Direkt zum Inhalt

Das Vermächtnis einer langen Karriere gegen alle Widerstände

Die Filmhistorikerin Claudia Dillmann über die Artur-Brauner-Filmsammlung in unserer Bibliothek

Schwarz-Weiß-Fotografie: Artur Brauner steht inmitten anderer Trauergäste, er hält die linke Hand an sein Kinn und winkelt den rechten Arm an

Artur Brauner auf der Trauerfeier für Heinz Galinski am 24.07.1992, Fotografie von Michael Kerstgens; Jüdisches Museum Berlin

Der Filmproduzent und Schoa­überlebende Artur Brauner hat unserem Museum 21 Filme zu den Themen Schoa und National­sozialismus gestiftet (zur Filmliste auf unserer Website). Am 7. Mär 2016 würdigte unser Haus die Schenkung mit einem Thementag im Beisein Artur Brauners und seiner Familie.

Vorab befragten wir Claudia Dillmann zu Artur Brauner und dem Reiz seiner Film­produktionen insbesondere für ein jüdisches Museum. Die Film­historikerin leitet das Deutsche Film­institut in Frankfurt am Main, initiierte das Internet­portal filmportal.de und ist ausge­wiesene Artur-Brauner-Expertin. Uns erzählte sie von Brauners Interesse für die Opfer der NS-Verbrechen, seiner Verehrung für Romy Schneider, professioneller Misch­kalkulation und vom deutschen Publikums­geschmack.

Liebe Frau Dillmann, wie repräsentativ ist unsere Artur-Brauner-Film­sammlung für das gesamte Film­schaffen von Brauner?

Claudia Dillmann: Die Filme, die Artur Brauner dem Jüdischen Museum Berlin über­lassen hat, sind insofern repräsentativ, als sie den einen – ihm besonders am Herzen liegenden – Pol seines Schaffens darstellen: die Auseinander­setzung mit dem Holocaust, dem 49 seiner Familien­mitglieder zum Opfer gefallen sind. Diese Filme sieht er als sein „Vermächtnis“, an dem er seit Beginn seiner Karriere arbeitet. Sie sind den Opfern des NS-Regimes gewidmet und bilden einen Zyklus, der für ihn bis heute noch nicht abgeschlossen ist. In ihnen stellte er die Verfolgten des NS-Terrors und die Traumata seiner eigenen Vergangen­heit in immer neuen Facetten dar.

Aufgrund der Themen fanden diese Filme in Deutschland meist nur ein kleines Publikum und wurden für ihn häufig zu finanziellen Flops. Finanzieren konnte er diese Filme hauptsächlich mit den Einnahmen seiner erfolgreichen Unterhaltungs­filme, die er über die Jahr­zehnte produziert hat und bei denen er stärker darauf bedacht war, den Massen­geschmack zu bedienen. Sie bilden den anderen, für die Geschichte des bundes­republikanischen Nachkriegs­film nicht weniger relevanten Pol seines Schaffens.

Seine Misch­kalkulation zeugt von den professionellen Standards einer Filmproduktion, die vom Beginn der 1950er für rund drei Jahrzehnte kontinuierlich Dramaturgen, Drehbuch­autoren, Kulissen­bauer, Beleuchter, Kamera­männer, Regisseure, erfahrene Film- und Theater­schauspieler beschäftigen konnte. Ab den 1980er-Jahren legte Artur Brauner dann den finanziellen Gewinn immer seltener als Maßstab seines Erfolgs an. Zusammen­genommen stellen die von ihm produzierten Filme eine Mentalitäts­geschichte der Bundes­republik dar.

Was macht Artur Brauners Produktionen spannend, insbesondere für ein jüdisches Museum?

Spannend sind natürlich ganz unter­schiedliche Aspekte in den vielen Filmen, die Artur Brauner im Laufe seines Schaffens zum Holocaust produziert hat. Entstanden sind sie zunächst aus seiner eigenen Erfahrung als Überlebender, als unmittelbar Betroffener. Die Filme fragen in aller Regel nicht nach den Ursachen des National­sozialismus, sie fragen nicht nach den Tätern, sie schauen auf die Opfer. Das sind in seinen Filmen vielfach Kinder und Jugendliche.

