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Auf der Suche nach einer neuen Museums­definition

Dokumentation des Streit­gesprächs „Quo vadis Museum?“ am 30. Januar 2020 im Jüdischen Museum Berlin

Alina Gromova

Das Jüdische Museum Berlin veranstaltete am 30. Januar 2020 zusammen mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin ein Gesprächs­duell unter dem Titel „Quo vadis Museum?“. Damit wurde eine der wichtigsten aktuellen Debatten über die Zukunft der Museen weltweit aufgegriffen – die Diskussion über den Vorschlag einer neuen Museums­definition des Internationalen Museums­rats, ICOM. Das Gespräch zwischen Léontine Meijer-van Mensch, ICOM Executive Board und Direktorin der Staatlichen Ethno­graphischen Sammlungen Sachsens, und Markus Walz, ICOM Deutschland und Professor für Theoretische und Historische Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, wurde von fünf Student*innen des Master­studiengangs Museums­management und -kommunikation der HTW Berlin moderiert.

Die Idee, dass ein Museum und Studierende einer Hochschule gemeinsam eine Veranstaltung konzipieren und umsetzen können, kam Susan Kamel von der HTW Berlin und Alina Gromova vom Jüdischen Museum Berlin schon im November 2019. Sie wollten damit verschiedene Prozesse, Inhalte und Standpunkte transparent machen, die mit den aktuellen hitzigen Debatten über den Vorschlag einer neuen Museums­definition des ICOM, in Deutschland und international, einhergingen. Denn im Jahr zuvor hat das ICOM Executive Board Empfehlungen des MDPP Komitees (ICOM Committee for Museum Definition, Prospects and Potentials, 2017–2019) angenommen, den Prozess der Neu­interpretation und des Umformulierens der aktuellen Museums­definition in Einklang mit den ethischen, politischen, sozialen und kulturellen Heraus­forderungen des 21. Jahrhunderts zu beginnen.

Empfehlungen des MDPP

Recommendations and report submitted by the Committee for Museum Definition, Prospects and Potentials (MDPP) – in englischer Sprache
Volltext in einem Artikel auf tandfonline.com

Die Abstimmung über die „neue alternative Museums­definition“, die im September 2019 in Kyoto stattfinden sollte, musste jedoch verschoben werden. Eine Initiative, an der sich 34 von insgesamt 157 nationalen und internationalen ICOM-Komitees, darunter auch ICOM Deutschland, beteiligten, bat um die Aufschiebung des Abstimmungs­prozesses um mindestens ein Jahr. Nach dem Votum der Delegierten wurde die Abstimmung über die „neue alternative Museums­definition“ verschoben.

Das Streitduell im Jüdischen Museum Berlin, das anfangs als Diskussion vor einem überschau­baren Kreis von Fachleuten geplant war, traf auf ein über­wältigendes Interesse von über 400 Zuschauer*innen. An diesem Abend entstand im bunt beleuchteten Glashof des Jüdischen Museums ein neues Format: Das Duell beider Kontrahent*innen, die ihre Meinungen zugespitzt formulierten, wurde von fünf Student*innen, Johannes Berger, Leonie Erbe, Kristina Iskova, Rebecca Stoll und Luna Weis moderiert. Sie lieferten Hinter­gründe zu der Debatte um die neue Museums­definition, stellten Fragen und achteten auf die gleichen Redeanteile beider Panelist*innen. Ein Diskussions­format à la TV-Duell wurde geboren!

Invitation to postpone ICOM's Extraordinary General Assembly

Brief, in dem 34 ICOM-Komitees, darunter auch ICOM Deutschland, den Vorschlag der neuen alternativen Museums­definition ablehnen (in englischer Sprache)
Zum PDF auf network.icom.museum

Referent:innen stehen auf einer Bühne, davor sitzt das Publikum.

