Auf der Suche nach einer neuen Museumsdefinition
Dokumentation des Streitgesprächs „Quo vadis Museum?“ am 30. Januar 2020 im Jüdischen Museum Berlin
Alina Gromova
Das Jüdische Museum Berlin veranstaltete am 30. Januar 2020 zusammen mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin ein Gesprächsduell unter dem Titel „Quo vadis Museum?“. Damit wurde eine der wichtigsten aktuellen Debatten über die Zukunft der Museen weltweit aufgegriffen – die Diskussion über den Vorschlag einer neuen Museumsdefinition des Internationalen Museumsrats, ICOM. Das Gespräch zwischen Léontine Meijer-van Mensch, ICOM Executive Board und Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens, und Markus Walz, ICOM Deutschland und Professor für Theoretische und Historische Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, wurde von fünf Student*innen des Masterstudiengangs Museumsmanagement und -kommunikation der HTW Berlin moderiert.
Die Idee, dass ein Museum und Studierende einer Hochschule gemeinsam eine Veranstaltung konzipieren und umsetzen können, kam Susan Kamel von der HTW Berlin und Alina Gromova vom Jüdischen Museum Berlin schon im November 2019. Sie wollten damit verschiedene Prozesse, Inhalte und Standpunkte transparent machen, die mit den aktuellen hitzigen Debatten über den Vorschlag einer neuen Museumsdefinition des ICOM, in Deutschland und international, einhergingen. Denn im Jahr zuvor hat das ICOM Executive Board Empfehlungen des MDPP Komitees (ICOM Committee for Museum Definition, Prospects and Potentials, 2017–2019) angenommen, den Prozess der Neuinterpretation und des Umformulierens der aktuellen Museumsdefinition in Einklang mit den ethischen, politischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu beginnen.
Die Abstimmung über die „neue alternative Museumsdefinition“, die im September 2019 in Kyoto stattfinden sollte, musste jedoch verschoben werden. Eine Initiative, an der sich 34 von insgesamt 157 nationalen und internationalen ICOM-Komitees, darunter auch ICOM Deutschland, beteiligten, bat um die Aufschiebung des Abstimmungsprozesses um mindestens ein Jahr. Nach dem Votum der Delegierten wurde die Abstimmung über die „neue alternative Museumsdefinition“ verschoben.
Das Streitduell im Jüdischen Museum Berlin, das anfangs als Diskussion vor einem überschaubaren Kreis von Fachleuten geplant war, traf auf ein überwältigendes Interesse von über 400 Zuschauer*innen. An diesem Abend entstand im bunt beleuchteten Glashof des Jüdischen Museums ein neues Format: Das Duell beider Kontrahent*innen, die ihre Meinungen zugespitzt formulierten, wurde von fünf Student*innen, Johannes Berger, Leonie Erbe, Kristina Iskova, Rebecca Stoll und Luna Weis moderiert. Sie lieferten Hintergründe zu der Debatte um die neue Museumsdefinition, stellten Fragen und achteten auf die gleichen Redeanteile beider Panelist*innen. Ein Diskussionsformat à la TV-Duell wurde geboren!
Wie liefen die Findungsprozesse der neuen Museumsdefinition ab?
Zum Anfang der Debatte verwiesen die Moderator*innen auf eine Kontroverse: Einerseits sei die Suche nach der neuen Museumsdefinition laut Suay Aksoy, der Präsidentin von ICOM International, der demokratischste Prozess gewesen, den es bei ICOM jemals gegeben hatte. So wurden 2015/2016 weltweit 37 Runde Tische abgehalten. Die Teilnehmer*innen aus 39 Ländern diskutierten dabei über die Herausforderungen, denen sich Museen international in Zukunft stellen müssen. Basierend auf den Ergebnissen dieser Diskussionen sprach das MDPP Komitee des ICOM eine deutliche Empfehlung aus: Wir brauchen eine neue Museumsdefinition, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht. In einem nächsten Schritt wurden alle ICOM-Mitglieder aufgerufen, ihre Vorschläge für Museumsdefinitionen auf der Website von ICOM zu teilen (über 250 Vorschläge kamen zusammen). Allerdings, so die Moderator*innen weiter, weisen einige Gegenstimmen öffentlich darauf hin, der Kyoto-Beschlussvorschlag zur Neufassung der ICOM-Museumsdefinition würde die auf der ICOM-Website zitierten Definitionsvorschläge nicht repräsentieren. Damit sei der Prozess der Definitionsfindung ihrer Meinung nach nicht demokratisch verlaufen.
