Vor über einem Jahr endete am Jüdischen Museum die Sonderausstellung mit dem Titel »Die ganze Wahrheit…was Sie schon immer über Juden wissen wollten«. Übrig blieben – neben regen Diskussionen und leeren Schaukästen – Tausende pinkfarbener Post-its. Besucher hatten ihre Fragen, Kommentare und Eindrücke nach dem Ausstellungsbesuch an eine Betonwand geklebt und dem Museum hinterlassen. Entstanden war eine Art analoges Facebook, das über die Ausstellungsinhalte hinausging. Besucher kommentierten sich gegenseitig und warfen neue Fragen auf: zur Geschichte der Juden in Deutschland, zum Nahostkonflikt, zum Verhältnis von Christentum und Judentum und immer wieder zum Thema Beschneidung. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Jüdische Museum Berlin schon beschlossen, dem brisanten Thema nicht nur einen weiteren Blogbeitrag in der Serie »Frage des Monats«, sondern eine ganze Ausstellung zu widmen.
Wir erinnern uns: Im Mai 2012 hatte ein Kölner Landgericht ein umstrittenes Urteil gefällt und die rituelle Beschneidung von Jungen durch einen Arzt als Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches erklärt. Die richterliche Entscheidung löste eine breite öffentliche Debatte aus: Was bedeutet Religionsfreiheit? Wer entscheidet über das Kindeswohl? Wie viel Differenz erträgt eine säkulare Gesellschaft? Wer ist das Wir und wer das Ihr?
In unserer neuen Sonderausstellung »Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung« setzen wir an diesem Punkt an und beleuchten –aus der Perspektive der drei monotheistischen Religionen – die Frage nach der Bedeutung des Beschneidungsrituals. Wir tun das mit den Mitteln kulturhistorischer Ausstellungen: mit Gemälden, Skulpturen, Fotografien, mit Ritual- und Alltagsgegenständen sowie einer ganzen Reihe von Filmausschnitten.
In Vorbereitung auf die Ausstellung haben wir uns die Post-its mit Fragen zur Beschneidung noch einmal angesehen. Warum die Beschneidung in der jüdischen Tradition von zentraler Bedeutung ist, erfahren Sie ab dem 23. Oktober in unseren Ausstellungsräumen. Die Frage, warum Prinz Charles beschnitten ist, bleibt allerdings unbeantwortet.
Martina Lüdicke, Sonderausstellungen
Hallo Martina und Team,
ein schwieriges Thema habt ihr euch da ausgesucht. Aber ist das nicht die Rolle von Aufklärung, Kommunikation in einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft?
Ich denke, dass viele Menschen Vorurteile haben, die sich sogar für liberal halten.
Tradition ist in Deutschland ein schwieriges, schweres Wort. Wenn man seine christliche Tradition nur partiell, passiv lebt ist es schwer andere Religionstraditionen zu verstehen.
Es sei denn, man sieht alles mit den Augen eines Kindes, vollkommen Neutral erstmal.
Die Berührung mit dem Jüdischen ist zwar besser geworden, allerdings gibt es so viele Mythen, Missverständnisse und sogar Desinteresse. Letzteres eine der Hauptgründe für Apathie mit statt Empathie mit Anderen, obwohl es keine Anderen gibt, sondern nur Menschen, die unterschiedlich leben, aber gemeinsam leben in dieser einen Welt vieler Farben, Schattierungen, Optionen.
Martina, ich frage mich, als Hamburger, ob ihr solche Ausstellungen in Hamburg anbietet?
Es wäre zumindest auch hier eine gute Idee, das jüdische Leben über Berlin hinaus in Deutschland zu erleben, jenseits von Klischees und gut gemeinten Aktionen.
Danke.
Nic Hammaburg, Gründer und Blogger okhamburg.de/koscher-essen/