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Lauter Fragen, die es in sich haben: »Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten«

Presseinformation

Pressemitteilung von Mi, 20. März 2013

Woran erkennt man einen Juden? Wie wird man Jude? Sind die Juden besonders geschäftstüchtig? Darf man über den Holocaust Witze machen? Glauben Juden an den Satan?

30 Fragen führen Besucher ab dem 22. März durch die Ausstellung „Die ganze Wahrheit … was Sie schon immer über Juden wissen wollten“ (22. März bis 1. September 2013). 
Es sind Fragen von Besuchern an ein Jüdisches Museum und Fragen, die Erwachsene und Schüler an das Judentum stellen. Sie wurden über Monate aus der Fülle wiederkehrender Fragen in Foren, Gästebüchern des Museums und aus Erfahrungen der Museumsmitarbeiter ausgewählt.

Kontakt

Pressestelle
T +49 (0)30 259 93 419
presse@jmberlin.de

Postadresse

Stiftung Jüdisches Museum Berlin
Lindenstraße 9–14
10969 Berlin

Dreiklang aus Frage, Objekt und Zitat

Die Fragen werden jeweils mit einer Installation „beantwortet“, die Objekte, Zitate und Texte miteinander in Beziehung setzt. Eine eindeutige oder gar „richtige“ Antwort bekommt der Besucher nicht, sondern je nach Sprecher oder Akteur unterschiedliche Perspektiven. Insgesamt präsentiert die Schau 180 Objekte aus Religion, Alltagswelt und zeitgenössischer Kunst, die einen Einblick in jüdisches Denken, innerjüdische Identitätsdebatten und das Verhältnis zur nichtjüdischen Umwelt geben.

„Juden in Vitrinen“

Zu der Frage „Gibt es noch Juden in Deutschland?“ präsentiert die Ausstellung ein höchst ungewöhnliches ›Exponat‹. Zu ausgewählten Zeiten wird ein jüdischer Gast in einer Vitrine Platz nehmen und – wenn gewünscht – auf Fragen und Kommentare der Besucher reagieren. Damit wird ein Fehdehandschuh aufgegriffen, den Kritiker Jüdischer Museen ihren Gründungsinitiatoren vor die Füße warfen. Der Vorwurf wurde geäußert, Juden könnten als Schauobjekte missbraucht werden und der Neugierde von Voyeuren ausgesetzt sein. Andere wiederum verglichen die exponierte Rolle der Juden in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten, die vielen als Symbol für Millionen Ermordeter galt, mit Objekten einer Ausstellung. Der Journalist Richard C. Schneider beispielsweise kommentierte 2001 nach Eröffnung des Jüdischen Museums Berlin seine eigene Position als Jude mit dem Satz: „Ich bin ein lebendiges Ausstellungsstück. Leute, die in meiner Person zum ersten Mal in ihrem Leben einem Juden begegnen, reagieren oft irritiert. […] Plötzlich werde ich betrachtet wie in einer Vitrine, wie ein seltenes Exemplar unter Glas, das man eigentlich nicht kennt, aber zu kennen glaubt. […].“ Auf der Suche nach der „ganzen Wahrheit“ haben Besucher nun die Gelegenheit, sich dieser Irritation zu stellen.

Unorthodoxer Umgang mit provokativen Fragen

Die Frage „Wer ist ein Jude?“ beantwortete Israels erster Premierminister David Ben Gurion 1951 selbstironisch mit der Bemerkung: „Für mich gilt jeder als Jude, der meschugge genug ist, sich selbst einen zu nennen.“ Während kurz nach der Staatsgründung Israels jeder als Jude anerkannt wurde, der sich dazu bekennen mochte, stehen heute liberale Auslegungen orthodoxen Vorstellungen streitbar gegenüber. Das wahnhafte Bedürfnis nach wissenschaftlich überprüfbaren Provenienzkriterien hat neue Geschäftsmodelle befördert, die durch den genetischen Nachweis der Herkunft die mühevolle Aneignung von kulturellem Wissen überflüssig zu machen scheint. Ein für die Ausstellung beauftragter DNA-Test eines professionellen Anbieters, der mit der Behauptung „Genetisch gehören die Juden zu den faszinierendsten Völkern der Erde. […]“ für sich wirbt, verspricht per Zertifikat, Haplogruppe, Urvolk und Ursprungsregion genetisch nachweisen zu können.

