Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Mittwoch,
20. Dezember 1933

Brief von Gustav Feldmann an Karl Adler nach einer Chanukka-Feier des Jüdischen Lehrhauses Stuttgart

»Fünfzehnhundert Menschen unserer Gemeinde, ohne Unterschied des Standes und der weltanschaulichen Position, fünfzehnhundert jüdische Menschen sitzen nebeneinander und dokumentieren einen neuen jüdischen Lebenswillen. « So schrieb die Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs am 1. Januar 1934.

Der derart gefeierte »Musik-Abend des Sing- und Instrumentalkreises« hatte zwei Wochen zuvor am 19. Dezember 1933 im Gustav-Siegle-Haus im Zentrum von Stuttgart stattgefunden. Geleitet wurde er von dem Musikwissenschaftler Karl Adler (1890–1973), als erstes Konzert der von ihm gegründeten Stuttgarter Jüdischen Kunstgemeinschaft.

Die Feier begann mit vier Werken von Telemann, Ph. E. Bach und Händel. Man beschränkte sich also nicht auf jüdische Komponisten, veranstaltete aber einen Abend von Juden für Juden. Dem Konzert folgte ein Vortrag von Otto Hirsch, wie Adler einer der Initiatoren des Lehrhauses. Daran schloss sich die eigentliche Chanukka-Feier mit dem Entzünden des Leuchters, der Lesung aus der Makkabäergeschichte und Dankgebeten an. Am gemeinsamen Singen jüdischer Volkslieder beteiligte sich auch das Publikum.

Am folgenden Tag erhielt Karl Adler einen überschwänglichen Dankesbrief. Absender war Gustav Feldmann (1872–1947), der Vorsitzende des Landesausschusses Württemberg im »Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« (CV). Es sei ihm ein »Herzensbedürfnis«, schrieb Feldmann, Adler im Namen seiner Organisation für den Abend zu danken.

Der 1893 gegründete CV repräsentierte die Mehrheit der akkulturierten deutschen Juden. Das Jahr 1933 bedeutete einen herben Schlag gegen ihr Selbstverständnis als patriotische Deutsche, das man ihnen jetzt streitig machte. Umso wichtiger schien es, sich auf die eigene jüdische Tradition als Grundstein des Zusammenhalts zu besinnen. Und so lobt Feldmann in seinem Brief, Adler habe gezeigt, »was das Judentum in Wirklichkeit eint, die Ueberlieferung der Jahrtausende (...), geleistet durch die Zusammenarbeit von Juden jeden Alters und aller Richtungen«.

Franziska Bogdanov

Kategorie(n): Künstler und Schriftsteller | Religiöses Leben | Vereine
Brief von Gustav Feldmann vom Central-Verein an Karl Adler, Stuttgart, 20. Dezember 1933
Leo Baeck Institute, Karl Adler Collection, AR 7276

Karl Adler

Der Leiter des musikalischen Abends Karl Adler war eine wichtige Person im jüdischen Kulturleben Württembergs. 1890 in Buttenhausen in einer schwäbischen Landjudenfamilie geboren, genoss er eine Lehrer- und Kantorenausbildung und studierte am Konservatorium in Stuttgart Gesang. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs betätigte er sich zunehmend in der musikalischen Volksbildung und wurde 1921 Leiter des Neuen Konservatoriums für Musik in Stuttgart. 1926 gehörte er zu den Mitbegründern des Jüdischen Lehrhauses in Stuttgart. Diese Einrichtung engagierte sich in der Erwachsenenbildung und verfolgte mit Kulturveranstaltungen, Vorträgen und Diskussionen das Ziel, die deutschen Juden geistig wieder an das Judentum zu binden.

1933 verlor Adler seine Stelle am Konservatorium. Wie alle jüdischen Künstler durfte er nur noch in jüdischen Institutionen auftreten. Als Reaktion darauf gründete er die Stuttgarter Jüdische Kunstgemeinschaft, eine Dependance des im Juli 1933 in Berlin entstandenen Kulturbunds Deutscher Juden.

1940 wanderte Adler in die USA aus. Hier hatte er mehrere Stellen als Dozent und Professor an Colleges und Universitäten inne und war maßgeblich an der Errichtung der Musikabteilung an der Yeshiva-Universität in New York beteiligt. Dort starb er 1973.

Karl Adler, undatiert
Leo Baeck Institute, Leopold Levi Collection, AR 1929 
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