeit in Frage stellten, nachhaltig erschreckt hat. So manches Essen mit Freunden drohte in jenen Spätsommerwochen zu einem hitzigen Diskussionsabend mit dem Charme einer Asta-Vollversammlung zu werden.«
Mirjam Wenzel, Medien
(Anm. d. Red: Vier Tage nach der Adorno-Preisverleihung, am 15. September 2012, fand im Jüdischen Museum Berlin eine seit Langem geplante Diskussionsveranstaltung mit Zeichnung der Karfreitagsprozession in PerpignanJudith Butler und Micha Brumlik unter dem Titel »Gehört der Zionismus zum Judentum?« statt.)

»Mein Ereignis 2012: Die Karfreitagsprozession in Perpignan mit ihren Glocken und Trommeln.«
Johannes Rinke, Besucherservice

Der Gregorianische Kalender, demzufolge wir nun das Jahr 2013 zählen, beginnt mit der circumcisio domini, dem Tag, an dem Jesus beschnitten wurde. Der Akt der Beschneidung selbst stand im vergangenen Jahr im Zentrum einer Debatte, in der zugleich auch die Beziehungen zwischen nicht-jüdischen Deutschen, deutschen Juden sowie Moslems und Juden in Deutschland verhandelt wurden. Für die Online-Redaktion des Jüdischen Museums Berlin stellt die so genannte Beschneidungsdebatte deshalb das Ereignis des Jahres 2012 dar.

»Ein Ereignis des Jahres 2012 ist auch 2013 noch überall im Stadtbild sichtbar: die Schlecker-Pleite. Leere Geschäftsflächen an jeder Ecke, wie ein Versprechen für mehr Lebensqualität im Kiez. Und dann kommt meist doch nur der nächste Einbauküchen-Laden.«
Martina Lüdicke, Ausstellungen