Zu einer der folgenreichsten Reaktionen auf die Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zählt die Gründung des Kulturbunds deutscher Juden. Initiiert wurde sie von Kurt Baumann, der infolge des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« seine Stellen als Regieassistent an der Berliner Staatsoper, der Volksbühne und der Städtischen Oper verloren hatte. Die Idee erhielt prominente Unterstützung, unter anderem von dem Neurologen und Musikwissenschaftler Kurt Singer (1885–1944) und dem renommierten Germanisten, Theaterkritiker und Dramatiker Julius Bab (1880–1955). Letzterer wandte sich am 31. Mai mit diesem Brief an den Schriftsteller Georg Hermann (1871–1943), um ihm von den Plänen zu berichten und ihn um Unterstützung zu bitten.
In seinem Schreiben gibt Bab deutlich zu erkennen, dass er die »Ghettoisierung« der deutschen Juden für endgültig hält. Um diese Ausgrenzung »einigermassen erträglich« und dem jüdischen Publikum ein qualitätvolles kulturelles Angebot zu machen sowie entlassenen jüdischen Kulturschaffenden Arbeit zu geben, wollen er und seine Mitstreiter einen »von allen grossen jüdischen Organisationen« gestützten Kulturbund ins Leben rufen. Das Vorhaben ist ehrgeizig: Neben der Schaffung eines Theaters sollen die Musik, die bildende Kunst und das Vortragswesen, also Literatur und Wissenschaft, feste Bestandteile der Arbeit der Selbsthilfeorganisation werden. Bab weiß, dass alles von der Einwilligung der Machthaber abhängt, und scheint zu ahnen, unter welch strikter Kontrolle das Ganze stehen wird. An Georg Hermann richtet er die Bitte, Mitglied im Ehrenpräsidium zu werden.
Sechzehn Tage, nachdem Bab seinen Brief an Hermann abgeschickt hatte, genehmigte das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die Einrichtung des Kulturbundes. Georg Hermann meldete sich erst Anfang Juli aus Amsterdam, nahm die Einladung Babs an und wurde neben dem Maler Max Liebermann, dem Soziologen Franz Oppenheimer, dem Kunstkritiker Max Osborn und anderen bekannten Persönlichkeiten Mitglied des Ehrenpräsidiums – als einziger, der zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil lebte.
Am 17. Juli 1933 wurde der Kulturbund deutscher Juden in der Wohnung von Kurt Singer offiziell gegründet. Mit Gotthold Ephraim Lessings berühmtem Stück »Nathan der Weise«, einem Plädoyer für die Toleranz zwischen den Religionen, eröffnete das Kulturbund Theater am 1. Oktober 1933 seine erste Saison.
Aubrey Pomerance
Julius Bab
Berlin-Westend
Akazienalle 4
Tel.: Westend 3160
31. Mai 1933
Lieber Georg Hermann,
wir haben in dieser ganzen schrecklichen Zeit nichts von einander gehört, und das ist eigentlich Unrecht, denn wenn es auch kein Trost ist, so ist es doch eine Art Halt, wenn die paar Menschen, die wissen, dass sie ungefähr gleich denken und fühlen, sich ab und zu die Hand drücken. Ich weiss nicht, wo Sie sitzen, aber ich denke, dass diese Zeilen Sie über Neckargemünd erreichen werden. Ich würde sehr gern wissen – nicht was Sie denken und fühlen, das weiss ich ungefähr –, aber was Sie tun, wie Sie leben.
Was mich betrifft, so mache ich augenblicklich den Versuch, den Ghettowinkel, in den man uns ja unleugbar und ziemlich endgültig hineingedrängt hat, einigermassen erträglich einzurichten. Mit Dr. Singer, der früher an der Städtischen Oper Intendant war, und einigen jungen Leuten habe ich einen »Kulturbund deutscher Juden« geschaffen, der von allen grossen jüdischen Organisationen getragen wird. Wir wollen zunächst ein geschlossenes Abonnementstheater machen, in dem die vielen herausgeworfenen jüdischen Schauspieler für das jüdische Publikum spielen, das erfreulicherweise in die gleichgeschalteten Theater nicht mehr geht. Aber es soll auch für Musik, für bildende Kunst, für Vortragswesen allerlei geschehen, auch eine Zeitschrift soll angegliedert werden. Dieser Kulturbund wird werbend hervortreten, sobald die hohe Obrigkeit, ohne die ja jetzt in Deutschland kein Spatz vom Dache fällt, ihr Einverständnis gegeben hat. Es ist recht wahrscheinlich, dass sie das tun wird, und wahrscheinlich schon bald nach Pfingsten. Getragen soll der
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Verband werden durch einen Geschäftsausschuss und durch ein Ehrenpräsidium, das durch die Bedeutung seiner Namen wirkt. In diesem Ehrenpräsidium hätten wir auch Sie gern, und ich bitte Sie um die Erlaubnis, Ihren Namen dahinzusetzen. Max Liebermann, Max Reinhardt, Ernst Cassirer, Jacob Wassermann, Franz Oppenheimer und andere gute Leute sollen dabei sein.
Schreiben Sie mir bitte auch in dieser Sache recht bald eine Zeile und seien Sie aufs herzlichste gegrüßt von
Ihrem
(Unterschrift von Julius Bab]