Während die unterschiedlichen jüdischen Gemeinschaften damit beschäftigt sind, zu klären, wen sie in ihre Reihen aufnehmen wollen, sind sich Nichtjuden oft nicht ganz sicher, mit wem sie es zu tun haben. In einem Raum mit der Fragestellung „Jude oder nicht?“ flanieren Besucher durch einen Gang mit 12 großformatigen Portraits von historischen und aktuellen Berühmtheiten, über deren jüdische Identität man sich nicht ganz sicher sein kann.

Der Umgang mit der Frage „Sind die Juden auserwählt?“ zeigt, dass mit dem Konzept der Auserwähltheit keineswegs eine Überlegenheit der Juden über andere Völker und Gruppen gemeint ist. Die Präsentation einer geschmückten Tora-Rolle gibt die Richtung vor, in den Worten von Leonard Fein: „How odd of God to choose the Jews. / But how on earth could we refuse? …“

Momente der fraglichen Gewissheit

Mit Münzen dürfen Besucher abstimmen, ob sie Juden für besonders geschäftstüchtig, intelligent, schön oder tierlieb halten. Am Ende der Ausstellung wird offenbart, zu welchem Ergebnis die Abstimmung gekommen ist.

Nicht zuletzt wird auch die sensible Frage aufgeworfen: „Darf man über den Holocaust Witze machen?“ Ausschnitte aus US-Comedy-Serien zeigen, dass in den USA Witze möglich sind, die in Deutschland nur Oliver Polak wagt. Ob dabei Grenzen überschritten werden oder gelacht werden kann, soll jeder Besucher für sich entscheiden.

Die Zitate und Exponate zur Frage „Steht Deutschland in einer besonderen Beziehung zu Israel?“ werden zum Panoptikum deutsch-israelischer Beziehungen: So stehen neben einem Staatsgeschenk für Bundespräsident Joachim Gauck auch das berühmte Luxemburger Abkommen von 1952 mit den Unterschriften der Außenminister Konrad Adenauer und Moshe Scharett. Einen Kontrast dazu bilden die Exponate von „Masterchef“ Tom Franz, der über Nacht zum berühmtesten Deutschen in Israel wurde, als er sich gegen eine arabische Krankenschwester und eine orthodoxe Hausfrau im Kochduell durchsetzte.

„Woran erkennt man einen Juden?“

Eine Installation führt Besucher unter 70 jüdischen Kopfbedeckungen hindurch und entlang: Schtreimel, Borsalino, Miznefet, Kippa mit Mercedesstern oder mit Angry Birds – orthodox, witzig oder kommerziell, Eingeweihten erschließen sich viele Nuancen sofort. Einige jüdische Kopfbedeckungen sind historisch aus Kleiderordnungen entstanden und können bis heute auch als Zeichen religiöser wie ideologischer und politischer Identifikation und Zugehörigkeit gelesen werden. Andere sind diskrete Signale einer nach außen demonstrierten Zusammengehörigkeit.

„Ask the Rabbi“

Eine lebensgroße Filminstallation gibt Besuchern einen interessanten Einblick in alltägliche und nicht alltägliche Fragen zum Judentum. Sieben in Deutschland amtierende Rabbiner antworten auf unterschiedlichste Fragen zum Umgang mit religiösen Gesetzen im Alltag: Kann man ohne Beschneidung Jude sein? Kann man aufhören, Jude zu sein? Was bedeuten Jesus und Mohammed für das Judentum?

„Frage des Monats“

Die „Die ganze Wahrheit… was Sie schon immer über Juden wissen wollten“ greift mit Witz, Gelassenheit und Provokation viele aktuelle und gesellschaftliche Debatten auf, stellt Gegenfragen und sensibilisiert für stereotype Bilder sowie Denkmuster. Im Epilog der Ausstellung werden Besucher aufgefordert, ihre Fragen und Kommentare an eine Wand zu kleben – die nächsten Besucher reagieren, kommentieren oder hinterfragen das Gepostete. Bis September wird daraus die aktuelle „Frage des Monats“ ausgewählt und in einem Videoblog kommentiert.

Im Blog des Jüdischen Museums Berlin können Sie einen Blick hinter die Kulissen der Sonderausstellung werfen.

Zur Ausstellung erscheint das JMB Journal 2013/Nr. 8 und kann zu einem Preis von vier EUR erworben werden.

Die Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin entstand in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Hohenems und mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.

Medienpartner: 
Wall AG, zittyBerlin, Yorck Kinogruppe, Dussmann das KulturKaufhaus

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