14. Mai 1924 – 28. Januar 2018
Das Jüdische Museum Berlin trauert um Coco Schumann. Der Gitarrist und Jazzmusiker verstarb am vergangenen Sonntag im Alter von 93 Jahren. Durch zahlreiche musikalische Auftritte im Programm des Kultursommers und als Zeitzeuge war Coco Schumann dem Jüdischen Museum Berlin seit seiner Gründung verbunden. Coco Schumanns Lebensgeschichte war lange im Rafael Roth Learning Center des Musuems nachzuvollziehen. Sie brachte die Besucher*innen mit einer durch nationalsozialistische Repressionen beschnittenen Kindheit in Berührung – und einer musikalischen Hingabe, die dem jugendlichen Schumann in den von den Nazis verfemten Jazzlokalen Berlins Momente der Selbstbehauptung einräumte, schließlich zur Lebensretterin in den Lagern Theresienstadt und Auschwitz wurde.
Im Mai 1924 wird Heinz Jakob Schumann als Sohn einer Mutter jüdischer und eines Vaters christlicher Herkunft geboren. Den Namen Coco erhält er erst später durch eine französische Freundin, die mit dem heinz‘schen H nicht viel anfangen kann. Zu den prägenden Einflüssen seiner frühen Jahre gehören das liberale Judentum, aber auch christliche Traditionen: »Der Weihnachtsbaum stand neben dem Chanukka-Leuchter, Ostern wurde bei den Eltern meines Vaters gefeiert und Pessach bei denen meiner Mutter. Die Familie machte keine großen Unterschiede, was ich schon damals ideal fand.«
Mit der Einführung der NS-Rassegesetze 1935 wird Heinz Schumann als »Geltungsjude« eingestuft. Er muss die öffentliche Schule verlassen, eine jüdische Schule besuchen, die Mutter ihren Friseursalon schließen.
Die Nacht und die Musik bieten Welten fernab der feindseligen Realität. Durch seinen Onkel Arthur Rothholz, der mit seiner »Zigeunerband« im Berliner Prater am Schlagzeug auftritt, entdeckt Heinz Schumann seine Faszination für den Jazz. Der Sound der Zeit gilt den Nazis als »artfremdes Übel«. Verboten wird er zunächst nicht: Zur Olympiade 1936 soll die Hauptstadt international wirken. Heinz Schumann nimmt erste Gitarrenstunden bei seinem Deutschlehrer. Virtuos wird er als Autodidakt.
Ab 1939 arbeitet Heinz Schumann zwangsverpflichtet auf dem Bau. Trotz des harten Tagwerks treibt es ihn nachts in die Bars. Zu Silvester 1939/40 hat er seinen ersten bezahlten Auftritt als Schlagzeuger in der Hasenschaukel in Charlottenburg. Nun kommt ein Künstlername gelegen, wird Heinz zu Coco. Schon bald verdient er gut an seiner Musik. In der Rosita Bar in Schöneberg spielt er mit dem Orchester des stadtbekannten Frauenschwarms »Tullio Mobiglia«. Mit dem Erfolg werden Coco Schumanns Auftritte immer gefährlicher. Als »Geltungsjude« ist er nicht Mitglied der Reichskulturkammer, darf nicht öffentlich spielen. Schon gar nicht die inzwischen verbotene englische und amerikanische »Feindmusik«. Coco Schumann riskiert in den Lokalen, den »Stern« in die Tasche zu stecken.
Im März 1943 wird Coco Schumann denunziert und in das Ghetto Theresienstadt eingewiesen. Er tritt der von dem tschechischen Trompeter Erich Vogel in Theresienstadt gegründeten Jazzband »Ghetto-Swingers« bei. Die Musik schützt Coco zunächst vor der Deportation in ein Vernichtungslager. Kulturelle Aktivität ist von der nationalsozialistischen Ghettoverwaltung erwünscht. Der schöne Schein Theresienstadts mit einem »normalem« Kulturleben soll aufrecht erhalten werden.
Am 28. September 1944 wird Coco Schumann nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Auf Instrumenten kurz zuvor ermordeter Sinti und Roma müssen Coco Schumann und andere Mitglieder der »Ghetto-Swingers« für SS-Wachleute musizieren. Der Befehl zu spielen erfolgt, wenn die Wachleute Inhaftierte ins Lager einweisen, wenn sie Feierabend haben, wenn sie Inhaftierte in die Gaskammern treiben
Bei Herannahen der sowjetischen Truppen wird Coco Schumann von Auschwitz in ein Nebenlager des Konzentrationslagers Dachau deportiert. Das Lager wird im April 1945 aufgelöst. Die Inhaftierten werden auf einen Todesmarsch in Richtung Starnberger See geschickt. Schwerkrank wird Coco Schumann von amerikanischen Soldaten befreit.
Bald nach Kriegsende kehrt der Swing nach Deutschland zurück. Coco Schumann ist von Anfang an dabei, steht mit Helmut Zacharias und mit seiner »Coco Schumann Combo« auf der Bühne und nimmt erste Schallplatten auf. Als erster Musiker Deutschlands spielt er auf einer elektrisch verstärkten Gitarre. Dem politischen Klima im Land traut er nicht.
1950 wandert Coco Schumann mit seiner Familie nach Australien aus. Vier Jahre später kommt er zurück und spielt in Tanz-, Radio- und Fernsehbands. In den 60er und 70er Jahren flaut die Jazz-Begeisterung in den Bars und Tanzsälen ab. Coco Schumann beginnt, sich als Unterhaltungskünstler zu verdingen, fährt als Schiffsmusiker über die Weltmeere, wirkt in einem Heinz-Erhardt-Film mit. Irgendwann beschließt er, sich wieder voll und ganz dem Jazz zuzuwenden. Er gründet das »Coco Schumann Quartett«, mit dem er noch bis vor Kurzem auftrat. »Die Richtung war klar: back to the roots, in die Welt zurück, in der meine Seele zuhause ist, in den Swing. In diese geheimnisvollen und einfachen Schwingungen, die die Musiker zusammenführen und den Funken aufs Publikum überspringen lassen, die jeden, der fühlt, zu einem Teil des Ganzen machen, egal, wer er ist oder woher er kommt.«