Stéphane Etrillard
Kurzinterview und Foto in der Ausstellung Frédéric Brenner – ZERHEILT
Mein Name ist Stéphane Etrillard, ich bin Autor von vielen Büchern, Business-Philosoph und Coach und Mentor für Unternehmer.innen und Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens. Ich beschäftige mich seit nahezu 40 Jahren mit jüdischer Identität in unterschiedlichen Intensitäten je nach Lebensphase. Ich bewege mich gerne zwischen unterschiedlichen Welten.
Wie kam es zur Idee der Inszenierung in Ihrem Portrait?
Nach einer Begegnung mit Frédéric Brenner in einem privaten Rahmen kamen wir ins Gespräch und trafen uns mehrmals, um über Berlin, das neue Judentum in Berlin, jüdische Identität und über das Leben zu sprechen. Das Vertrauen entstand schnell, da wir diese Gespräche auf Französisch führten und sich schnell herausstellte, dass wir in drei Ländern, Frankreich, Israel und Deutschland gemeinsame Bekannte haben. Vor diesem Hintergrund spannen sich die Fäden zusammen und Frédéric kam auf die Idee mich genau an dieser Stelle in Berlin zu fotografieren. Genau an dieser Straßenecke bin ich jeden Tag zweimal vorbeigegangen, als ich 1988 zum ersten Mal in meinem Leben in Berlin ankam. Ich wurde durch seinen Vorschlag von meiner Vergangenheit eingeholt, so wie man in Berlin sehr schnell von der Vergangenheit wieder eingeholt werden kann.
Wie erleben Sie jüdisches Leben in Berlin?
Jüdisches Leben in Berlin erlebe ich als bunt, vielfältig, sehr dynamisch, „wieder geboren“ oder „wieder kreiert“, dennoch nicht natürlich gewachsen, denn es ist in einem Vakuum wieder entstanden, das von den Nachwehen der Schoa hinterlassen wurde. Es wird vieles unternommen, um jüdisches Leben wieder salonfähig zu machen. Es gelingt in Nischen, dennoch wirkt es zumindest auf mich oft künstlich und gewollt normal. Es wird immer überschattet von dem allgegenwärtigen Antisemitismus-Diskurs, ohne den das Judentum in Deutschland kaum existenzberechtigt zu sein scheint.
Beschreiben Sie Ihr Leben in Berlin in drei Adjektiven.
Distanziert – frei – dankbar
Ich lebe gerne in Berlin, wenn ich da bin. Dennoch empfinde ich mich als „Bewohner auf Distanz“. Diese Stadt erlaubt mir ein freies Leben. Ich kann der sein, der ich bin und sein will. Dennoch empfinde ich mich in Berlin, auch nach all diesen Jahren, als fremd, denn ich werde mir jeden Tag dessen bewusst, dass Berlin oder „deutsch“ sein nicht zu meiner Identität gehört. Berlin hat mir dennoch teilweise erlaubt, der zu werden, der ich heute bin. Dafür bin ich dankbar.
Was würden Sie sich für das zukünftige jüdische Leben in Berlin wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass das jüdische Leben in Berlin natürlicher wird, dass Juden in Berlin offen sichtbar leben dürfen. Vor allem wünsche ich mir für Berlin, dass Juden und Nicht-Juden sich mehr mit dem Judentum und dessen geistigem Reichtum befassen als mit Antisemitismus. Es ist nur noch ermüdend: die fast ausschließliche Beschäftigung mit Judentum in Deutschland ist die ständige Auseinandersetzung mit Antisemitismus. Nun, die Auseinandersetzung mit Geschichtstraumata dauert manchmal Generationen, bis sie überwunden ist.
Zitierempfehlung:
Jüdisches Museum Berlin (2022), Stéphane Etrillard. Kurzinterview und Foto in der Ausstellung Frédéric Brenner – ZERHEILT.
URL: www.jmberlin.de/node/8583