Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 19. SEPTEMBER 1933
21. SEPTEMBER 1933 >

Mittwoch,
20. September 1933

Neujahrsgrüße von Salo Horn an seine Mutter

Im Jahre 1933 begann das jüdische Neujahrsfest, Rosch ha-Schana, am Abend des 20. September. Acht Monate nationalsozialistischer Herrschaft lagen zurück, unter der Juden entrechtet und ausgegrenzt, verfolgt und vertrieben, verhaftet und ermordet wurden. Individuell wie kollektiv blickte die jüdische Bevölkerung in Deutschland mit größter Sorge und Ungewissheit auf das neue Jahr, das Jahr 5694 nach der jüdischen Zeitrechnung.

Der Ernst der Lage kommt auch in den liebevollen Neujahrsgrüßen zum Ausdruck, die der siebenjährige Salomon Horn an seine Mutter schrieb. Schon in den Jahren zuvor hatte die Familie schwierige Zeiten durchlebt: Sara Horn trennte sich 1929 von ihrem Ehemann und zog mit den drei Kindern von Saarbrücken nach Frankfurt am Main. Hier wohnten Salo und sein drei Jahre älterer Bruder Bernhard im jüdischen Kinderheim der Flersheim-Sichel-Stiftung, während die Mutter mit einem Herrenbekleidungsgeschäft in der Frankfurter Altstadt den Lebensunterhalt für die Familie verdiente. Um sie machte sich Salo viele Sorgen und versprach ihr, im kommenden Jahr »fleißiger und artiger« zu werden. Für sich und die Familie hoffte er auch auf göttlichem Beistand. Er verzierte den Brief mit einem Davidstern, einer Tora-Rolle sowie einem Schofar, einem Widderhorn, das während des Gottesdienstes zu Neujahr in der Synagoge geblasen wird.

Fünf Jahre später, am 28. Oktober 1938, wurden Sara Horn und ihre drei Kinder Rachel, Bernhard und Salomon aus Deutschland nach Polen deportiert. Die sogenannte »Polenaktion« betraf rund 17.000 Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit, die innerhalb weniger Tage abgeschoben wurden. An der Grenze in Oberschlesien musste die Familie Horn stundenlang in einem Eisenbahntunnel warten, bis ihnen plötzlich zusammen mit einer größeren Zahl weiterer Menschen mitgeteilt wurde, dass sie »durch die Gnade des Führers« nach Hause zurückkehren dürften. Wenige Tage später wurde während der Novemberpogrome das Geschäft von Sara Horn in Frankfurt geplündert und zerstört.

Im April 1939 erhielt die Familie endlich – vier Jahre, nach dem sie den Antrag gestellt hatte – Visa für die USA. Vom französischen Le Havre aus traten Sara Horn und ihre drei Kinder die Reise nach Amerika an.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Auswanderung | Frankfurt am Main | Kindheit | Religiöses Leben
Neujahrsgrüße von Salo Horn an seine Mutter Sara, Frankfurt am Main, 1. Tischri 5694 (20./21. September 1933)
Schenkung von Rose Beal, geb. Horn

In Amerika

Salomon Horn (1925–2007) trat mit 18 Jahren in die US-Armee ein und kämpfte bis zum Kriegsende im Pazifik. Anschließend studierte er Psychologie in Los Angeles und arbeitete als Gutachter für die staatliche Verwaltung. Von 1957 bis 1980 war er als Schullehrer tätig. Im Ruhestand belegte er Kurse in verschiedenen Fächern an der Universität in San José, Kalifornien, und unterrichtete ab 1996 dann auch selbst. Sein Fach: Standardtänze.

Sara Horn mit ihren Kindern Rachel, Salomon und Bernhard, 1930er Jahre
Privatbesitz Bruce Horn 
IMPRESSUM