Dieser Kritik begegnete Léontine Meijer-van Mensch aus ihrer Perspektive: Allein die Tatsache, dass eine so große Organisation wie der Weltmuseumsverband mit 40 000 Mitgliedern, 20 000 Museen und 157 nationalen und internationalen Komitees einen solchen Findungsprozess starte, sei an sich schon sehr demokratisch. Auch sei dieser dreijährige Prozess sehr transparent verlaufen, denn von Jahr zu Jahr diskutierten ICOM-Gremien über die Ergebnisse der Runden Tische auf den Jahrestreffen in Paris und gaben mit Mehrheit der Stimmen für den weiteren Verlauf des Prozesses „grünes Licht“.
Während Léontine Meijer-van Mensch den demokratischen Verlauf des Prozesses betonte, zog Markus Walz die demokratische Struktur von ICOM grundsätzlich in Zweifel. Zwar sei Demokratie ein grundlegendes Gut, allerdings funktioniere ICOM satzungsgemäß anders als ein Staat. In der Struktur des ICOM sei nicht vorgesehen, dass jedes Mitglied die gleiche Mitbestimmungsberechtigung habe. Vielmehr versuche die Struktur von ICOM, die Bandbreite der Welt in den entsprechenden Beschlussgremien abzubilden und nicht die Menge seiner Mitglieder, so Walz.
Welche Rolle spielte ICOM Deutschland im gesamten Prozess?
In einem weiteren Kommentar verwiesen die Moderator*innen auf den (oben bereits verlinkten) Brief, in dem 34 von 157 nationalen und internationalen ICOM-Komitees, darunter auch ICOM Deutschland, den Vorschlag der neuen alternativen Museumsdefinition abgelehnt hätten und dadurch die geplante Abstimmung in Kyoto aufhielten. Die Moderator*innen zitierten weiter einen Blogeintrag von Beate Reifenscheid, der Präsidentin von ICOM Deutschland, in dem sie in Bezug auf Kyoto Folgendes erwähnte:
„Eine Weile schien alles offen zu sein und man unterstellte uns, die wir definitiv für eine konstruktive Änderung oder auch völlige Neufassung waren, zeitweise nicht nur einen eurozentristischen Blick, sondern sogar undemokratisches Verhalten. Demokratie verstehen wir jedoch immer noch so, dass alle im Prozess der Meinungsfindung sich sowohl für als auch gegen etwas entscheiden dürfen und nicht unreflektiert einfach das gleiche Lied singen zu müssen.“
Anschließend wollten die Moderator*innen wissen, warum ICOM Deutschland keinen Runden Tisch in Deutschland veranstaltete und wie sein Vorstand mit der Verantwortung umgegangen sei, eine Diskussion über die neue Museumsdefinition in Deutschland unter seinen Mitgliedern voranzutreiben? Eine weitere Frage lautete: Wie lief der Prozess in Deutschland ab und wie beurteilen die beiden Referent*innen ihn insgesamt?
