Wie jedes Jahr schrieb der Rabbiner Arthur Rosenthal auch 1933 ein Gedicht für seine Frau Ilma zu ihrem Geburtstag am 16. Mai. Es unterscheidet sich jedoch deutlich von den Versen, die er in den vorangegangenen Jahren zu Papier gebracht hatte. Die Zeilen, mit denen das Gedicht beginnt, spiegeln die drastisch geänderte Lage der deutschen Juden wieder: »Schwer ist es durchzuhalten / Im dornenreichen Leben, / Wenn feindliche Gewalten / Sich gegen uns erheben.« Die folgenden Verse bezeugen jedoch das jüdische Selbstbewusstsein des Autors: »Wohl mögen sie erdenken / In ihren feigen Ränken, / Zu beugen unser’n Rücken. / Nie wird es ihnen glücken, / die Seele uns zu rauben. / Wenn wir den tiefen Glauben / An uns stets fest bewahren, / Dann werden froh wir fahren«. Und schließlich spricht das Gedicht von der tiefen Liebe, die Arthur Rosenthal für seine Frau empfand.
Arthur Rosenthal (1885–1951) und Ilma Flanter (1891–1975) heirateten im Januar 1914 in Berlin. Ein Jahr später kam die Tochter Judith zur Welt. Der bereits promovierte Rabbinerkandidat erhielt seine Ordination im August 1915. Er amtierte zunächst in Rybnik, Berlin-Gesundbrunnen und Beuthen, bis er 1925 zum Rabbiner der Israelitischen Vereinigung Lichtenberg in Berlin ernannt wurde. Während des Novemberpogroms 1938 zerrten ihn SA-Männer aus seinem Haus und zwangen ihn, die Zerstörung der Tora-Rollen und des Mobiliars seiner Synagoge in der Frankfurter Allee mitanzusehen.
Das Ehepaar Rosenthal floh erst im Juli 1939 nach London, zusammen mit Tochter und Schwiegersohn. Hier konnte Arthur Rosenthal nur eingeschränkt arbeiten und gab u.a. Fernunterricht für aus London evakuierte Kinder. Er starb 66-jährig im November 1951, zehn Monate nachdem die Familie von London nach New York umgezogen war. »Mein Vater konnte den Verfall des deutschen Judentums nicht verkraften«, schrieb seine Tochter Judith Helfer Jahre später. Seine geliebte Frau Ilma überlebte ihn um 24 Jahre.
Aubrey Pomerance
Zum 16. Mai 1933.
Dem süßesten Frauchen!
Schwer ist es durchzuhalten
Im dornenvollen Leben,
Wenn feindliche Gewalten
Sich gegen uns erheben.
Wohl mögen sie erdenken
In ihren feigen Ränken,
Zu beugen unser’n Rücken.
Nie wird es ihnen glücken,
Die Seele uns zu rauben.
Wenn wir den tiefen Glauben
An uns stets fest bewahren,
Dann werden froh wir fahren
Mit unser’m Lebensschiff
Vorbei am Felsenriff:
Es wartet wundergleich
Auf uns ein Tafelreich.
Dir sei es beschieden
Vom güt’gen Geschick,
Das Leben zu schmieden
Uns weiter zum Glück.
Die Liebe, die stündlich
Uns herrlich verband
Und die uns oft — »mündlich«
So Schönes gestand,
Sie möge uns weiter
Im Maienglänzen
Die himmlische Leiter
Mit Blumen umkränzen.
Es meldet sich ewig zur Stelle
Dein Dich küssender und umarmender
Lp