Johannes Berger (links) stellt eine Frage an die beiden Panelist*innen Markus Walz und Léontine Meijer-van Mensch (Mitte). Neben ihm steht die Moderatorin Luna Weis, ihnen gegenüber haben sich die Moderatorinnen Kristina Iskova, Leonie Erbe und Rebecca Stoll im Glashof des Jüdischen Museums Berlin positioniert; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jule Roehr.

Wie liefen die Findungs­prozesse der neuen Museums­definition ab?

Zum Anfang der Debatte verwiesen die Moderator*innen auf eine Kontroverse: Einerseits sei die Suche nach der neuen Museums­definition laut Suay Aksoy, der Präsidentin von ICOM International, der demokratischste Prozess gewesen, den es bei ICOM jemals gegeben hatte. So wurden 2015/2016 weltweit 37 Runde Tische abgehalten. Die Teilnehmer*innen aus 39 Ländern diskutierten dabei über die Heraus­forderungen, denen sich Museen international in Zukunft stellen müssen. Basierend auf den Ergebnissen dieser Diskussionen sprach das MDPP Komitee des ICOM eine deutliche Empfehlung aus: Wir brauchen eine neue Museums­definition, die den Heraus­forderungen des 21. Jahrhunderts entspricht. In einem nächsten Schritt wurden alle ICOM-Mitglieder aufgerufen, ihre Vorschläge für Museums­definitionen auf der Website von ICOM zu teilen (über 250 Vorschläge kamen zusammen). Allerdings, so die Moderator*innen weiter, weisen einige Gegen­stimmen öffentlich darauf hin, der Kyoto-Beschluss­vorschlag zur Neufassung der ICOM-Museums­definition würde die auf der ICOM-Website zitierten Definitions­vorschläge nicht repräsentieren. Damit sei der Prozess der Definitions­findung ihrer Meinung nach nicht demokratisch verlaufen.

Dieser Kritik begegnete Léontine Meijer-van Mensch aus ihrer Perspektive: Allein die Tatsache, dass eine so große Organisation wie der Weltmuseums­verband mit 40 000 Mitgliedern, 20 000 Museen und 157 nationalen und inter­nationalen Komitees einen solchen Findungs­prozess starte, sei an sich schon sehr demokratisch. Auch sei dieser dreijährige Prozess sehr transparent verlaufen, denn von Jahr zu Jahr diskutierten ICOM-Gremien über die Ergebnisse der Runden Tische auf den Jahres­treffen in Paris und gaben mit Mehrheit der Stimmen für den weiteren Verlauf des Prozesses „grünes Licht“.

Während Léontine Meijer-van Mensch den demo­kratischen Verlauf des Prozesses betonte, zog Markus Walz die demokratische Struktur von ICOM grundsätzlich in Zweifel. Zwar sei Demokratie ein grundlegendes Gut, allerdings funktioniere ICOM satzungs­gemäß anders als ein Staat. In der Struktur des ICOM sei nicht vorgesehen, dass jedes Mitglied die gleiche Mitbestimmungs­berechtigung habe. Vielmehr versuche die Struktur von ICOM, die Bandbreite der Welt in den entsprechenden Beschluss­gremien abzubilden und nicht die Menge seiner Mitglieder, so Walz.

Über die Verschiebung der Abstimmung

In diesem Artikel findet sich auch das Zitat von Suay Aksoy: “This has been one of the most democratic processes in the history of ICOM.” (in englischer Sprache)
Zum Artikel auf icom.museum

Vorschläge für Museums­definitionen

Alle eingereichten Vorschläge auf icom.museum

Wir brauchen eine neue Museumsdefinition, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht. (MDPP Komitee des ICOM)

Welche Rolle spielte ICOM Deutschland im gesamten Prozess?

