Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Sonntag,
2. April 1933

Brief von Fritz Rathenau an Otto Scheel

Einen Tag nach dem so genannten Aprilboykott wendet sich der Ministerialrat im preußischen Innenministerium Fritz Rathenau (1875–1949) in einem Brief an den Historiker und Theologen Otto Scheel (1876–1954), den er seit Jahren kennt und schätzt.

Rathenau, ein Cousin des früheren Außenministers Walther Rathenau, der 1922 von Rechtsextremisten ermordet worden war, zeigt sich tief bestürzt über die politischen Vorgänge und den Hass, der den deutschen Juden entgegenschlägt. Aus seinen Zeilen spricht große Fassungslosigkeit: Seit über 38 Jahren ist er preußischer Staatsbeamter mit »makelloser Dienstzeit« – jetzt sieht er sich und seine Söhne zu »Parias erklärt und verfolgt.«

Bei aller Bestürzung über seine persönliche Situation überwiegt jedoch Rathenaus allgemeine Sorge um Deutschland: Er befürchtet, dass die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden sich nachteilig auf die deutsche Wirtschaft auswirken und auch das Bild Deutschlands im Ausland unwiederbringlich beschädigen wird.

Im zweiten Teil seines Briefes spricht er dann vor allem Otto Scheel als Theologen an. Die religiöse Toleranz betrachtet Rathenau als eine der wichtigsten Errungenschaften der Neuzeit und als preußisches »Kulturgut«. Umso größer ist sein Unverständnis für das Schweigen der beiden großen Kirchen zu der antisemitischen Politik der neuen Regierung. Trotz seiner Verzweiflung zeigt er sich aber auch kämpferisch: »heute muss ich als ›fremdrassig‹ den Platz räumen. Ich tue es stolz und ungedemütigt.«

Wenige Wochen später, am 20. Mai wurde Rathenau seines Amtes enthoben. Zunächst wurde er in die Bau- und Finanzdirektion versetzt, bevor er im Januar 1935 zwangspensioniert wurde.

Ob er mit seinem Brief bei Otto Scheel auf Sympathie und Verständnis stieß, ist fraglich. Scheel, der in der Weimarer Republik der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) angehört hatte, trat im Mai 1933 in die NSDAP ein. In den Folgejahren spielte er eine aktive Rolle in der nationalsozialistisch ausgerichteten Geschichtswissenschaft.

Lea Weik

Kategorie(n): Beamte | Berlin | Berufsverbot
Brief von Fritz Rathenau an Otto Scheel (Abschrift, Seite 1), Berlin, 2. April 1933
Schenkung von Jan J. Rathenau
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