Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Mittwoch,
8. November 1933

Brief von Heinz Fischel an Professor Ismar Elbogen

Wenige Tage vor seinem 20. Geburtstag schrieb der in Bonn lebende Heinz Fischel (1913–2008) diesen Brief an Ismar Elbogen (1874–1943), Professor für jüdische Geschichte an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Wie alle jungen deutschen Juden stand Heinz Fischel im Jahre 1933 vor einer mehr als ungewissen Zukunft. Im Frühling hatte er sein Abitur gemacht und anschließend ein Jurastudium an der Universität Bonn aufgenommen, »eine materiell bedingte Notlösung«, wie er im Brief betonte. Seine eigentliche Neigung sei es, ein geisteswissenschaftliches Fach zu studieren, und »da inzwischen ein juristischer Beruf illusorisch geworden ist«, wende er sich auf Anraten des Bonner Rabbiners Alfred Levy an Ismar Elbogen.

Heinz Fischel war sich seiner Begabungen und Defizite bewusst. Auch wenn er seiner Ansicht nach nicht über ausreichende Hebräischkenntnisse verfügte, sah er sich für die Aufnahme eines theologischen oder verwandten Studiums geeignet und glaubte, »Fähigkeiten zur praktischen Seelsorge« zu besitzen. Von Professor Elbogen hoffte er, Auskunft über die Möglichkeiten eines Rabbiner- oder Lehrerstudiums zu erhalten.

Das Antwortschreiben aus Berlin besitzen wir nicht. Dass es aber von positiver Natur gewesen sein muss, verdeutlicht die Biografie von Heinz Fischel. Zunächst blieb er an der Universität Bonn, wo er zur Philosophischen Fakultät wechselte, gleichzeitig widmete er sich mit einem privaten Tutor dem Studium der jüdischen Theologie. 1935 wurde er an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums aufgenommen, wo er unter anderen bei Ismar Elbogen studierte.

Im Rahmen des Novemberpogroms 1938 wurde Fischel im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Dank eines Stipendiums für Schottland kam er Ende Januar 1939 frei, blieb aber noch einige Monate in Berlin, wo er zum Rabbiner ordiniert wurde.

Die Übersiedlung nach Schottland ermöglichte ihm die rettende Flucht aus Deutschland. Doch der Beginn des Krieges änderte seinen Status. Nach nur neun Monaten in Edinburgh wurde Heinz Fischel als »enemy alien« (etwa: feindlicher Ausländer) nach Kanada verschifft und blieb zwei Jahre lang in einem Lager in Sherbrooke, Quebec interniert.

Nach seiner Entlassung amtierte er als Rabbiner in St. Catherines, Ontario. 1945 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Alabama. Es folgten Stellen in Pittsburgh, Brandeis und schließlich 1961 an der Universität von Indiana in Bloomington. Hier baute er das Jewish Studies Program auf und unterrichte mehr als drei Jahrzehnte lang als Professor für Semitistik (Near Eastern languages). Im März 2008, fast 75 Jahren nach der Niederschrift seines schicksalsträchtigen Briefes an Ismar Elbogen, starb Professor Henry Fischel im hohen Alter von 94 Jahren.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Religiöses Leben | Studenten | Wissenschaftler
Brief von Heinz Fischel an Professor Ismar Elbogen, Bonn, 8. November 1933
Leo Baeck Institute, Ismar Elbogen Collection, AR 64
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