In einem weiteren Kommentar verwiesen die Moderator*innen auf den (oben bereits verlinkten) Brief, in dem 34 von 157 nationalen und internationalen ICOM-Komitees, darunter auch ICOM Deutschland, den Vorschlag der neuen alternativen Museums­definition abgelehnt hätten und dadurch die geplante Abstimmung in Kyoto aufhielten. Die Moderator*innen zitierten weiter einen Blog­eintrag von Beate Reifenscheid, der Präsidentin von ICOM Deutschland, in dem sie in Bezug auf Kyoto Folgendes erwähnte:

„Eine Weile schien alles offen zu sein und man unterstellte uns, die wir definitiv für eine konstruktive Änderung oder auch völlige Neufassung waren, zeitweise nicht nur einen euro­zentristischen Blick, sondern sogar undemo­kratisches Verhalten. Demokratie verstehen wir jedoch immer noch so, dass alle im Prozess der Meinungs­findung sich sowohl für als auch gegen etwas entscheiden dürfen und nicht unreflektiert einfach das gleiche Lied singen zu müssen.“

Anschließend wollten die Moderator*innen wissen, warum ICOM Deutschland keinen Runden Tisch in Deutschland veranstaltete und wie sein Vorstand mit der Verantwortung umgegangen sei, eine Diskussion über die neue Museums­definition in Deutschland unter seinen Mitgliedern voranzutreiben? Eine weitere Frage lautete: Wie lief der Prozess in Deutschland ab und wie beurteilen die beiden Referent*innen ihn insgesamt?

Die neue Museums­definition: ein Blog von innen

Beitrag von Beate Reifenscheid vom 8. Oktober 2019
Zum Artikel auf icom-deutschland.de

Markus Walz berichtete, dass er die aktuellen Änderungen in der Museums­definition ursprünglich anders eingeschätzt hatte. Er habe mit einer Vorlage in Kyoto gerechnet, die man mit der letzten wesentlichen Umformung des Textes der Museums­definition aus dem Jahr 1974 vergleichen könne. Damals habe es sich lediglich um neue oder veränderte Begriffe gehandelt, so Walz. Deshalb habe er eine ähnliche Entwicklung erwartet. So erinnert er an das 16. Internationale Bodensee-Symposium, das ICOM Deutschland 2018 gemeinsam mit ICOM Österreich und ICOM Schweiz veranstaltete, wo die „untere Grenze“ der Museums­definition thematisiert wurde. In der Diskussion darüber, was ein Museum sei und was nicht mehr, wurde eine produktive Tagung geschaffen, so Walz weiter. Auf die Frage nach den fehlenden Runden Tischen in Deutschland gab er den Ball an Léontine Meijer-van Mensch zurück: Dies sei nicht seine Entscheidung, sondern eine Entscheidung auf der Welt­ebene gewesen.

Markus Walz spricht. In seiner Hand ein Mikrophon. Hinter ihm steht Léontine Meijer-van Mensch.

Im Glashof des Jüdischen Museums Berlin antwortet Markus Walz auf eine Frage; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jule Roehr.

Die euro­zentrische Perspektive durch­brechen

Daraufhin betonte Léontine Meijer-van Mensch, dass jedes nationale Komitee selbst die Verantwortung dafür trug, einen Runden Tisch in seinem Land abzuhalten oder nicht abzuhalten. Im Fall von Deutschland sei das nicht passiert. Das MDPP Standing Komitee konzentrierte sich unter anderem darauf, die Länder des globalen Südens in den Diskussions­prozess einzubeziehen. Damit wollte man die eurozentrische Perspektive durchbrechen, um bestimmte Themen, die mit Dekolonisierung oder Asymmetrie zu tun hätten, anzugehen. Viele der Runden Tische, an denen fast 900 Kolleg*innen und Aktivist*innen teilgenommen hätten, wurden in den Ländern des globalen Südens wie z.B. Brasilien, Costa Rica oder Kenia abgehalten. Der Input aus diesen Diskussionen wurde anschließend in den Welt­verband zurück­gespiegelt. Meijer-van Mensch betonte noch einmal, dass über den Prozess, den sie hier beschreibe, von den ICOM-Gremien wie das Executive Board, das Advisory Council und einer Anzahl von anwesenden nationalen und internationalen ICOM-Komitees auf mehreren Jahres­treffen in Paris positiv abgestimmt wurde. Sie wundere sich deshalb sehr darüber, warum am Ende des Prozesses eine grund­sätzliche Neu­aufstellung des ICOM durch die neue Museums­definition in Kyoto boykottiert werde.

Brauchen Museen eine Definition oder eher eine Vision?

Den nächsten Teil der Diskussion eröffneten die Moderator*innen mit den Worten von Jette Sandahl, der Vorsitzenden des ICOM-Komitees Museum Definition, Prospects and Potentials (MDPP):

„In December 2018 the ICOM Executive Board has decided that it is time to develop an alternative definition which will be more relevant and appropriate for museums in the 21st century and future museum landscapes. It should be a definition which recognizes the dissimilar conditions and practices of museums in diverse and rapidly changing societies, and supports museums in developing and adopting new scientific paradigms and addressing more adequately the complexities of the 21st century.“ (Jette Sandahl: „The Museum Definition as the Backbone of ICOM“, in Museum International 71 (2019) Issue 1-2, online zugänglich unter https://doi.org/10.1080/13500775.2019.1638019)

Laut Sandahl handele es sich bei dem neuen Vorschlag für die Museums­definition auch um eine Vision: Weil Museen so divers seien, müssen sie nicht unbedingt alle Kriterien dieser Definition erfüllen, um von ICOM als Museen anerkannt zu werden, bemerkt Sandahl in der Ausgabe von Museum International zur Museums­definition. Wenn ICOM in Zukunft keine Definition, sondern nur eine Vision hat – wie wird sich das konkret auf die Häuser auswirken? – lautete die Frage der Moderator*innen.

Léontine Meijer-van Mensch äußerte ihren Zweifel daran, dass ICOM im Jahr 2020 auf dem Weg sei, eine universelle Definition zu formulieren:

„Ich glaube, wir sind darüber hinweg. Brauchen wir noch eine universelle Definition, die für jede Situation, vor allem global gesehen, Sinn macht? Ich glaube nicht, dass das die Aufgabe des ICOM ist, eine universelle Definition bereit zu stellen, die in der Gesetz­gebung aller Länder der Welt verwendet werden kann.“

Meijer-van Mensch betonte, dass man heute möglicher­weise unter­schiedliche Definitionen für unterschiedliche Zwecke braucht. So könne der aktuelle Kyoto-Beschluss­vorschlag sicher nicht als Kriterium für die Entscheidungen über eine ICOM-Mitgliedschaft gelten. Allerdings stehe dieser Vorschlag nicht im Widerspruch zum ICOM Code of Ethics – und diesen müssen alle ICOM-Mitglieder schließlich akzeptieren. Sie fasste zusammen: Wenn Museen von ICOM, der maßgeblichen Stimme der internationalen Museums­welt, unterstützt werden wollen, kann eine Vision diesem Zweck dienen.

Bericht des MDPP Standing Komitee

Darin enthalten ist auch der Input aus den Diskussionen mit Ländern des globalen Südens.
Zum PDF auf icom.museum

Die rechtliche Frage, ob man überhaupt ein Museum eröffnen darf, ist an die ICOM-Museums­definition gebunden.

Auf die Frage, ob man sich von einer Definition verabschieden und stattdessen eine Vision als Grundlage für die Arbeit der Museen geltend machen soll, argumentierte Markus Walz mit den Statuten des ICOM: Artikel 3 der ICOM-Statuten lege fest, wer Mitglied bei ICOM sein kann – dafür sei die Definition notwendig. Artikel 2 der ICOM-Statuten sei die Mission von ICOM, die vor wenigen Jahren neu über­arbeitet wurde, so Walz. Aus seiner Perspektive mache es keinen Sinn, an zwei unter­schiedlichen Stellen das Selbe zu schreiben. Im Grunde genommen gehe es hier um die Mitgliedschaft. Und weil man begründen muss, wer bei ICOM Mitglied werden darf und wer nicht, müssen bestimmte Kriterien gelten. Auch sei es in Deutschland nicht möglich, öffentliche Förder­gelder zu bekommen, ohne gefragt zu werden, ob die Eigen­darstellung der ICOM-Museums­definition genügt. Es gäbe mehrere Länder – überwiegend in Europa –, bei denen die Museums­definition in die staatliche Gesetz­gebung über­gegangen sei, so Walz. Daher ist auch die rechtliche Frage, ob man überhaupt ein Museum eröffnen darf, an die ICOM-Museums­definition gebunden.

Ist ein Museum ein Ort, an dem politische Diskussionen statt­finden sollen?

Die nächste Frage der Moderator*innen galt der politischen Rolle der Kultur­einrichtungen im Allgemeinen und der Museen im Besonderen. Als Beispiel wurde das Maxim Gorki Theater in Berlin genannt, das sich aktiv gegen Rechts­populismus engagiert. Die rechts­populistische Partei AfD versuchte 2018 dem Theater deshalb seine Daseins­berechtigung abzusprechen. Immer wieder, so Moderator*innen, werde öffentlichen Institutionen ihr politisches Engagement mit der Begründung vorgeworfen, das Neutralitäts­gebot zu unter­wandern. Der Kyoto-Beschluss­vorschlag für die neue Museums­definition gäbe für solche Situationen eine deutliche Antwort – dort seien Museen als „spaces for critical dialogue about the pasts and the futures“ definiert. Museen werden hier also nicht als neutrale Orte gesehen.

 Im Glashof im Jüdischen Museum Berlin sind die Zuschauerränge gefüllt. Erhöht stehen Menschen an Pulten. Die Balken sind bunt beleuchtet.

Der Glashof des Jüdischen Museums Berlin war mit über 400 Zuschauer*innen sehr gut besucht; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jule Roehr.

Bei dieser Frage kam Markus Walz noch einmal auf die zentrale Rolle einer Museums­definition zu sprechen. Seiner Meinung nach existiere „das Museum“ nur in dem Maße, in dem es einen Definitions­text gibt, der Grenzen ziehen kann: Das Eine liegt in der Grenze dessen, was ein Museum sei, und das Andere liegt draußen. Auch würde die Mehr­zahl der deutschen Museen von Leuten in ihrer Freizeit zum Vergnügen betrieben. Und in diesem Fall, so Walz, solle eine Privat­person selbst entscheiden, ob sie in ihrer Arbeit politisch sein will oder nicht. Die öffentlich-rechtlich finanzierten Museen hätten hingegen eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen, und diese Aufgaben kommen durch den demo­kratischen Beschluss zustande. In diesem Fall ist für Walz die Frage: Wie lautet der Auftrag und wie wird er erfüllt?

Léontine Meijer-van Mensch rief die Ergebnisse der Runden Tische in Erinnerung, die in einem globalen Kontext durch­geführt wurden. Die Teilnehmer*innen dieser Runden Tische hätten einen starken Wunsch artikuliert, Museen als Agency zu begreifen, um bestimmte Thesen, die uns bewegen, aufzugreifen – und da gehört nun mal Dekolonisierung und natürlich die Frage der Repatriierung dazu. Und gerade in diesem Kontext sei es wichtig, dass Museen Haltung annehmen und sich positionieren. Weiter betonte Meijer-van Mensch, dass es in diesem Zusammen­hang sehr darauf ankommt, aktivistischer zu sein, auch wenn man sich in Deutschland damit etwas schwer tut.

Dinge, Dokumentieren, Vermitteln vs. Haltung, Verantwortung, ein kritischer Umgang mit unserem musealen institutionellen Erbe

Wie geht es weiter mit der neuen Museums­definition?

Léontine Meijer-van Mensch berichtete, dass demnächst eine neue MDPP 2 Gruppe ihre Arbeit aufnehmen und in den nächsten drei Jahre durchführen wird. Anschließend soll über den neuen Vorschlag abgestimmt werden. Die MDPP 2 Gruppe wurde unter anderem um einige Vorsitzende der National­komitees ergänzt, die an dem bisherigen Prozess Kritik übten. So sei in dieser erweiterten Gruppe zum Beispiel ein Repräsentant von ICOM France dabei – einem ICOM-Komitee, das in der Vergangen­heit den Prozess stark kritisierte. Meijer-van Mensch betonte, dass ICOM eine lernende Institution sei, die demnach auch aus den Fehlern lernen würde. Am Schluss äußerte sie die Hoffnung, dass im zweiten Durchlauf die Kritik weniger persönlich und weniger emotional verhandelt werde.

MDPP2

Museum Definition Brief, Paris, Dezember 2019, mit dem Beschluss die Arbeit des MDPP unter dem Namen MDPP2 in einer zweiten Phase fortzuführen
Zum PDF auf icom.museum

Markus Walz berichtete über den Zwischen­stand der Arbeit von ICOM Deutschland, das zum Thema Museums­definition bereits einiges gemacht habe: Bei der überhaupt ersten Mitglieder­umfrage waren die Mitglieder von ICOM Deutschland eingeladen, kleinere Text­bestandteile der bisher geltenden Definition und des Kyoto-Vorschlags zu bewerten. An dieser Mitglieder­befragung hätten sich 302 Personen mit laufender Mitglied­schaft beteiligt. Auch wurden Mitglieder von ICOM Deutschland für den 20. März 2020 eingeladen, den Dialog zum Thema Museums­definition in einem Mitglieder­forum fortzusetzen.

[Anmerkung: Aufgrund von Sicherheits­maßnahmen in Verbindung mit der Ausbreitung des Corona­virus musste das Mitglieder­forum verschoben werden. Ein Termin für das virtuelle Mitglieder­forum des ICOM Deutschland wird demnächst bekannt gegeben.]

Ergebnisse der Mitglieder­umfrage zur Museums­definition

Mehr auf icom-deutschland.de

Publikums­fragen

Während der Podiums­diskussion wurden die Besucher*innen aufgerufen, mithilfe ihrer Smart­phones über die App slido ihre Fragen an die beiden Referent*innen zu stellen und diese über „likes“ zu priorisieren. Alina Gromova und Susan Kamel fungierten als Bot­schafterinnen des Publikums und moderierten die Publikums­diskussion.

Eine der Fragen aus dem Publikum lautete:

Werden zukünftig Anreize geschaffen, um die Diversität in den personellen Strukturen von musealen Institutionen zu erhöhen? Wenn ja, wie sehen diese aus? Und wie sieht es um die Diversität der beiden Verbände, ICOM International und ICOM Deutschland, aus?

Léontine Meijer-van Mensch betonte, dass ICOM immer noch zu europäisch und zu weiß ist. Diese Tatsache sollten wir, so Meijer-van Mensch, auch bei uns selbst kritisch beleuchten, ansonsten kämen wir als ICOM nicht weiter. Sie kenne viele junge Menschen, die gar nicht bei ICOM tätig sein möchten und zu anderen Foren gehen, weil sie sich von ICOM nicht mehr inspiriert fühlen. Sie habe immer gesagt, dass sie entweder versucht, diese Institution zu verändern, oder sie geht weg. Meijer-van Mensch appellierte, dass ICOM sich öffnen müsse.

Auf die Nachfrage, welche konkreten Anreize sie als Arbeit­geberin schaffen könne, um die Diversität in ihrer Institution zu erhöhen, sagte Meijer-van Mensch, dass sie tatsächlich versucht, anders auf professionelle Biografien zu schauen und sich dabei die Frage zu stellen: Was ist eine Expertise und welche museale Expertise brauchen wir? Brauche ich eine gradlinige Biografie, um in einem Museum zu arbeiten, oder gibt es im Sinne der Diversität andere Biografien, die sonst gleich heraus­gefiltert werden? Sie betonte auch die Bedeutung der kulturellen Diversität, die sie als Leiterin eines ethnologischen Museums berücksichtigen müsse.

Eine weitere Frage aus dem Publikum mit vielen „likes“ lautete:

Inwieweit ist die Debatte um die neue Museums­definition, die wir gerade führen, ein Generationen­konflikt?

Auf die Anmerkung von Léontine Meijer-van Mensch, die Bilder der letzten ICOM-Deutschland-Tagung zeigten viele graue Köpfe, reagierte Markus Walz mit dem Argument der Alters­diskriminierung. Er betonte, er könne nichts für sein Alter. Worauf hier abgehoben wird, so Walz weiter, stehe im Zusammen­hang mit dem sogenannten Museums­boom, bei dem es zu einem massiven Stellen­aufwuchs gekommen sei. Damals seien über­wiegend junge Leute ins Museums­wesen gekommen und sie seien jetzt leider alle ziemlich alt. In den jungen Bundes­ländern, erklärte Walz, sei das Phänomen auf eine ganz andere Art und Weise genau so zustande gekommen: Durch den systematischen Personal­abbau der letzten 30 Jahre seien die Wenigen, die man da nicht heraus­gesetzt habe, heute alle deutlich über 60. Man könne sie nicht dafür bestrafen, dass ihr Lebens­weg so erfolgt ist, und sagen: Ihr seid überhaupt nicht altersmäßig nach der Alters­pyramide aufgestellt. Das könne man ihnen nicht vorwerfen, betonte Walz.

Léontine Meijer-van Mensch stimmte dem letzten Satz von Markus Walz zu: Auch sie sei der Meinung, dass man niemandem sein Alter vorwerfen könne. Man könne aber die Situation kritisch reflektieren und sich selbst auch eine bestimmte Haltung zulegen und sagen: Ich versuche es in meinem Wirkungs­kreis zu verändern. An ihrem Museum gäbe es viele Kolleg*innen, die heute 60 oder etwas älter sind und teilweise schon seit 40 Jahren in einem Museum arbeiten würden. Deshalb denke sie darüber nach, wie sie diese erfahrenen Kolleg*innen in einer Mentor*innen-Partnerschaft mit den jungen Kolleg*innen zusammen­bringen könnte.

Zum Schluss äußerten sich beide Referent*innen zu der Publikums­frage:

Für welche drei Begriffe in der neuen Museums­definition würden Sie sich entscheiden?

Markus Walz: „Dinge, Dokumentieren, Vermitteln.“

Léontine Meijer-van Mensch: „Haltung, Verantwortung, ein kritischer Umgang mit unserem musealen institutionellen Erbe.“

Wir bedanken uns bei allen herzlich für die anregende Diskussion!

Alina Gromova steht an einem Pult auf dem das Logo und der Schriftzug des Jüdischen Museums stehen. Auf dem Pult steht ein Wasserglas. Hinter ihr steht Susan Kamel.

Im Glashof des Jüdischen Museums Berlin moderierten Alina Gromova (Jüdisches Museum Berlin) und Susan Kamel (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) als Bot­schafterinnen die Publikums­fragen für die Diskussion; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jule Roehr.

Zitierempfehlung:

Alina Gromova (2020), Auf der Suche nach einer neuen Museums­definition. Dokumentation des Streit­gesprächs „Quo vadis Museum?“ am 30. Januar 2020 im Jüdischen Museum Berlin.
URL: www.jmberlin.de/node/7021

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