Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Mittwoch,
3. Mai 1933

Aufforderung des Bismarck-Lyzeums an die Eltern, die Abstammung der Schülerinnen nachzuweisen

Honoria Plesch (1919–1990) besucht das Bismarck-Lyzeum in Berlin-Grunewald. Für sie beginnt das Schuljahr mit einem ungewöhnlichen Rundschreiben ihres Schuldirektors an die Elternschaft. Der Grund dafür ist das seit dem 25. April geltende »Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen«. Doch was hat das mit Fräulein Plesch zu tun?

Oberflächlich betrachtet soll das Gesetz die Schülerzahlen auf höheren Schulen begrenzen und die Zahl der Studenten an Hochschulen dem allgemeinen Bedarf anpassen. Doch § 4 enthüllt eine ganz andere Absicht. Er sieht vor, dass bei Neuaufnahmen die Zahl der jüdischen Schüler an einer Schule den an der Gesamtzahl der reichsdeutschen Bevölkerung gemessenen Anteil nicht übersteigen darf. In der am selben Tage erlassenen Ausführungsverordnung wird diese Quote mit 1,5 % angegeben. Es gibt Ausnahmen: Ähnlich dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« werden hier die Nachkommen der Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs von der Regelung ausgenommen. Auch bleiben die Kinder aus interkonfessionellen Ehen »bei der Berechnung der Anteilszahlen « unberücksichtigt.

Um den Anteil der Jüdinnen an seiner Schule zu bestimmen, sieht sich der Direktor des Bismarck-Lyzeums also genötigt, mittels Rundschreiben Erkundigungen über seine Schülerinnen einzuholen – ob sie »arischer oder nicht-arischer Abstammung« sind, ob sie die deutsche oder eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen und ob der Vater im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hat. Honoria Plesch gehört nach Auffassung des neuen Gesetzes zu den »Reichsdeutschen nichtarischer Abstammung«.

Als der Medizinprofessor János Plesch diesen Brief der Schule seiner Tochter in den Händen hält, ist das nicht der erste Schlag gegen die Familie. Obwohl der gebürtige Ungar seit 1910 die deutsche Staatsbürgerschaft besaß und kurz vorher zum Katholizismus konvertiert war, hatte er gleich nach Inkrafttreten des Berufsbeamtengesetzes seine öffentlichen Ämter verloren. Es half ihm auch nicht, dass er im Ersten Weltkrieg als Sanitätsarzt für Deutschland gedient hatte. Jetzt wenden sich die Gesetze auch gegen seine Kinder.

Professor Plesch zieht rasch die Konsequenzen: Schon im Juni 1933 emigriert er mit seiner Familie nach England. Honoria Plesch kann ihre Ausbildung dort fortsetzen und wird später eine geschätzte Kostümbildnerin.

Ulrike Neuwirth

Kategorie(n): Berlin | Berufsverbot | Schule
Schreiben des Direktors des Bismarck-Lyzeums an die Eltern mit der Aufforderung, die Abstammung der Schülerinnen nachzuweisen, Berlin, 3. Mai 1933
János und Melanie Plesch Gedenk-Schenkung von Prof. Dr. Peter H. Plesch
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