Im Augenblick
Fotografien von Fred Stein
Diese Retrospektive präsentierte Fred Steins vielschichtiges und umfangreiches Werk erstmals in Deutschland und zeigte über 130 Schwarz-Weiß-Fotografien mit Straßenansichten aus Paris und New York, aber auch zahlreiche Porträts.
Zur Veranschaulichung von Biografie und Arbeitsweise des Fotografen wurden zudem private Dokumente, Original- und Kontaktabzüge ausgestellt.
Ausstellung bereits beendet

Wo
Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
Fred Stein
Ein Augenblick kann entscheidend sein – im Leben wie in der Fotografie. Für den Fotografen Fred Stein waren es diese kurzen Momente, die sein Leben bestimmten, persönlich wie beruflich.
Die Kuratorinnen Theresia Ziehe und Jihan Radjai geben eine kurze Einführung in die Ausstellung; Jüdisches Museum Berlin
Als Sohn eines Rabbiners 1909 in Dresden geboren, wurde der überzeugte Sozialist Fred Stein nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen gezwungen, seine Position als Jurist aufzugeben und Deutschland zu verlassen. 1933 konnte er unter dem Vorwand einer Hochzeitsreise mit seiner Frau Lilo nach Paris fliehen.
Dort stand er vor der Herausforderung, aus dem Nichts eine neue Existenz aufbauen zu müssen. Eine Kleinbildkamera der Marke Leica, die sich Fred und Lilo Stein gemeinsam zur Hochzeit schenkten, gab den entscheidenden Impuls: Die Fotografie wurde seine neue Profession.

Fred Stein, fotografiert von Lilo Stein (1910-1997), Paris 1937; Estate of Fred Stein CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Fred Stein, fotografiert von Lilo Stein (1910-1997), Paris 1937; Estate of Fred Stein CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Fred Stein
In Paris konnte Fred Stein nach kurzer Zeit ein eigenes Fotostudio einrichten. Bereits ab 1935 beteiligte er sich an mehreren Ausstellungen, zusammen mit namhaften Fotografen wie Ilse Bing, Brassaï, Man Ray, Dora Maar und André Kertész.
Nach Ausbruch des Krieges mussten die Steins mit ihrer 1938 geborenen Tochter erneut fliehen.
1941 erreichte Familie Stein mit einem der letzten Schiffe New York. Dort nahm Fred Stein die Fotografie wieder auf und nutzte, neben der Leica, eine Mittelformatkamera der Marke Rolleiflex. Die einfache Handhabung dieser Kameras ermöglichte es ihm, durch die Straßen zu flanieren und die Stadt und ihre Menschen in kurzen, aber entscheidenden Augenblicken festzuhalten. Zeit seines Lebens konzentrierte Fred Stein sich auf Straßenansichten und Porträts.
Fred Steins Biografie (Überblick)
1909 | Alfred (Fred) Stein wird am 3. Juli als Kind der Religionslehrerin Eva Stein (geb. Wollheim) und des Rabbiners Leopold Stein in Dresden geboren |
---|---|
1919–1927 | Besuch des König-Georg-Gymnasiums in Dresden Mitglied der sozialistischen Jugendbewegung und der jüdischen Jugendgruppe „Die Kameraden“ |
1927–1932 | Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Berlin und Leipzig, anschließend Referendariat in Dresden und Bautzen Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), einer linken Abspaltung der SPD |
1933 | Entlassung als Rechtsreferendar und Ablehnung der Doktorarbeit aufgrund des Berufsverbots im August: Heirat mit Liselotte (Lilo) Salzburg im Oktober: Flucht nach Paris |
ab 1934 | Aufenthalt in Paris Fotografiert mit der Leica Straßenansichten und Porträts Gründung eines eigenen Fotostudios |
1935 | Erste Ausstellung gemeinsam mit namhaften Fotografen wie Ilse Bing, Brassaï, Man Ray, Dora Maar und André Kertész |
1938 | Geburt der Tochter Marion |
1939–1941 | Deportation und Internierung in verschiedenen Lagern für feindliche Ausländer Flucht durch Südfrankreich zu Fuß, dort Wiedersehen mit Frau und Tochter |
1941 | im Mai: Ausreise von Marseille in die USA auf der SS Winnipeg mit Hilfe von Varian Fry und dem Emergency Rescue Committee – im Gepäck seine Negative und einige ausgewählte Abzüge Fotografiert in New York weiterhin Straßenansichten und Porträts, jetzt auch mit der Rolleiflex |
1943 | Geburt des Sohnes Peter |
1950 | Fred Stein muss wegen eines schweren Hüftleidens die Straßenfotografie aufgeben |
1952 | Einbürgerung in die USA |
1958 | Erste Deutschlandreise nach der Flucht vor 25 Jahren |
1967 | Fred Stein stirbt am 27. September im Alter von 58 Jahren in New York |
Soziologie der Straße
In den Städten seiner Emigration – in den 1930er-Jahren in Paris und ab den 1940er-Jahren in New York – fotografierte Fred Stein unzählige Straßenansichten, darunter auch Aufnahmen aus den jüdischen Vierteln.
Fred Stein
Neben klassischen Motiven der beiden Metropolen entstanden zahlreiche Milieustudien und Charakterbilder. Sie stehen in einem soziologischen Kontext von Armut und einfachem Leben in der Stadt und zeigen Straßenarbeiter*innen, Verkäufer*innen, Obdachlose und Familienszenen.
Fred Steins Blick verbindet das Alltägliche mit einem Sinn für den außergewöhnlichen Moment. Ebenso fällt sein Humor ins Auge, der in vielen seiner Bilder aufblitzt.
Psychologie des Porträts
Fred Stein bemühte sich, die Personen, die er porträtierte, vor der Aufnahme kennenzulernen. Er setzte sich mit deren Werk und Denken auseinander. Nicht selten trat das Foto zugunsten hitziger Diskussionen in den Hintergrund. Oft wurde erst am Ende eines Treffens das Negativ belichtet. Viele Porträts enthalten so noch Spuren der Gespräche.
Fred Stein
Über 1200 Porträts entstanden auf diese Weise. Sie lesen sich heute wie ein Who's who prominenter Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Fred Stein verzichtete auf dramatische Lichteffekte oder nachträgliche Retuschen. Der Sinn der Porträtfotografie bestand für ihn darin, „einen Ersatz (im Wege der Fotografie) für den lebenden Menschen zu schaffen, ein Bild, das über den äußeren und inneren Menschen aussagt“
, wie er in einem Brief darlegte.
Porträtaufnahmen von Fred Stein

