Donnerstag,
29. Juni 1933
Austrittserklärung von Paula Gieselmann
Es gibt keine gesicherten Belege darüber, wie viele Menschen seit 1933 aus dem Judentum austraten. Gewiss ist, dass die Austritte mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sprunghaft anstiegen. Studien für Berlin deuten an, dass dort zwischen 1933 und 1941 um die 5.300 Personen ihren Austritt erklärten, was ca. drei Prozent der 170.000 Juden entspricht, die 1933 in der Hauptstadt lebten.
Im Falle der 1893 in Berlin geborenen Paula Gieselmann, geb. Goldstab, wird ihre Anfang 1922 geschlossene Ehe mit einem Nichtjuden sicherlich eine wichtige Rolle bei ihrer Entscheidung gespielt haben. Der Zeitpunkt dafür lässt jedoch vermuten, dass sie sich erhoffte, damit Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung zu entgehen. Dies trifft mit Sicherheit auf nahezu alle Personen zu, die in der NS-Zeit das Judentum verließen. Ein Irrtum. Denn die Nationalsozialisten verfolgten die Menschen nicht in erster Linie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, sondern – entsprechend der rassistischen Ideologie – aufgrund ihrer Abstammung.
Paula Gieselmann, obwohl mit einem Nichtjuden verheiratet und aus dem Judentum ausgetreten, wird am 19. September 1944 in das Arbeitslager Elben in der Nähe von Kassel eingewiesen. Ihre Tochter muss in Bielefeld als Stenotypistin Zwangsarbeit leisten. Am 12. Februar 1945 wird Paula Gieselmann über Münster nach Theresienstadt deportiert. Sie übersteht die folgenden drei Monate und zählt zu den knapp 17.000 Menschen, die bei der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 9. Mai noch am Leben sind. Nach Kriegsende findet sich ihr Namen verzeichnet – in den zusammengestellten Listen der jüdischen Überlebenden. Sie kehrt zu Mann und Tochter nach Bielefeld zurück, wo sie 1985 im Alter von 92 Jahren stirbt.
Aubrey Pomerance