Die Kamera ist ein Gefängnis
Objekttag Berlin: Valentin Lutset
„Zeigen Sie uns Ihre Geschichte!“ – dieser Einladung folgen seit 2017 Jüdinnen*Juden, die uns für das Projekt Objekttage ihre Migrationsgeschichte erzählen.
Diese Kamera war ein Geschenk zum ersten Schultag. Nach der Perestroika haben alle Schulkinder diese analoge Kamera geschenkt bekommen. Es ist eine SMENA, russisch СМЕНА, sie wurde von 1953 bis 1991 in der UdSSR produziert. Wenn ich das Wort Kamera höre, denke ich an eine Kammer, eine Knastkammer. Es ist sehr dunkel in einer Knastkammer, genau wie in einem Fotoapparat, wo nur ein bisschen Licht durch die Blende kommt. Die Blende kannst Du justieren, wie, hängt vom Menschen ab, der die Kamera benutzt: wie will ich die Welt draußen wahrnehmen, wie sehe ich die Welt? So stelle ich meine Kamera ein, so stelle ich meine Sicht ein. Die Besonderheit ist genau in diesem Innenraum der Kamera, Licht rein, Belichtungszeit, Blende, die Empfindlichkeit. Das zeigt den Menschen, diese Empfindlichkeit, seine Seele, seinen Verstand, sein Herz. Diese Erkenntnis, diese Parallele ist für mich als Fotograf, zumindest als Fotokünstler, sehr wichtig. Weil ich genau diese Scheißkamera als Geschenk im ersten Schuljahr bekommen habe. Deswegen habe ich sie mitgebracht.
Was hat meine Kamera mit Migration zu tun? Der erste Film dieser Kamera wurde falsch belichtet, er wurde rausgezogen und war komplett leer. Es ist, als ob das Leben, das hinter einem liegt, alles, was man bis dahin gesehen hat – das ist gelöscht. Andererseits kannst du einen Film jahrelang benutzen. Du kannst ein Bild pro Jahr machen, dann kannst du 36 Jahre mit einem Film fotografieren. Ein halbes Leben auf einem Film. Der Name der Kamera „Smena“ bedeutet auf Deutsch „Wechsel“. Ich assoziiere damit, etwas Altes hinter sich zu lassen und etwas Neues anzufangen.
Objekttage: Berlin (7)