Hannah Arendt (1906–1975)
Fred Stein fotografierte Hannah Arendt in den Jahren 1941 bis 1966 mehrmals. In einem Brief von 1964 schreibt er an sie:
„Ihr Eichmann-Bericht hat nicht nur seinen Wert darin, dass er über den Prozess hinaus auf lange Zeit die Diskussion wach hält, er ist fast ausnahmslos auch von solcher Eindringlichkeit und Verantwortlichkeit in der Sache und im Ton, (…) das wird eine objektivere Geschichtsbetrachtung in naher Zukunft sicher bald uneingeschränkt loben (…).“
Hannah Arendt antwortet kurz danach Fred Stein:
„(…) ich bin der ehrlichen Meinung, dass Sie einer der besten zeitgenössischen Porträtfotografen sind.“
Fred Stein, Hannah Arendt, New York 1944; Estate of Fred Stein

Albert Einstein (1879–1955)
Fred Stein schuf mit diesem Porträt eine der bekanntesten Fotografien des Nobelpreisträgers für Physik. Ursprünglich wollte Einstein sich nicht porträtieren lassen, willigte schließlich doch für zehn Minuten ein. Letzten Endes wurden aus den zehn Minuten zwei Stunden, in denen sich die zwei Herren angeregt unterhielten und sich gegenseitig Witze erzählten.
Fred Stein, Albert Einstein, Princeton 1946; Estate of Fred Stein

Willy Brandt (1879–1955)
Willy Brandt und Fred Stein waren beide Mitglieder der SAPD. Sie kannten sich bereits aus der Pariser Emigration und blieben sich lebenslang freundschaftlich verbunden. 1983 schreibt Willy Brandt:
„Als ich Fred kennenlernte, waren wir beide Flüchtlinge, die mit eher bescheidenen Mitteln gegen das totalitäre Nazi-Regime kämpften. Zu seiner Zeit zählte er unbedingt zur Avantgarde, ein begnadeter Fotograf, angetrieben von seiner Sehnsucht nach Gerechtigkeit und dem Streben nach Wahrheit, was sich klar und deutlich in seinen Aufnahmen widerspiegelt. Dieser Mann hatte ganz zweifellos eine Vision, wovon die Menschen und Sujets, die er auswählte eindeutig Zeugnis ablegen.“
Fred Stein, Willy Brandt, New York 1957; Estate of Fred Stein

Arnold Zweig (1887–1968)
Die Sehschwäche von Arnold Zweig stellte Fred Stein auf eine Geduldsprobe. In einem Aufsatz schreibt er „seine Brille terrorisiert mich“ – die schweren Gläser der Brille reflektierten jedes Licht. Der einzige Ausweg war die Wahl einer anderen Perspektive. Als Zweig den Kopf zufällig neigt, findet Stein den richtigen Moment für die Aufnahme.
Fred Stein, Arnold Zweig, Paris 1937; Estate of Fred Stein

Egon Erwin Kisch (1885–1948)
Fred Stein bewunderte die Reportagen von Egon Erwin Kisch und diskutierte mit ihm lange über Politik. Erst beim Verabschieden fiel ihm auf, dass er noch kein einziges Negativ belichtet hatte und hielt Kisch, den sogenannten rasenden Reporter, passend in Mantel, Hut und Zigarette fest.
Fred Stein, Egon Erwin Kisch, Versailles 1936; Estate of Fred Stein
Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin, kuratiert von Theresia Ziehe und Jihan Radjai.
Mitschnitt der Ausstellungseröffnung am 21. November 2013 mit den Redebeiträgen der Kuratorinnen Theresia Ziehe und Jihan Radjai; Jüdisches Museum Berlin
Informationen zur Ausstellung im Überblick
- Wann 22. Nov 2013 bis 4. Mai 2014
- Wo Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie
Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin
Zum Lageplan
Fred Steins Sohn Peter spricht bei der Ausstellungseröffnung am 21. November 2013 (auf Englisch); Jüdisches Museum Berlin
Weitere Stationen der Ausstellung
Düsseldorf | Fred Stein: Auf dem Weg. Dresden – Paris – New York 17. Jan bis 4. Jun 2017 Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf |
---|---|
Dresden | Fred Stein. Dresden – Paris – New York 28. Apr bis 7. Okt 2018 Stadtmuseum Dresden |
Unterstützer
Für die freundliche Unterstützung danken wir Peter Stein und Dawn Freer und der US-Botschaft.

Medienpartner
