Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Dienstag,
19. Dezember 1933

Chanukka-Ansprache des Breslauer Schulleiters Rudolf Schäffer

Als Rudolf Schäffer (1894–1970), Studienrat i. R., am 19. Dezember 1933 die Anwesenden in der Schule Am Anger in Breslau begrüßte, erteilte die »Arbeitsgemeinschaft jüdisch akademischer Lehrkräfte« dort bereits seit zwei Monaten Privatkurse für jüdische Gymnasiasten. Der 39-jährige Schäffer, der Philosophie und Altphilologie studiert hatte, war bis zu seiner Zwangspensionierung 1933 zehn Jahre lang am Breslauer Johannesgymnasium tätig gewesen.

Diese städtische Schule war wegen ihres hohen Anteils an jüdischen Schülern (rund 50 %) in einer besonderen Situation. Die von der Reichsregierung eingeführte Beschränkung der Anzahl jüdischer Schüler und der – auch am Johannesgymnasium – innerhalb kurzer Zeit um sich greifende Antisemitismus führten rasch dazu, dass die jüdischen Gymnasiasten wie auch die jüdischen Lehrkräfte in großer Zahl die Schule verlassen mussten. Nicht alle fanden Aufnahme in der streng orthodoxen Privaten Jüdischen Oberschule. Für sie wurde stattdessen das neu gegründete jüdisch-liberale Schulwerk zu einem Auffangbecken: Hatten ihm im Herbst 1933 kaum 40 Schüler angehört, waren es drei Jahre später bereits 500, die von einem überaus qualifizierten Lehrerkollegium in einem Gebäude neben der liberalen Neuen Synagoge Am Anger unterrichtet wurden.

An diesem Dezemberabend, dem 2. Tewet 5694 nach jüdischer Zeitrechnung, versammeln sich Lehrer, Schüler und Eltern, um gemeinsam den letzten Tag des Chanukka-Festes zu feiern. Das Gedenken an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v.u.Z. bildet den festlichen Rahmen, »in dem wir uns freudig unseres Zueinandergehörens von neuem bewusst werden«, wie der Schulleiter in seiner Begrüßungsansprache erklärt. Er führt aus, dass man bewusst auf einen »feierlichen Eröffnungsakt« im Oktober verzichtet habe. Heute Abend sei aber die beste Gelegenheit, insbesondere den Eltern zu zeigen, wie sich die Schulgemeinschaft seitdem entwickelt habe: »Lehrer und Schüler haben den Weg zueinander gefunden und fühlen sich (…) heimisch und wohl.«

Es fällt auf, dass Schäffer nicht auf die äußeren Umstände, die Ausgrenzungspolitik und Zwangsmaßnahmen eingeht, die zur Gründung der Schule geführt haben. Dennoch wird deutlich, dass es nun erst recht gilt, jüdische Identität und Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken. Denn was macht eine Schule zu einer jüdischen Schule? Schäffer betont, »dass wir unser Jüdischsein nicht als eine blosse Beigabe eines sonst im üblichen Rahmen abrollenden Unterrichtsbetriebes auffassen, als ein Nebenbei, ohne das es zur Not auch geht, sondern tatsächlich als den Ausgangs- und Zielpunkt unserer Arbeit«. Für ihn ist klar, dass eine jüdische Schule mehr sein müsse, als eine allgemeine Schule für jüdische Kinder, wo lediglich jüdischer Religions- und Hebräischunterricht gegeben wird. 1937 wird er an anderer Stelle die prägnante Formulierung wählen, dass jüdische Schulen auch »keine Notlösungen« sein dürften, »kein gegen vorübergehendes Unwetter schützendes Dach«.

Die Schule Am Anger wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 von den Machthabern beschlagnahmt, die benachbarte Synagoge zerstört. Schäffer selbst emigrierte wenige Wochen später über Schweden in die USA.

Jörg Waßmer

Kategorie(n): Breslau | Kindheit | Religiöses Leben | Schule
Begrüßungsansprache von Rudolf Schäffer in der Jüdischen Schule Am Anger, Breslau, 19. Dezember 1933
Leo Baeck Institute, Rudolf F. Schaeffer Collection, AR 3292
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