Unsere schönsten „Muskeljuden“
In einer leidenschaftlichen Rede beim zweiten Zionistischen Kongress am 28. August 1898 in Basel prägte Max Nordau den Begriff des Muskeljudentums. Der Arzt, Publizist und Mitbegründer der jungen zionistischen Bewegung sagte:
„Der Zionismus erweckt das Judentum zu neuem Leben. Das ist meine Zuversicht. Er bewirkt dies sittlich durch Auffrischung der Volksideale, körperlich durch die physische Erziehung des Nachwuchses, der uns wieder das verloren gegangene Muskeljudentum schaffen soll.“
Damit sollte nicht nur das verbreitete Bild des körperlich schwachen Juden ersetzt, sondern die Schaffung eines neuen, physisch starken „Judentums“ gefördert werden. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Drei Monate nach seiner Ansprache wurde der erste jüdische Sportverein unter dem Namen Bar Kochba in Berlin gegründet, benannt nach dem Anführer des jüdischen Aufstands gegen die Römer in Judäa in den Jahren 132 bis 135. Unter der Überschrift „Muskeljudentum“ bezeichnete Nordau ihn in einem Beitrag für die neue Vereinszeitung „Jüdische Turnzeitung“ als „letzte weltgeschichtliche Verkörperung des kriegsharten, waffenfrohen Judentums“
. Er rief den Juden zu, „wieder an unseren ältesten Ueberlieferungen an[zuknüpfen]: [Dann] werden wir wieder tiefbrüstige, strammgliedrige, kühnblickende Männer“.
Nordaus Appell wurde gehört. Die Jüdische Sportbewegung gewann schnell an Popularität. 1903 wurde der Dachverband Makkabi gegründet, ein Name, der wiederum die Erinnerung an die kämpferischen Jüdinnen*Juden der fernen Vergangenheit im Banner trug: Die Makkabäer*innen hatten in den Jahren 168 bis 165 v.d.Z. erfolgreich gegen das Seleukidenreich gekämpft und den geschändeten Tempel in Jerusalem wieder eingeweiht (woran jedes Jahr während des Chanukkafests erinnert wird). Bis 1930 wuchs die Mitgliederschaft der Makkabi-Bewegung auf fast 40.000 Mitglieder in 24 Ländern an, und im Jahr 1932 fand in Tel Aviv ihr erster internationaler Sportwettbewerb statt: die Makkabiade.
Im Museumsarchiv des Jüdischen Museums Berlin befindet sich ein Bericht zur ersten Makkabiade aus der Feder von Felix Simmenauer, der als Staffelläufer Mitglied der deutschen Mannschaft war:
„Das Stadion ist knackend voll. Ich schätze 30 bis 40.000 Menschen. […] Jetzt verkündet der Präsident des Makkabi-Weltverbandes: "Ich habe die Ehre, die Eröffnung der ersten Makkabiah anzukündigen." Trompeter blasen, die Scouts hissen die Fahne, Trommelwirbel. Ein Taubenschlag wird geöffnet, und die Tauben fliegen mit einem Schildchen mit der Inschrift "Die 1. Makkabiah 5692 ist eröffnet" hinaus. Die Musikkapellen spielen, die Fahnenträger gehen wieder zurück zu ihren Landsmannschaften, und es beginnt jetzt der Vorbeimarsch aller Landsmannschaften mit den geöffneten Fahnen vor dem Präsidium des Weltverbandes und den Tribünen. Der Zug gibt ein grandioses Bild und mit grosser Begeisterung ist das Publikum bei diesem Schauspiel.“
Während ich diesen Text schreibe, steht in wenigen Tagen die Eröffnung der 14. European Maccabi Games in Berlin bevor. So findet zum ersten Mal die größte jüdische Sportveranstaltung Europas in Deutschland statt. Grund genug, hier einige unserer „Muskeljüdinnen*juden“ zu präsentieren. Alle Bilder wurden von dem Fotografen Herbert Sonnenfeld in den Jahren 1935 bis 1938 aufgenommen. Also in einer Zeit, in der alle jüdischen Sportler*innen bereits aus öffentlichen, paritätischen Vereinen ausgeschlossen wurden und zwangsläufig in die jüdischen Klubs wechseln mussten. Felix Simmenauer beendete seinen Bericht mit einer abschließenden Beurteilung der ersten Makkabiade:
„Es war ein grosses und grossartiges Fest, und ich freue mich, dass auch ich zu einem Teil an dem Zustandekommen mitgearbeitet habe. Vom kampfsportlichen Standpunkt aus war die Makkabiah weniger bedeutungsvoll. Sie hatte ihren grossen Wert in der Demonstration, den Massenvorführungen, dem Aufmarsch. Es war ein Massenfest nach Art der Turnfeste der Deutschen Turnerschaft. […] Die gesamte Organisation war überaus exakt, und ich weiss nicht, ob wir in Deutschland ein jüdisches Sportfest so gut organisiert hätten.“
Wir wünschen der Leitung der European Maccabi Games in Berlin ein gutes Händchen!
Aubrey Pomerance, Archivleiter, während der Maccabi Games in Berlin auf Beerenjagd in den Rocky Mountains
Zitierempfehlung:
Aubrey Pomerance (2015), Unsere schönsten „Muskeljuden“.
URL: www.jmberlin.de/node/9307