Dienstag,
23. Mai 1933
Brief von Emil Gerson an seine Nichte Margarethe Paderstein
Die Familie stammte aus dem westfälischen Soest und ihre Geschichte reicht lang zurück. Im Dreißigjährigen Krieg habe »ein Ahnherr« tapfer seine Heimatstadt verteidigt, berichtet Emil Gerson. Sein Großvater Israel Gerson war Mitinhaber des Manufacturwarenhauses Gebrüder Gerson in Hamm, habe in höchsten Kreisen verkehrt und sich bei »den Damen des westfälischen Adels […] großer Beliebtheit erfreut«, wie er etwas geheimnisvoll schreibt. Ein Bruder seiner Großmutter Minna fiel 1813 in den Befreiungskriegen.
Am Ende des Briefes springt Gerson von der hehren Vergangenheit in die Gegenwart. Ihm gehe es »den Verhältnissen entsprechend«. Sein Sohn Heinrich, der Rechtsanwalt ist, »bricht seine Praxis gezwungenermaßen ab«. Durch das »Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft« kann Heinrich seinen Beruf nicht mehr ausüben und wird wenig später über Paris nach London emigrieren. Gerson hat auch von seiner Tochter Anne Marie und ihrem Ehemann Leo Grebler, der als Korrespondent für die »Frankfurter Zeitung« arbeitet, keine guten Nachrichten. Sie sehen dem »neuen Pressegesetz» sorgenvoll entgegen. Durch das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 wird sein Schwiegersohn seine Stelle verlieren und schließlich mit Gersons Tochter über die Schweiz in die USA auswandern. Und die Adressatin des Briefes? Margarethe Paderstein wird 1938 mit ihrer Familie nach Brasilien fliehen.
Emil Gerson selbst wird nach seiner Emigration nach Großbritannien im Jahr 1939 eine ausführliche Familienchronik verfassen und dabei auch auf die nationalsozialistische Verfolgung eingehen: »Ich will hier aber keine Geschichte des National Socialismus schreiben, sondern die Geschichte der Familie Emil Gerson, deren weitere Entwicklung aber leider durch die politischen Ereignisse in ganz andere Bahnen gelenkt wurde.«
Jörg Waßmer