»Berlin ist ein schwieriger aber bedeutungsvoller Boden«, schrieb Sigmund Freud am 24.8.1908 an Karl Abraham. Sigmund Freud wäre »fast« Berliner geworden. Er war häufig zu Gast in Berlin - hier wirkten in den 20er Jahren seine kreativsten Mitarbeiter. In Berlin schlug die Psychoanalyse mit der Gründung des Berliner Psychoanalytischen Instituts Wurzeln und hatte Ende der 20er Jahre ihre Blütezeit. 1933 wurde die Trägerin des Instituts, die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft, »arisiert«; 1936 folgte der Zusammenschluss mit anderen psychotherapeutisch arbeitenden Gruppen (Jung, Adler u.a.). Unter dem Dach des neu gegründeten »Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie« sollte nun die Psychoanalyse eine Nische im NS-Staat finden - das misslang. Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft mußte sich 1938 auflösen.
Die Psychoanalytikerin Regine Lockot erzählt diese wechselvolle Geschichte auf einer Busrundfahrt zu den historischen Orten des Geschehens.
Mit dem Erlös dieser Führungen werden Gedenktafeln für Hanns Sachs (am 20.8.2006) und Sándor Radó (am 27.8.2006) finanziert und bei dieser Gelegenheit enthüllt.
Hanns Sachs (10.1.1881 Wien – 10.1.1947 Boston), ursprünglich Wiener Hof- und Gerichtsadvokat, fand einen Zugang zur Psychoanalyse über sein Interesse an Literatur Psychologie und Psychiatrie. Er gehörte dem engsten Kreis um Sigmund Freud, dem »Geheimen Komitee«, an und gründete, zusammen mit Otto Rank, die Zeitschrift Imago (1913). Hier wurden psychoanalytische Beiträge veröffentlicht, die sich mit Kunst, Musik, Literatur und Kultur befassten. Sachs wurde als erster »Lehranalytiker« 1918 nach Berlin geholt. Zusammen mit Karl Abraham setzte er sich für die Verwirklichung des ersten Kinofilms zur Psychoanalyse ein (»Geheimnisse einer Seele« von E.W. Papst) und befand sich damit im Widerspruch zu Freud. Er emigrierte bereits 1932 nach Boston und gründete im amerikanischen Exil die »American Imago«. Die Bibliothek des Bostoner Psychoanalytischen Instituts trägt seinen Namen.
Sándor Radó (8.1.1890 Kisvarda, Ungarn - 14.5.1972 New York) galt als »sehr vielseitig begabt und geeignet«, aber er bedurfte eines Widerparts »zum Ausbalancieren einiger Züge: seine große Intelligenz hat manchmal etwas von Überschärfe an sich, und trotz sehr konzilianten Wesens ist er nicht frei von Strenge, die einseitig ist«. So beurteilte ihn Max Eitingon (an Freud, 14.10.1924). Radó musste seine Heimat Ungarn verlassen, da er als Mitgestalter der Räterepublik und Jude nach der Machtübernahme durch Horthy gefährdet war. Am Berliner Psychoanalytischen Institut war er ein einflussreicher Lehrer und Organisator: er übernahm Karl Abrahams Seminare und war die »rechte Hand« Max Eitingons. Sigmund Freud vertraute ihm die Herausgabe der zentralsten psychoanalytischen Publikationsorgane an. Im New Yorker Exil fehlte es ihm an einem gleichwertigen »Widerpart«. Er wandte sich von Freuds Libidotheorie ab und vertrat eine Ich-Psychologie, mit starker naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Polarisierend und diktatorisch kämpfte er gegen psychoanalytische Dogmen. Daraus entstanden weitere psychoanalytische Ausbildungs- und Forschungszentren.
Wann: 20. und 27. August 2006 von 11-14 Uhr
Start: Jüdisches Museum Berlin
Eintritt: 25 Euro
Das Ticket gilt auch für die Sonderausstellung »PSYCHOanalyse. Sigmund Freud zum 150. Geburtstag«.
Anmeldung: Bis 10 Tage im Voraus
per Fax unter +49 (0)30 25993-498
oder j.grossmann@jmberlin.de.