23. März bis 15. Juli 2012 Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren
Romanisches Café
- Auguste-Viktoria-Platz mit Blick auf das Romanische Café, rechts die Tauentzienstraße © bpk
Wo heute das Berliner Europa-Center mit Geschäften, Parkhaus, Hotel und Kabarett steht, befand sich in den 1920er Jahren das Romanische Cafe am Kurfürstendamm. Es war das bekannteste literarische Kaffeehaus dieser Zeit. Hier trafen sich Dichter, Autoren, Maler, Intellektuelle – auch viele der in jiddischer oder hebräischer Sprache schreibenden Schriftsteller.
In Anspielung auf seine einfache Küche und Ausstattung wurde das Café auch das »Rachmonische« (vom jiddischen Wort für »Erbarmen« abgeleitet) genannt.
Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1962 wurde auf dem Gelände der Grundstein für das Europa-Center gelegt, 1965 wurde es eingeweiht.
- Innenansicht des Romanischen Cafés in Berlin 1925. © ullstein
Ein bekannter Besucher des Romanischen Cafés war der Schriftsteller David Bergelson (1884–1952) aus Kiew. In seinen Berliner Geschichten zeichnete Bergelson ein Porträt der Stadt und des Emigrantenlebens.
In Berlin war Bergelson als Korrespondent des jiddischen sozialistischen New Yorker »Forwerz« (»Vorwärts«) und des Moskauer »Emes« (Wahrheit) tätig. 1934 kehrte er in die Sowjetunion zurück, wo er im Frühjahr 1949 wie viele jiddischsprachige Schriftsteller verhaftet und 1952 hingerichtet wurde.
Lev Bergelson über seinen Vater
»Die Abende verbrachte er ziemlich oft im Romanischen Café an der Gedächtniskirche, einem Treffpunkt der Berliner Boheme. Obwohl er kein Caféhausliterat war, zog ihn die Atmosphäre dieses Hauses an, zu dessen ständigen Besuchern nicht nur Künstler, sondern auch viele andere Persönlichkeiten des Berliner Lebens gehörten. Dort traf er auch oft Freunde aus Kiewer Zeit. Im Romanischen Café gab es mehr als Tee- und Kaffeegespräche. Manch einer schrieb hier seine Gedichte, Druckfahnen wurden gelesen, man spielte Schach. Unter anderem spielte mein Vater dort etliche Male mit dem Weltmeister Emanuel Lasker, der ihn, wenn Bergelson wie gewöhnlich erklären musste, es sei eine große Ehre gewesen, gegen Lasker verloren zu haben, mit den Worten tröstete: ›Meine Bescheidenheit erlaubt mir, Ihnen recht zu geben.‹«
Lev Bergelson, Erinnerungen an meinen Vater, in: David Bergelson, Leben ohne Frühling, Berlin 2000, S. 284
- David Bergelson im Liegestuhl seines Hauses in Berlin-Zehlendorf © Lev Bergelson
Der jüdisch-russische Schriftsteller Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg (1891–1967) lebte von 1922 bis 1924 in Berlin. Während dieser Zeit gehörte er zu den Stammgästen des Romanischen Cafés.
Ilja Ehrenburg über das Romanische Café
»Ich schreibe diesen Brief aus dem ›Romanischen Café‹. Das ist eine sehr ehrbare Institution – so etwas wie der Generalstab fanatischer Vagabunden, der Allerweltsleute und der gebildeten Gauner, die vollkommen vom engen Nationalismus geheilt sind. […] Ich weiß nicht, warum alle diese Leute in Berlin leben! Valuta oder Paßvisen? …Emigranten oder sparsame Touristen? Jedenfalls sind sie alle mit Berlin unzufrieden und lassen sich keine Gelegenheit entgehen, darauf zu schimpfen. Besonders die Russen: das gilt als guter Stil. Ich will durchaus nicht originell erscheinen. Ich fürchte, Du wirst mir nicht glauben – es klingt offenkundig paradox: ich habe Berlin liebgewonnen.«
Ilja Ehrenburg, Visum der Zeit, Frankfurt/Main 1983, S.44f. (Erstausgabe: Berlin 1930)
- Ilja Ehrenburg
Der aus Weißrussland stammende Dichter und Journalist David Einhorn (1886–1973) kam 1920 nach Berlin. Im New Yorker »Forwerz« schrieb er bereits 1925 einen Nachruf auf das Romanische Café.
Artikel von David Einhorn
»Vergessen ist das Romanische Café und die zehn jüdischen Literaten, die den strohenen Stil der jiddischen Literatur verteidigt haben. Die paar Dutzend jüdischer Aktivisten, die jede Nacht schwarzen Kaffee tranken [...] und neue Pläne schmiedeten, wie das Volk Israel zu retten sei. Die jiddischen Verlage, wie Pilze aus dem Boden geschossen und wenig später gestorben wie die Fliegen - sie hatten [...] hochphilosophische Werke und höchst aufgeklärte Romane speziell für den amerikanischen Leser übersetzt, den das alles nie erreichte. Und wenn es ihn erreicht hätte, hätte er es nie gelesen, die Deutschen lesen das schließlich auch nicht.«
David Einhorn, Warum sich jetzt so viele Juden in Paris niederlassen - Farwos jiden basezen sich izt asoj fiel in paris (jiddisch), in: Forwerz (New York), 15. November 1925
Artikel von David Einhorn: Farwos jiden basezen sich izt asoj fiel in paris (jiddisch), 1925. Sprecher: Daniel Kahn
Artikel von David Einhorn: Warum sich jetzt so viele Juden in Paris niederlassen (dt. Version), 1925. Sprecher: Stefan Kaminski
Der Journalist Jeschajahu Klinow (1880–1963) schreibt 1932 über das Romanische Café.
Ein Brief von Jeschajahu Klinow
»In Berlin – als vielleicht einziger jüdischer Stadt der Welt – ist eine
Atmosphäre entstanden, in der sich jüdische Menschen seit vielen Jahren
treffen, zusammenleben, sich einander annähern und voneinander lernen –
und das alles ohne Gift – ohne jene Seitenhiebe und Nackenschläge, an
denen das jüdische Leben selbst in den kleinsten Ansiedlungen aller
Länder derzeit so reich ist […]. Liegt der Grund darin, dass ein
seltsames Kuriosum jüdische Menschen gerade hier, an den Ufern der Spree
zusammengeführt hat, die in derselben Richtung denken, dieselben Ziele
haben und einem Lehrhaus angehören? Gewiss – nicht. […] Oft ist es ja
nicht der schmale Tisch im ›Romanischen Café‹ oder im ›Cafe Trumpf‹, der
uns in unserem Weltverständnis voneinander trennt, sondern ein tiefer
ideologischer Abgrund. Und doch ist es Realität: Wir verstehen uns – und
ich wage sogar zu sagen: Wir schätzen uns als Gegner […]. […] Wenn ich
es recht bedenke, ist dies ein ›Luxus‹, den man sich andernorts
schwerlich erlauben kann.«
Jeschajahu Klinow, Ein Brief an Daniel Charney – A briw zu Daniel Tscharnin (jiddisch), in: Jidische Schtime (Kowno), 27. Dezember 1932
Jeschajahu Klinow: A briw zu Daniel Tscharnin (jiddisch), 1932. Sprecher: Rafael Goldwaser
Jeschajahu Klinow: Ein Brief an Daniel Charney (dt. Version), 1932. Sprecher: Gerd Wameling
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