Markus Walz berichtete, dass er die aktuellen Änderungen in der Museumsdefinition ursprünglich anders eingeschätzt hatte. Er habe mit einer Vorlage in Kyoto gerechnet, die man mit der letzten wesentlichen Umformung des Textes der Museumsdefinition aus dem Jahr 1974 vergleichen könne. Damals habe es sich lediglich um neue oder veränderte Begriffe gehandelt, so Walz. Deshalb habe er eine ähnliche Entwicklung erwartet. So erinnert er an das 16. Internationale Bodensee-Symposium, das ICOM Deutschland 2018 gemeinsam mit ICOM Österreich und ICOM Schweiz veranstaltete, wo die „untere Grenze“ der Museumsdefinition thematisiert wurde. In der Diskussion darüber, was ein Museum sei und was nicht mehr, wurde eine produktive Tagung geschaffen, so Walz weiter. Auf die Frage nach den fehlenden Runden Tischen in Deutschland gab er den Ball an Léontine Meijer-van Mensch zurück: Dies sei nicht seine Entscheidung, sondern eine Entscheidung auf der Weltebene gewesen.
Daraufhin betonte Léontine Meijer-van Mensch, dass jedes nationale Komitee selbst die Verantwortung dafür trug, einen Runden Tisch in seinem Land abzuhalten oder nicht abzuhalten. Im Fall von Deutschland sei das nicht passiert. Das MDPP Standing Komitee konzentrierte sich unter anderem darauf, die Länder des globalen Südens in den Diskussionsprozess einzubeziehen. Damit wollte man die eurozentrische Perspektive durchbrechen, um bestimmte Themen, die mit Dekolonisierung oder Asymmetrie zu tun hätten, anzugehen. Viele der Runden Tische, an denen fast 900 Kolleg*innen und Aktivist*innen teilgenommen hätten, wurden in den Ländern des globalen Südens wie z.B. Brasilien, Costa Rica oder Kenia abgehalten. Der Input aus diesen Diskussionen wurde anschließend in den Weltverband zurückgespiegelt. Meijer-van Mensch betonte noch einmal, dass über den Prozess, den sie hier beschreibe, von den ICOM-Gremien wie das Executive Board, das Advisory Council und einer Anzahl von anwesenden nationalen und internationalen ICOM-Komitees auf mehreren Jahrestreffen in Paris positiv abgestimmt wurde. Sie wundere sich deshalb sehr darüber, warum am Ende des Prozesses eine grundsätzliche Neuaufstellung des ICOM durch die neue Museumsdefinition in Kyoto boykottiert werde.
Brauchen Museen eine Definition oder eher eine Vision?
Den nächsten Teil der Diskussion eröffneten die Moderator*innen mit den Worten von Jette Sandahl, der Vorsitzenden des ICOM-Komitees Museum Definition, Prospects and Potentials (MDPP):
„In December 2018 the ICOM Executive Board has decided that it is time to develop an alternative definition which will be more relevant and appropriate for museums in the 21st century and future museum landscapes. It should be a definition which recognizes the dissimilar conditions and practices of museums in diverse and rapidly changing societies, and supports museums in developing and adopting new scientific paradigms and addressing more adequately the complexities of the 21st century.“ (Jette Sandahl: „The Museum Definition as the Backbone of ICOM“, in Museum International 71 (2019) Issue 1-2, online zugänglich unter https://doi.org/10.1080/13500775.2019.1638019)
Laut Sandahl handele es sich bei dem neuen Vorschlag für die Museumsdefinition auch um eine Vision: Weil Museen so divers seien, müssen sie nicht unbedingt alle Kriterien dieser Definition erfüllen, um von ICOM als Museen anerkannt zu werden, bemerkt Sandahl in der Ausgabe von Museum International zur Museumsdefinition. Wenn ICOM in Zukunft keine Definition, sondern nur eine Vision hat – wie wird sich das konkret auf die Häuser auswirken? – lautete die Frage der Moderator*innen.