Schon in seiner zweiten Produktion, Morituri, die 1947/48 unter abenteuer­lichen Bedingungen entstand, schildert er eine Gruppe von KZ-Flüchtlingen, die sich im Wald vor ihren Verfolgern verstecken. Der Ensemble­film will etwas von der Anonymität und ungeheuer­lichen Zahl der Opfer des national­sozialistischen Terrors vermitteln, aller Opfer, aller Nationen, unabhängig davon, weshalb die Nazis sie verfolgten. Morituri erteilt in einer Schlüssel­szene etwa der These einer Kollektiv­schuld eine Absage und versagt sich die kollektive Vergeltung.

Gleichzeitig offenbart die Rezeption des Films schon zu Beginn der Karriere Artur Brauners alle Widerstände, die er auch bei seinen kommenden Filmen dieses Zyklus überwinden musste: Desinteresse bis hin zur offenen Ablehnung der Filme durch das bundes­deutsche Kino­publikum und fehlende Anerkennung durch die bundes­deutsche Kritik. Ein Beispiel dafür ist etwa der Film Hitlerjunge Salomon (1989/90, Regie: Agnieszka Holland), der trotz überaus positiver inter­nationaler Kritiken, seines Publikums­erfolgs in den USA und einer Auszeichnung mit dem renommierten Golden Globe von der deutschen Auswahl­kommission nicht als deutscher Beitrag für den Oscar eingereicht wurde. Ich vermute, dass der Film mit seiner irrwitzigen, aber wahren Geschichte gegen hierzu­lande verbreitete Vorstellungen von der politisch korrekten Verarbeitung des Holocaust verstieß. Was eigentlich unfassbar ist. Bis heute sieht sich Artur Brauner um die reale Chance gebracht, sein Lebens­werk mit einem Oscar zu krönen. Zu Recht.

Porträtfoto von Claudia Dillmann.

Claudia Dillmann; Foto: Deutsches Film­institut/Uwe Dettmar

Dass diese Filme nun vollständig im Jüdischen Museum Berlin zugänglich gemacht und in der museums­pädagogischen Arbeit eingesetzt werden, ist großartig. Sind doch einige von ihnen nicht auf DVD verfügbar und somit einer breiteren Öffentlichkeit unzugänglich. Besonders der jüngeren Generation werden die Filme eine Beschäftigung und Auseinander­setzung mit den Nazi-Verbrechen und deren Aus­wirkungen ermöglichen.

Den Film Hitlerjunge Salomon sehen bei uns heute Berliner Schülerinnen und Schüler und haben im Anschluss Gelegenheit, Artur Brauner in einem Zeitzeugen­gespräch ihre Fragen zu stellen. Heute Abend zeigen wir in unserer Montags­kino-Reihe dann öffentlich den Film-Klassiker von 1982 Die Spazier­gängerin von Sans-Souci mit Romy Schneider in ihrer letzten Rolle. Können Sie auch etwas zu diesem Film sagen? Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere daran?

Das ist natürlich in gewisser Weise schon Romy Schneider selbst, die nicht nur in ihrer letzten, sondern auch in einer Doppel­rolle zu sehen ist. Ihre heraus­ragende Leistung an der Seite von Michel Piccoli wurde schon in der zeit­genössischen Kritik hervorgehoben, während der Film insgesamt vielen Kritikern allerdings zu konstruiert wirkte. Romy Schneiders zentrale Rolle für den Film zeigt sich auch daran, dass der Film am Anfang ihrem verstorben Mann und Sohn gewidmet ist. Letzterer war nur wenige Monate zuvor tödlich verunglückt. Zudem wurde die Schau­spielerin in der Öffentlich­keit als eine Person wahr­genommen, die ein starkes Bewusst­sein für die deutschen Kriegs­verbrechen hatte und die Vergangen­heit ihrer Heimat und Familie hinter­fragte. Artur Brauner hat Romy Schneider sehr verehrt, und es war ihm ein Anliegen, als Co-Produzent an diesem deutsch-französischen Film mitzu­arbeiten.

Besonders interessant erscheint jedoch, dass das Ende des Films damals in zwei unter­schiedlichen Fassungen in den Kinos gezeigt wurde. Die Bild­ebene ist mehr oder weniger identisch, aber in der deutschen Fassung entfiel der in der französischen Fassung einge­blendete Text, der über das weitere Schicksal der Protagonisten Auskunft gibt, nämlich dass sie wenig später von Neonazis erschossen wurden. Es erstaunt an dieser Stelle, dass Artur Brauner, sonst Kon­frontationen nicht scheuend, diese Änderung zuließ, mit Rücksicht auf den deutschen Publikums­geschmack, wie es hieß. Was eine Menge aussagt.

