Am Tag nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler beantwortete Max Osborn, Kunstkritiker der »Vossischen Zeitung«, einen Leserbrief, der auf seinen am 25. Januar erschienenen Artikel Bezug nahm. Darin berichtete er über die Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin wenige Tage zuvor. Am Ende seines Beitrags hatte Osborn auf ein spezielles Objekt des Museums hingewiesen: eine palästinensische Tonlampe, auf der ein Davidstern und ein Hakenkreuz eingeritzt waren. »Ist das nicht reizend?« fragte er am Schluss.
In seiner Replik auf den uns unbekannten Leserbrief hob Max Osborn die allem Anschein nach singuläre Erscheinung der beiden Zeichen auf einem historischen Gegenstand erneut hervor, die er als »eine wunderliche Merkwürdigkeit« bezeichnete – vor allem angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig die beiden Zeichen »derartig in Gegensatz zu einander geraten« seien. Eine böse Vorahnung des Terrors der nächsten zwölf Jahre?
Der bekannte und geachtete Kunsthistoriker, Schriftsteller und Journalist Max Osborn (1870–1946) war seit 1914 Redakteur bei der »Vossischen Zeitung«. Osborn verlor seine Stelle Ende April 1933. In den folgenden Jahren schrieb er unzählige Beiträge in deutsch-jüdischen Zeitungen. Er gehörte dem Ehrenpräsidium des im Juli 1933 gegründeten Kulturbunds deutscher Juden an und leitete dessen Kunstausstellungen. Erst nach den Novemberpogromen von 1938 floh er mit seiner Frau nach Frankreich. 1941 konnten sie über Lissabon nach New York entkommen. Hier war Osborn weiterhin journalistisch tätig und verfasste zudem seine Erinnerungen »Der bunte Spiegel«.
Zu den zahlreichen Werken Max Osborns gehörte ein 1909 veröffentlichter Kunstführer für Berlin. Er zählte zu den Lieblingsbüchern von Adolf Hitler, der dieses Buch 1915 als Soldat im nordfranzösischen Fournes-en-Weppes kaufte und während des Kriegs ständig bei sich trug.
Aubrey Pomerance
Vossische Zeitung Berlin
Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen
BEGRÜNDET 1704
Berlin, den 31. Jan. 1933
Dr. Osborn
Herrn Wilhelm Bütow
Berlin W. 35.,
Magdeburger Platz 4
Sehr geehrter Herr!
Auf Ihre gefl. Zuschrift vom 30. Januar an die Redaktion der »Vossischen Zeitung« möchte ich Ihnen antworten: Selbstverständlich gibt es sehr viele Verwendungen des Hakenkreuzes in alter Zeit. Worauf es mir aber hier ankam, und was allein den Anlass zur besonderen Hervorhebung bot, ist das Nebeneinander – das Davidszeichen und das Hakenkreuz auf derselben kleinen Fläche. Das ist immerhin eine Seltenheit, wenn nicht ein Fall, für den es unter den ausgegrabenen Resten der Antike überhaupt kein Seitenstück gibt. Und wenn auch dies verträgliche Zusammensein der beiden Symbole gewiss für die Menschen der Zeit, für die die betreffende Lampe gemacht wurde, nichts Auffälliges hatte, so ist immerhin für uns das Vereint-Marschieren zweier Zeichen, die derartig in Gegensatz zueinander geraten sind, eine wunderliche Merkwürdigkeit.
Mit bestem Dank für Ihr Interesse und dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
ergebenst
Dr. Max Osborn