Léontine Meijer-van Mensch äußerte ihren Zweifel daran, dass ICOM im Jahr 2020 auf dem Weg sei, eine universelle Definition zu formulieren:
„Ich glaube, wir sind darüber hinweg. Brauchen wir noch eine universelle Definition, die für jede Situation, vor allem global gesehen, Sinn macht? Ich glaube nicht, dass das die Aufgabe des ICOM ist, eine universelle Definition bereit zu stellen, die in der Gesetzgebung aller Länder der Welt verwendet werden kann.“
Meijer-van Mensch betonte, dass man heute möglicherweise unterschiedliche Definitionen für unterschiedliche Zwecke braucht. So könne der aktuelle Kyoto-Beschlussvorschlag sicher nicht als Kriterium für die Entscheidungen über eine ICOM-Mitgliedschaft gelten. Allerdings stehe dieser Vorschlag nicht im Widerspruch zum ICOM Code of Ethics – und diesen müssen alle ICOM-Mitglieder schließlich akzeptieren. Sie fasste zusammen: Wenn Museen von ICOM, der maßgeblichen Stimme der internationalen Museumswelt, unterstützt werden wollen, kann eine Vision diesem Zweck dienen.
Auf die Frage, ob man sich von einer Definition verabschieden und stattdessen eine Vision als Grundlage für die Arbeit der Museen geltend machen soll, argumentierte Markus Walz mit den Statuten des ICOM: Artikel 3 der ICOM-Statuten lege fest, wer Mitglied bei ICOM sein kann – dafür sei die Definition notwendig. Artikel 2 der ICOM-Statuten sei die Mission von ICOM, die vor wenigen Jahren neu überarbeitet wurde, so Walz. Aus seiner Perspektive mache es keinen Sinn, an zwei unterschiedlichen Stellen das Selbe zu schreiben. Im Grunde genommen gehe es hier um die Mitgliedschaft. Und weil man begründen muss, wer bei ICOM Mitglied werden darf und wer nicht, müssen bestimmte Kriterien gelten. Auch sei es in Deutschland nicht möglich, öffentliche Fördergelder zu bekommen, ohne gefragt zu werden, ob die Eigendarstellung der ICOM-Museumsdefinition genügt. Es gäbe mehrere Länder – überwiegend in Europa –, bei denen die Museumsdefinition in die staatliche Gesetzgebung übergegangen sei, so Walz. Daher ist auch die rechtliche Frage, ob man überhaupt ein Museum eröffnen darf, an die ICOM-Museumsdefinition gebunden.
Ist ein Museum ein Ort, an dem politische Diskussionen stattfinden sollen?
Die nächste Frage der Moderator*innen galt der politischen Rolle der Kultureinrichtungen im Allgemeinen und der Museen im Besonderen. Als Beispiel wurde das Maxim Gorki Theater in Berlin genannt, das sich aktiv gegen Rechtspopulismus engagiert. Die rechtspopulistische Partei AfD versuchte 2018 dem Theater deshalb seine Daseinsberechtigung abzusprechen. Immer wieder, so Moderator*innen, werde öffentlichen Institutionen ihr politisches Engagement mit der Begründung vorgeworfen, das Neutralitätsgebot zu unterwandern. Der Kyoto-Beschlussvorschlag für die neue Museumsdefinition gäbe für solche Situationen eine deutliche Antwort – dort seien Museen als „spaces for critical dialogue about the pasts and the futures“ definiert. Museen werden hier also nicht als neutrale Orte gesehen.
Bei dieser Frage kam Markus Walz noch einmal auf die zentrale Rolle einer Museumsdefinition zu sprechen. Seiner Meinung nach existiere „das Museum“ nur in dem Maße, in dem es einen Definitionstext gibt, der Grenzen ziehen kann: Das Eine liegt in der Grenze dessen, was ein Museum sei, und das Andere liegt draußen. Auch würde die Mehrzahl der deutschen Museen von Leuten in ihrer Freizeit zum Vergnügen betrieben. Und in diesem Fall, so Walz, solle eine Privatperson selbst entscheiden, ob sie in ihrer Arbeit politisch sein will oder nicht. Die öffentlich-rechtlich finanzierten Museen hätten hingegen eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen, und diese Aufgaben kommen durch den demokratischen Beschluss zustande. In diesem Fall ist für Walz die Frage: Wie lautet der Auftrag und wie wird er erfüllt?
