Rehearsing the Spectacle of Spectres
Ein Film von Nir Evron und Omer Krieger
In Trauer und Verbundenheit mit Kibbuz Be’eri
Anlässlich der Terrorakte der Hamas in Israel zeigte das Jüdische Museum Berlin vom 21. Oktober bis 10. Dezember 2023 die Videoarbeit בחזרה על מחזה החזיונות (Rehearsing the Spectacle of Spectres/Bei der Probe zum Drama seiner Visionen) der in Berlin lebenden israelischen Künstler Nir Evron und Omer Krieger.
Im Zentrum des 2014 entstandenen Werks steht der Kibbuz Be’eri – eine der am schwersten von den Attacken des 7. Oktobers betroffenen israelischen Gemeinschaften an der Grenze zu Gaza.
Ausstellung bereits beendet
Wo
Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
Das Wort Kibbuz bedeutet auf Hebräisch „Zusammenkunft“. Der Gedanke des Kollektiven prägt das Leben des 1946 gegründeten Kibbuz Be’eri bis in die Gegenwart. In statischen und fahrenden Kameraaufnahmen von Außen- und Innenräumen des Kibbuz lenken Evron und Krieger den Blick auf öffentliche Versammlungsstätten, die dem Kollektiven einen Raum geben. Diese filmischen Sequenzen wechseln sich mit Porträtaufnahmen von Bewohner*innen des Kibbuz ab, die das Gedicht Rehearsing the Spectacle of Spectres von Anadad Eldan (geb. 1924) rezitieren. Als „Kibbuz-Dichter“ schreibt Eldan Gedichte für die Zeremonien der Gemeinschaft, zudem hat er zahlreiche Bände mit lyrischer Dichtung veröffentlicht. Er ist für seinen alliterativen Stil, seine moderne Ausdrucksweise in biblischem Hebräisch bekannt. Die Mitglieder des Kibbuz Be’eri sind in Einzelaufnahmen und Mehrfachüberblendungen zu sehen, bisweilen setzt sich ihr Vortrag allein auf der Tonspur fort. Die Gedichtzeilen und die filmische Umsetzung sprechen die Wehmut an, die sich angesichts der zwar angestrebten, im Miteinander jedoch schwer zu erreichenden Harmonie zwischen Individuum und Gemeinschaft einstellt.
Das Video beginnt und endet mit Luftaufnahmen der geografischen Einbettung des Kibbuz, in dessen Nachbarschaft Gaza liegt. In dieser von politischen Spannungen geprägten Region haben sich zahlreiche Friedensaktivist*innen aus Be’eri für ein Miteinander aller eingesetzt. Auch sie sind unter den Opfern des aktuellen brutalen Terroraktes. Medien sprechen von mehr als 100 Ermordeten und einer unbestimmten Zahl an Verschleppten. Hagay Avni ז״ל, einer der Mitwirkenden des Films und Mitglied der Verteidigungseinheit des Kibbuz, ist im Kampf gegen die Hamas gefallen. Das Ehepaar Eldan hat den Angriff hochbetagt überlebt. Vor zehn Jahren schrieb Anadad Eldan ein Trauergedicht anlässlich des Todes seiner Tochter, an das seine Frau Sari in diesen Tagen öffentlich erinnert:
עַל קִירוֹת בְּאֵרִי
עַל קִירוֹת בְּאֵרִי כָּתַבְתִּי קוֹרוֹתֶיהָ
מִמְּקוֹרוֹת וּמַעֲמַקִּים קְרוּעֵי קֹר
עֵת קָרְאוּ אֶת הַקּוֹרֶה בַּכְּאֵב וְאוֹרוֹתֶיהָ
נָפְלוּ לַעֲרָפֶל וַאֲפִלַּת לַיְלָה וִילָלָה כְּמָקוֹר
לַתְּפִלָּה כִּי נָפְלוּ יְלָדֶיהָ וְדֶלֶת נְעוּלָה
לְרַחֲמֵי שָׁמַיִם נוֹשְׁמִים שְׁמָמָה וּשְׁכוֹל
הוֹרִים לְלֹא רַחֲמִים מִי יְנַחֵם כִּי קְלָלָה
לוֹחֶשֶׁת אַל טַל וּמָטָר וּמֻתָּר לִבְכּוֹת לְמִי שֶׁיָּכוֹל
יֵשׁ שָׁעָה רוֹחֶשֶׁת חֹשֶׁךְ אַךְ יֵשׁ שַׁחַר וְהִלָּהּ
Auf Be’eris Mauern [Auf den Mauern meines Brunnens]
Auf Be’eris Mauern schrieb ich ihre Geschichte
Aus den von Kälte zerrissenen Ursprüngen und Tiefen
Nun lest das Geschehene im Schmerz und in ihrem Lichte
Fallt in den Nebel und in die Dunkelheit der Nacht und in den Urschrei
Zum Gebet denn ihre Kinder sind gefallen und die Tür ist verschlossen
Vor der Gnade des Himmels atmen sie Einöde und Trauer
Wer tröstet Eltern ohne Erbarmen denn es ist ein Fluch
Der flüstert weder Tau noch Regen soll auf Euch fallen und es darf weinen wer kann
Es gibt eine Stunde voller Finsternis, dennoch gibt es Morgendämmerung und einen hellen Schein
Die Künstler
Nir Evron
Der Künstler und Filmemacher Nir Evron (geb. 1974 in Herzlia, Israel, lebt in Berlin) nimmt die inhaltlichen und medialen Strukturen in den Blick, die gesellschaftspolitischen Erzählungen zugrunde liegen. Mittels Fotografie, Video und Film untersucht er kulturelle Zeugnisse wie Denkmäler, Architektur, Dokumente, Texte und Biografien, die er für seine Arbeiten bearbeitet und rekonfiguriert. Seine Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. im Gropius Bau in Berlin und der 6. Berlin Biennale.
Weitere Informationen unter www.nirevron.com
Omer Krieger
Omer Krieger (geb. 1975 in Tel Aviv, lebt in Berlin) gestaltet performative Aktionen, soziale Situationen, Versammlungsformen und zivile Choreografien im öffentlichen Raum. In seinen Arbeiten untersucht er die Beziehungen zwischen Kunst, Politik und Handlung. Neben der Leitung der performativen Forschungsgruppe Public Movement und des Under the Mountain: New Public Art Festival in Jerusalem, gründete er das 1 : 1 – Center for Art and Politics in Tel Aviv. Seine Werke waren u.a. im Gorki Theater, Neuen Berliner Kunstverein und Hebbel am Ufer zu sehen.
Weitere Informationen unter www.omerkrieger.org
Informationen zur Ausstellung im Überblick
- 21. Okt bis 10. Dez 2023
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
Zum Lageplan
Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie