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Der Jüdische Kultur­verein in Berlin 1990–2010

Chanukkaleuchter mit brennenden Kerzen, dahinter ein Banner mit der Aufschrift: Happy Chanukka. Jüdischer Kulturverein Berlin.

Chanukka­leuchter, aufgestellt beim 15. Chanukka­ball des Jüdischen Kultur­vereins, Berlin 12.12.2004; Foto: Igor Chalmiev, Schenkung des Jüdischen Kultur­vereins an das Jüdische Museum Berlin

Am 22. Januar 1990 wurde der Jüdische Kultur­verein gegründet. Einen Monat zuvor, am 13. Dezember 1989 war in vielen Zeitungen der DDR ein über die Presse­agentur ADN verbreiteter Aufruf erschienen. Er kündigte einen Zusammen­schluss von in der DDR lebenden Jüdinnen*Juden an, der sich der Verbreitung von Wissen über jüdische Kultur und Geschichte widmen wollte. Der Aufruf kam nicht von ungefähr:

Schon 1986 hatten sich säkulare Jüdinnen*Juden auf Einladung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (DDR) zusammen gefunden, um ihren jüdischen Wurzeln nach zu gehen, die für ihre Eltern keine identitäts­stiftende Rolle mehr spielten. Aus der 2. Generation der politischen Re­migrant*innen, die in der DDR sozialisiert worden waren, formierte sich die Gruppierung „Wir für uns – Juden für Juden“. In regelmäßigen Zusammen­künften näherten sie sich einer lebendigen jüdischen Kultur an, zelebrierten Feier­tage, diskutierten und stritten – auch politisch. Arbeits­gruppen entstanden, es wurde Theater gespielt und Vortrags­reihen veranstaltet, so dass die Gruppierung sich langsam, von der Jüdischen Gemeinde gelegentlich argwöhnisch betrachtet, als eine feste Größe im Gemeinde­leben etablierte, die auch für Nicht­mitglieder zugänglich war. Die politischen Um­wälzungen im Jahr 1989 machten es schließlich möglich, die Idee eines unabhängigen Jüdischen Kultur­vereins in die Tat umzusetzen. Auf den Aufruf erfolgten hunderte von Zuschriften aus der ganzen DDR – darunter auch von bemerkens­wert vielen nicht­jüdischen Menschen, die sich für eine Mitglied­schaft oder Mitarbeit interessierten. Da die später beschlossene Satzung eine Mitglied­schaft von der jüdischen Herkunft abhängig machte, wurden diese Interessierten als Freund*innen in den Verein integriert.

Schwarz-weiß Fotografie: Tanzende Menschen in einem Saal.

Tanzende beim Chanukka­ball des Jüdischen Kultur­vereins, Berlin 20.12.2003; Foto: Metin Yilmaz, Schenkung des Jüdischen Kulturvereins an das Jüdische Museum Berlin

Während an der Gründungs­versammlung am 22. Januar 1990 lediglich 66 Personen teilnahmen, fanden sich auf der ersten Voll­versammlung am 31. März bereits um die 280 Personen ein, von denen über 200 bereits Mitglieder waren. Der Vorstand, zunächst noch Sprecher­rat genannt, übernahm fortan die Leitung. 1991 erfolgte der Eintrag ins Vereins­register (die DDR gab es zu diesem Zeit­punkt schon nicht mehr) und ein Jahr später wurde die Gemein­nützigkeit anerkannt. Gemäß seiner Satzung entwickelte der Verein in den folgenden Jahren vielfältige Aktivitäten, die der Vermittlung jüdischer Kultur und Geschichte dienten: Er unterstützte Forschungs­projekte, widmete älteren Mitgliedern Fürsorge und Aufmerksam­keit, sorgte aber auch für die Vermittlung von Inhalten des religiösen Lebens. Letzteres führte im Verein immer wieder zu Kontro­versen. Gerade Dr. Irene Runge, die von Beginn an Mitglied des Vorstandes war, stritt leiden­schaftlich für diese Aufgabe, denn sie vertrat die Ansicht:

„… Es geht nicht an, dass wir einen JKV vom Stand­punkt der Nicht­juden her leiten, also über Judentum reden, anstatt es zu leben. Wenn wir als Juden einen Jüdischen Kultur­verein wollen, kann sich dieser nicht gegen die Quellen des Judentums richten, sondern er muss auf eigene Weise der Tradition als Lebens­weise verpflichtet sein.“

Von 1991 bis 2006 gab der Verein ein zuletzt acht Seiten umfassendes Mitteilungs­blatt heraus, die Jüdische Korrespondenz. Recht schnell wurden hier nicht nur organisatorische Fragen abgehandelt, sondern auch Grund­elemente jüdischer Tradition vermittelt. Manche Leser*innen verwunderte die Vielzahl religiöser Themen, denn die Autor*innen waren der Ansicht, dass die „Beschäftigung mit dem Kultus … Stück historischer Selbst­wahrnehmung“ sei. Die Heraus­geber*innen verstanden das Blatt stets als ein Mittel zur Durch­setzung jüdischer Interessen und mischten sich auch mit streitbaren Artikeln in das aktuelle Zeit­geschehen ein.

Außenansicht des Gebäudes mit den Räumen des Jüdischen Kulturvereins in der Oranienburger Straße.

Außen­ansicht des Gebäudes mit den Räumen des Jüdischen Kultur­vereins in der Oranien­burger Straße, Berlin August 1998; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung des Jüdischen Kulturvereins

Die größte Heraus­forderung des Vereins war bei seiner Gründung noch nicht absehbar: Sie betraf die Integration der russisch­sprachigen Ein­wander*innen, die seit Anfang der 1990er Jahre ins Land kamen. Ein noch im Februar 1990 einge­brachter Antrag an den Runden Tisch zur Aufnahme sowjetischer Jüdinnen*Juden in der DDR machte den Anfang und bestimmte das Vereins­leben bis zur Auflösung in erheblichen Maß. Dieses umfasste praktische Lebens­hilfe z.B. durch Besetzung genehmigter ABM-Stellen mit Ein­wander*innen oder Vorträge und Gespräche in russischer Sprache, und bot diesen vor allem die viel gerühmte „Heimat­insel“ an, die sie in der Jüdischen Gemeinde häufig nicht fanden.

Dr. Irene Runge berichtet über die Schwierigkeiten mit der DDR-Bürokratie bei der Einfuhr koscherer Lebensmittel in der Anfangszeit des Jüdischen Kulturvereins; Jüdisches Museum Berlin

Am 16. Dezember 2009 beschloss die Mitglieder­versammlung die Auf­lösung des Jüdischen Kultur­vereins. Als Gründe wurden der fehlende Nach­wuchs bei gleich­zeitig hohem Lebens­alter der Mitglieder genannt, aber auch die sich durch die Vereins­geschichte ziehende mangelnde Unter­stützung von Seiten des Berliner Senats oder etablierter jüdischer Institutionen. 20 Jahre gestaltete der Verein die jüdische Stadt- und Zeit­geschichte Berlins auf ganz eigene Weise, vertrat im inner­jüdischen Dialog politisch linke Stand­punkte, engagierte sich gegen Rassismus und für das Mit­einander verschiedener Religionen und Kulturen. Der ehemaligen Vorstands­vorsitzenden Dr. Irene Runge ist es zu verdanken, das sich das Archiv des Jüdischen Kultur­vereins heute im Jüdischen Museum Berlin befindet und damit auch der Forschung zugänglich ist.

Ulrike Neuwirth, Archiv, zum 25-jährigen Jubiläum der Gründung des Kultur­vereins

Zitierempfehlung:

Ulrike Neuwirth (2015), Der Jüdische Kultur­verein in Berlin 1990–2010.
URL: www.jmberlin.de/node/10240

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