Geboren 1918, zwei Minuten entfernt von der elterlichen Parfümerie am Kurfürsten­damm

Fritz Scherk und die Geschichte eines Berliner Familien­unternehmens

Ein Junge sitzt nackt und etwas aufgebracht am Tisch; das Wohnzimmer ist mit einer Blumentapete tapeziert.

Fritz Scherk an seinem zweiten Geburtstag, Berlin 26. Mai 1920; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2009/282/7, Schenkung von Irene Alice Scherk, Foto: Jens Ziehe

An einem reich bestückten Geburtstags­tisch sitzt ein quietsch­vergnügter Nackedei, der offenbar gerade den Spaß seines Lebens hat. So ein Foto könnte auch heute entstanden sein, dachte ich, als ich in dem Tagebuch, das Ludwig und Alice Scherk für ihren Sohn Fritz geschrieben hatten, dies Bild sah. Nichts dergleichen: das fröhliche Kind wäre heute 100 geworden.

1918 war kein Jahr­gang für ein ruhiges Leben, schon gar nicht für ein Mitglied einer deutsch-jüdischen Familie. Eigentlich war das zweite Kind der Familie schon 1916 geplant, drei Jahre nach Geburt des ersten Sohnes, aber der Kriegs­ausbruch kam dazwischen. Am 26.05.1918 war es aber dennoch so weit: Fritz erblickte neben dem Bechstein-Flügel der Mutter das Licht der Welt – bei kriegsbedingter Kerzen­beleuchtung, nur zwei Minuten entfernt vom elterlichen Geschäft, der Parfümerie Scherk am Kurfürstendamm. Hier übernahm, während der Vater in Kriegsdienst stand, die Mutter den Verkauf und, wie sie stolz festhielt, zeitweise sogar die Produktion – keine Selbst­verständlichkeit für eine ausgebildete Sängerin. In die damals dreizehnjährige Nichte des Besitzers der Kosmetikfirma Dr. Albersheim in Frankfurt ( „So duftet nichts, was auf der Erde wächst!”) hatte sich 1901 Ludwig Scherk als junger Angestellter verliebt. 1906 ging er nach Berlin, zunächst als Vertreter Albersheims, aber bald gelang es dem klugen Geschäfts­mann, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Dem Schritt in die Selbst­ständigkeit folgte 1911 die Heirat, 1913 das erste Kind.

Schwarz-weiß Foto eines Gebäudes mit leuchtenden Vitrinen und dem leuchtendem Schriftzug Scherk am Kurfürstendamm bei Nacht.

Parfümerie und Leder­waren Scherk am Kurfürsten­damm bei Nacht, Berlin ca. 1930; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2009/335/4/001, Schenkung von Irene Alice Scherk

Alice und Ludwig Scherk waren Menschen, die ihr Leben bewusst gestalteten. Ludwig führte die Firma streng nach dem Motto „Nie Banken – nie Börse – nie Eitel­keiten!” Er nahm nie Kredite auf, sondern investierte immer nur den Über­schuss, beschränkte sich auf wenige, hoch­qualitative Produkte. Diese wurden in höchst ästhetischen Verpackungen verkauft, für deren gelungene Auswahl Alices künstlerische Begabung garantierte. Ihre Hand ist auch in den Neu­bauten zu sehen, die Ende der 1920er Jahre entstanden: das von Fritz Höger entworfene Backstein­gebäude der Fabrik in der Steglitzer Kelchstraße, das heute noch steht, die Um­gestaltung des Geschäfts am Kurfürsten­damm durch Otto Salvisberg und nicht zuletzt die von Ernst Freud entworfene Villa, in die die Familie 1931 zog.

Schwarz-weiß Foto der Innenansicht eines Geschäftes mit ausgeleuchtete Vitrinen.

Innen­ansicht des von Otto Salvisberg umgestalteten Geschäfts am Kurfürstendamm, Berlin 1928–1938; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2009/235/2/001, Schenkung von Irene Alice Scherk

Ebenso bewusst betrieben die Eltern auch die Erziehung ihrer Kinder. Musik, Sport, Reisen und aufwändig inszenierte Feste, darunter die Geburtstags­feiern der Kinder, werden in den Tage­büchern geschildert. Auch der schulische Fort­schritt und die moralische Ent­wicklung sind wichtige Themen. Von Beginn an war klar, dass die Söhne die Firma übernehmen sollten. Dass der unternehmungs­lustige Fritz, der das musikalische Talent seiner Mutter geerbt hatte, wenig Lust zeigte, die ihm vor­gezeichnete Lauf­bahn zu beschreiten, änderte nichts an den Plänen seiner Eltern. So notierte Alice:

„Wenn nicht politische Katastrophen es zerstören, so werdet Ihr ein wundervolles Weiterarbeiten u. Weiter­bauen als Lebens­aufgabe haben. Du meintest zwar neulich bei Tisch: ‚Ich möchte nicht Chef sein, ich weiss nicht – ich möchte nicht, dass einer mir gehorchen muss‘ – Dies drückt sehr gut Dein Wesen aus, aber Ihr werdet es hoffentlich so verstehen wie Vati, dass alle ihm gern gehorchen, gerne folgen, gerne mitarbeiten und jeder wie Ihr selbst ein Teil des Ganzen ist.”