Léontine Meijer-van Mensch rief die Ergebnisse der Runden Tische in Erinnerung, die in einem globalen Kontext durchgeführt wurden. Die Teilnehmer*innen dieser Runden Tische hätten einen starken Wunsch artikuliert, Museen als Agency zu begreifen, um bestimmte Thesen, die uns bewegen, aufzugreifen – und da gehört nun mal Dekolonisierung und natürlich die Frage der Repatriierung dazu. Und gerade in diesem Kontext sei es wichtig, dass Museen Haltung annehmen und sich positionieren. Weiter betonte Meijer-van Mensch, dass es in diesem Zusammenhang sehr darauf ankommt, aktivistischer zu sein, auch wenn man sich in Deutschland damit etwas schwer tut.
Wie geht es weiter mit der neuen Museumsdefinition?
Léontine Meijer-van Mensch berichtete, dass demnächst eine neue MDPP 2 Gruppe ihre Arbeit aufnehmen und in den nächsten drei Jahre durchführen wird. Anschließend soll über den neuen Vorschlag abgestimmt werden. Die MDPP 2 Gruppe wurde unter anderem um einige Vorsitzende der Nationalkomitees ergänzt, die an dem bisherigen Prozess Kritik übten. So sei in dieser erweiterten Gruppe zum Beispiel ein Repräsentant von ICOM France dabei – einem ICOM-Komitee, das in der Vergangenheit den Prozess stark kritisierte. Meijer-van Mensch betonte, dass ICOM eine lernende Institution sei, die demnach auch aus den Fehlern lernen würde. Am Schluss äußerte sie die Hoffnung, dass im zweiten Durchlauf die Kritik weniger persönlich und weniger emotional verhandelt werde.
Markus Walz berichtete über den Zwischenstand der Arbeit von ICOM Deutschland, das zum Thema Museumsdefinition bereits einiges gemacht habe: Bei der überhaupt ersten Mitgliederumfrage waren die Mitglieder von ICOM Deutschland eingeladen, kleinere Textbestandteile der bisher geltenden Definition und des Kyoto-Vorschlags zu bewerten. An dieser Mitgliederbefragung hätten sich 302 Personen mit laufender Mitgliedschaft beteiligt. Auch wurden Mitglieder von ICOM Deutschland für den 20. März 2020 eingeladen, den Dialog zum Thema Museumsdefinition in einem Mitgliederforum fortzusetzen.
[Anmerkung: Aufgrund von Sicherheitsmaßnahmen in Verbindung mit der Ausbreitung des Coronavirus musste das Mitgliederforum verschoben werden. Ein Termin für das virtuelle Mitgliederforum des ICOM Deutschland wird demnächst bekannt gegeben.]
Publikumsfragen
Während der Podiumsdiskussion wurden die Besucher*innen aufgerufen, mithilfe ihrer Smartphones über die App slido ihre Fragen an die beiden Referent*innen zu stellen und diese über „likes“ zu priorisieren. Alina Gromova und Susan Kamel fungierten als Botschafterinnen des Publikums und moderierten die Publikumsdiskussion.
Eine der Fragen aus dem Publikum lautete:
Werden zukünftig Anreize geschaffen, um die Diversität in den personellen Strukturen von musealen Institutionen zu erhöhen? Wenn ja, wie sehen diese aus? Und wie sieht es um die Diversität der beiden Verbände, ICOM International und ICOM Deutschland, aus?