Die Artur-Brauner-Ecke in unserem Lesesaal.

Einige der Artur-Brauner-Filme sind nicht mehr im freien Handel erhältlich. In unserem Lese­saal aber können Sie sich die Filme in einer mit Brauners Unter­stützung eigens dafür einge­richteten gemütlichen Film­lounge ansehen; CC-BY Jüdisches Museum Berlin, Foto: Mirjam Bitter

Schon im Jahr 1989 haben Sie Artur Brauners Archiv zur wissenschaft­lichen Auswertung an das Deutsche Filmmuseum geholt und anschließend eine Aus­stellung dazu gestaltet. Würden Sie noch etwas über Brauner selbst sagen? Was macht ihn als Menschen und Produzenten aus?

Mit seinen bald 98 Jahren und sieben Geschäfts­jahr­zehnten ist Artur Brauner eine Ausnahme­erscheinung, die, wenn er sich denn Ruhe gönnte, auf über 300 Kinofilm­produktionen zurückblicken kann – eine rekord­verdächtige Zahl. Er ist ein Film­besessener, der rastlos seine Vorstellung vom qualitäts­vollen Unterhaltungs­film umzusetzen trachtet. Er hat immer in Hoch­spannung gelebt und gearbeitet, sprung­bereit, ruhelos und agil. Er hat auch hart und professionell verhandelt, sonst wäre dieses Lebens­werk nicht möglich gewesen. Mit diesen Eigen­schaften erkämpfte er sich, auch gegen Wider­stände, in den 1950er-Jahren einen Platz ganz oben in der Branche und der bundes­deutschen Gesell­schaft. Das war ja damals nicht selbst­verständlich für einen polnischen Juden, der nur mit einem Koffer in das zerstörte Berlin gekommen war.

Ich selbst habe ihn in den 27 Jahren, in denen ich ihn kenne, immer als fair, großzügig, witzig, charmant und klug erlebt. Als jemanden, der es ernst meint mit seinen Filmen, gerade mit denen über den Holocaust. Bis heute treibt er aktiv Projekte voran, teilt sich aber seit einigen Jahren die Geschäfts­führung mit seiner Tochter Alice, die selbst eine hervor­ragende Produzentin geworden ist. Und nur er hat über mehrere Jahr­zehnte eine Serie von Filmen „made in Germany“ geschaffen, die ergreifend und verstörend das Andenken an die Verfolgten des Nazi-Regimes bewahrt.

Herzlichen Dank für diese Einblicke!

Das Gespräch führte Mirjam Bitter, Blog­redaktion

Mehr über Artur Brauners Schaffen erfahren Sie in folgenden Veröffentlichungen Claudia Dillmanns:

  • Dillmann-Kühn, Claudia, Artur Brauner und die CCC. Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946–1990. Mit einer Filmographie von Rüdiger Koschnitzki und einem Anhang von Bernd Eichhorn, Frankfurt am Main 1990.
  • Dillmann, Claudia, „Zu bittere Kräuter. Zeugin aus der Hölle. Die Produktion und Rezeption eines ›riskanten‹ Films“. In: Claudia Dillmann, Ronny Loewy (Hg.): Die Vergangenheit in der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holocaust im deutschen Nachkriegsfilm, Frankfurt am Main 2001.
  • Dillmann, Claudia, „Der Filmproduzent Artur Brauner“. In: Artur Brauner. Produzent, Producer. Hg. v. Goethe-Institut Inter Nationes, München 2002.
  • Dillmann, Claudia (Hg.), 2 x 20. Juli. Die Doppelverfilmung von 1955, Frankfurt am Main 2004.
  • Dillmann, Claudia, „Der Tycoon“. In: Ihn gibt’s nur einmal. Artur Brauner zum 90. Geburtstag, Frankfurt am Main 2008, S. 8-13.

Blick auf ein Artur-Brauner-Plakat im Lesesaal.

Unser Lesesaal befindet sich in der von Daniel Libeskind gestalteten W. Michael Blumenthal Akademie unserem Museum gegenüber; CC-BY Jüdisches Museum Berlin, Foto: Mirjam Bitter

Zitierempfehlung:

Mirjam Bitter (2016), Das Vermächtnis einer langen Karriere gegen alle Widerstände. Die Filmhistorikerin Claudia Dillmann über die Artur-Brauner-Filmsammlung in unserer Bibliothek.
URL: www.jmberlin.de/node/10241

Links zu Themen, die Sie interessieren könnten

Teilen, Newsletter, Kontakt