Die politischen Katastrophen kamen jedoch. Schon 1923, mitten in der Welt­wirtschaftskrise, und unter dem Eindruck von Auf­tritten Ludendorffs und Hitlers hatten Scherks bereits Pässe für die Aus­wanderung nach Prag besorgt. Die in New York und andernorts eröffneten Filialen boten auch im Ausland eine Geschäfts­grundlage, aber, wie Alice schrieb, „man hängt ja mit jeder Faser an diesem deutschen Boden”. Dann kam das Jahr 1933. Schon kurz nach dem Macht­wechsel erhielt Ludwig Scherk Verkaufs­angebote, doch zunächst versuchte er, die Firma zu halten. Alice nahm sich 1934 das Leben.

Schwarz-weißes Foto eines Mannes im Profil, mit einem Buch in der Hand, auf einem Sofa sitzend.

Ludwig Scherk, Berlin 1922; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2009/282/15, Schenkung von Irene Alice Scherk, Foto: Jens Ziehe

Wie sein Bruder Walter ging auch Fritz auf väterlichen Wunsch nach Frankreich, um seine Aus­bildung zu vervollständigen. 1938 sah sich Ludwig Scherk schließlich gezwungen, die Firma an die Schering AG zu verkaufen. Während der Vater nach London emigrierte, blieb Fritz in Frankreich und trat dort nach Kriegs­ausbruch der Fremdenlegion bei. Fotos aus dieser Zeit zeigen ihn, obwohl er später die Härte dieser Jahre betonte, in derselben unverwüstlichen Fröhlichkeit, gerne mit Geige oder Akkordeon. „Nun kam der Krieg, und eignes Streben veränderte des Fritzens Leben”, dichtete er humorvoll in späteren Jahren. Was dem Vater der Zusammen­bruch seines Lebens­werkes war, scheint für Fritz auch die Befreiung vom aufgezwungenen Erbe bedeutet zu haben. Doch schon bald nach Kriegsende holte es ihn wieder ein. Ludwig Scherk starb unerwartet 1946, schon in den Vorbereitungen seiner Rück­kehr nach Deutschland, und Fritz, mittlerweile in Haifa, stellte 1949 einen Restitutions­antrag. Nach langwierigen Verfahren konnte er die väterliche Firma zum Kaufpreis von 1938 zurück­erwerben und kehrte auf eindringliches Bitten der früheren Beleg­schaft nach Berlin zurück, wo er den Wieder­aufbau der stark beschädigten Fabrik begann.

Eine Frau liegt in weißem Kleid mit Kurzhaarschnitt auf einer Wiese.

Alice Scherk auf einer Wiese, Berlin ca. 1931–1934; Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2009/230/6/002, Schenkung von Irene Alice Scherk

Schon unter Ludwig Scherk hatte ein gutes Betriebs­klima geherrscht – Fritz sorgte mit Inbrunst für einen geradezu familiären Zusammen­halt. Die Scherk’schen Firmen­feste waren Legende und zu Nikolaus verteilte der Chef handverlesene und zum Teil selbst­gefertigte Geschenke. Parallel gründete er mit seiner Frau Ruth, ebenfalls einer gebürtigen Berlinerin, einen der ersten Montessori-Kinder­gärten in Berlin.

In den 1960er Jahren geriet die Firma zunehmend in wirtschaftliche Bedrängnis. 1969 verkaufte Fritz Scherk die Firma. Die Produktion wurde nach Braun­schweig verlegt. Das Fabrik­gebäude erwarb die Freie Universität Berlin. Von unterschiedlichen Firmen vermarktet, lebten die Scherk-Produkte noch fast zwei Jahr­zehnte weiter fort. Fritz Scherk wendete sich endlich wieder seinen eigenen Interessen zu, studierte Psychologie und arbeitete als Berater. 1995 starb er während eines Familien­besuches in Jerusalem.

Iris Blochel-Dittrich, Sammlungsdokumentation

Drei schwarz-weiß-Fotos, zwei zeigen Gebäude und eins zeigt einen mittelalten Mann an einem Schreibtisch sitzend.

Scherk in der neuen Fabrik: Zwei Fotos vom Wiederaufbau und ein Porträt von Fritz Scherk (1918–1995), Berlin ca. 1951; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Irene Alice Scherk, Foto: Jens Ziehe

Zitierempfehlung:

Iris Blochel-Dittrich (2018), Geboren 1918, zwei Minuten entfernt von der elterlichen Parfümerie am Kurfürsten­damm. Fritz Scherk und die Geschichte eines Berliner Familien­unternehmens.
URL: www.jmberlin.de/node/9515

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