Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Dienstag,
16. Mai 1933

Öffentliche Überstellung von Ludwig Marum und sechs weiteren Sozialdemokraten in das Konzentrationslager Kislau

»Was soll ich Dir schreiben? Die Vorgänge hast Du sicher aus den Zeitungen erfahren. Mach Dir um mich keine Sorge. Es geht mir gut u. ich fühle die Kraft in mir alles auszuhalten!« So beginnt der Brief, den Ludwig Marum am 16. Mai 1933 an seine Frau Johanna schrieb, kurz nach seiner Überstellung in das Konzentrationslager Kislau. Mehrere Stunden zuvor war er, wie hier auf dem Foto zu sehen, mit sechs weiteren badischen Sozialdemokraten in einem offenen Wagen durch die Innenstadt von Karlsruhe gefahren worden, flankiert von SA, SS und Polizei. Am Straßenrand standen Hunderte von Schaulustige. Eine öffentliche Demütigung und brutale Machtdarstellung, die von den Nazis gründlich vorbereitet und in der NS-Presse angekündigt war. Die sogenannte »Schaufahrt« führte auch an Marums Wirkungsstätten vorbei, dem Badischen Landtag und dem Staatsministerium.

Der 1882 in Frankenthal geborene Jurist Ludwig Marum trat 1904 in die SPD ein. 1911 wurde er Stadtverordneter in Karlsruhe, drei Jahre später Abgeordneter im Badischen Landtag und im November 1918 badischer Justizminister in der »Vorläufigen Regierung«. Von 1919 bis 1928 führte er die Landtagsfraktion der SPD in Baden an, bis er in den Reichstag gewählt wurde.

Am 10. März 1933 wurde der unerbittliche Gegner der Nationalsozialisten Ludwig Marum trotz seiner Immunität als Abgeordneter in Karlsruhe verhaftet und im Polizeigefängnis in der Riefstahlstraße eingesperrt. Zwei Monate später inszenierten die Nationalsozialisten seinen öffentlichen Transport ins KZ Kislau. Die Sozialdemokraten, die mit ihm zusammen am 16. Mai auf dem Wagen saßen, kamen im Lauf der Zeit alle frei. Nicht aber Ludwig Marum. Am 29. März 1934 wurde er in Kislau ermordet. An seiner Beisetzung in Karlsruhe fünf Tage später nahmen mehr als 3.000 Menschen teil.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Gefangenschaft | Politiker
Ludwig Marum und andere Sozialdemokraten auf der Ladefläche eines Lastwagens bei ihrer Überstellung in das KZ Kislau, unbekannter Fotograf, Karlsruhe, 16. Mai 1933. Marum sitzt auf der hintersten Bank, zwischen zwei SS-Männern.
Leo Baeck Institute, Elisabeth Lunau Collection, AR 6461

Das Schicksal der Familie Marum

Kurz nach der Ermordung Ludwig Marums fliehen seine Frau Johanna und die jüngste Tochter Eva Brigitte nach Paris, wohin der Sohn Hans auf Drängen des Vaters bereits 1933 ausgewandert war. Das älteste Kind, Elisabeth, geht mit ihrem Verlobten Heinz Lunau ebenfalls nach Frankreich.

Nach der französischen Niederlage und der Besetzung des Landes ist die Familie erneut bedroht. Die drei Frauen werden im Frühling 1940 im Lager Gurs interniert, doch nach ein paar Monaten wieder freigelassen. Johanna Marum und ihre Tochter Elisabeth erhalten Visa für die USA und gelangen im Juli 1941 über Spanien nach New York. Heinz Lunau, von September 1939 bis Juni 1940 in mehreren französischen Lagern interniert, entkommt nach Marokko und kann im Dezember 1941 seiner Frau nach New York folgen. Hans Marum wird von 1939–1942 ebenfalls verschiedentlich interniert, ihm gelingt es erst im März 1942, sich nach Mexiko zu retten.

Eva Brigitte Marum kann nicht mit Mutter und Schwester in die USA fliehen, da sie hochschwanger ist. Im Juli 1941 bringt sie einen Sohn zur Welt. Die Flucht in die Schweiz misslingt, und während ihr Kind in Limoges in Sicherheit ist, wird Eva Brigitte Marum im Januar 1943 bei einer Razzia festgenommen und im März über Drancy ins Konzentrationslager Sobibor deportiert und dort ermordet.

Johanna und Ludwig Marum, um 1915
Leo Baeck Institute, Elisabeth Lunau Collection, AR 6461 
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