Léontine Meijer-van Mensch betonte, dass ICOM immer noch zu europäisch und zu weiß ist. Diese Tatsache sollten wir, so Meijer-van Mensch, auch bei uns selbst kritisch beleuchten, ansonsten kämen wir als ICOM nicht weiter. Sie kenne viele junge Menschen, die gar nicht bei ICOM tätig sein möchten und zu anderen Foren gehen, weil sie sich von ICOM nicht mehr inspiriert fühlen. Sie habe immer gesagt, dass sie entweder versucht, diese Institution zu verändern, oder sie geht weg. Meijer-van Mensch appellierte, dass ICOM sich öffnen müsse.
Auf die Nachfrage, welche konkreten Anreize sie als Arbeitgeberin schaffen könne, um die Diversität in ihrer Institution zu erhöhen, sagte Meijer-van Mensch, dass sie tatsächlich versucht, anders auf professionelle Biografien zu schauen und sich dabei die Frage zu stellen: Was ist eine Expertise und welche museale Expertise brauchen wir? Brauche ich eine gradlinige Biografie, um in einem Museum zu arbeiten, oder gibt es im Sinne der Diversität andere Biografien, die sonst gleich herausgefiltert werden? Sie betonte auch die Bedeutung der kulturellen Diversität, die sie als Leiterin eines ethnologischen Museums berücksichtigen müsse.
Eine weitere Frage aus dem Publikum mit vielen „likes“ lautete:
Inwieweit ist die Debatte um die neue Museumsdefinition, die wir gerade führen, ein Generationenkonflikt?
Auf die Anmerkung von Léontine Meijer-van Mensch, die Bilder der letzten ICOM-Deutschland-Tagung zeigten viele graue Köpfe, reagierte Markus Walz mit dem Argument der Altersdiskriminierung. Er betonte, er könne nichts für sein Alter. Worauf hier abgehoben wird, so Walz weiter, stehe im Zusammenhang mit dem sogenannten Museumsboom, bei dem es zu einem massiven Stellenaufwuchs gekommen sei. Damals seien überwiegend junge Leute ins Museumswesen gekommen und sie seien jetzt leider alle ziemlich alt. In den jungen Bundesländern, erklärte Walz, sei das Phänomen auf eine ganz andere Art und Weise genau so zustande gekommen: Durch den systematischen Personalabbau der letzten 30 Jahre seien die Wenigen, die man da nicht herausgesetzt habe, heute alle deutlich über 60. Man könne sie nicht dafür bestrafen, dass ihr Lebensweg so erfolgt ist, und sagen: Ihr seid überhaupt nicht altersmäßig nach der Alterspyramide aufgestellt. Das könne man ihnen nicht vorwerfen, betonte Walz.
Léontine Meijer-van Mensch stimmte dem letzten Satz von Markus Walz zu: Auch sie sei der Meinung, dass man niemandem sein Alter vorwerfen könne. Man könne aber die Situation kritisch reflektieren und sich selbst auch eine bestimmte Haltung zulegen und sagen: Ich versuche es in meinem Wirkungskreis zu verändern. An ihrem Museum gäbe es viele Kolleg*innen, die heute 60 oder etwas älter sind und teilweise schon seit 40 Jahren in einem Museum arbeiten würden. Deshalb denke sie darüber nach, wie sie diese erfahrenen Kolleg*innen in einer Mentor*innen-Partnerschaft mit den jungen Kolleg*innen zusammenbringen könnte.
Zum Schluss äußerten sich beide Referent*innen zu der Publikumsfrage:
Für welche drei Begriffe in der neuen Museumsdefinition würden Sie sich entscheiden?
Markus Walz: „Dinge, Dokumentieren, Vermitteln.“
Léontine Meijer-van Mensch: „Haltung, Verantwortung, ein kritischer Umgang mit unserem musealen institutionellen Erbe.“
Wir bedanken uns bei allen herzlich für die anregende Diskussion!
Zitierempfehlung:
Alina Gromova (2020), Auf der Suche nach einer neuen Museumsdefinition. Dokumentation des Streitgesprächs „Quo vadis Museum?“ am 30. Januar 2020 im Jüdischen Museum Berlin.
URL: www.jmberlin.de/node/7021