Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 26. MAI 1933
29. MAI 1933 >

Montag,
29. Mai 1933

Brief der Israelitischen Gemeinde Lübeck an ihren ehemaligen Vorsitzenden Leo Landau

»Der Vorstand der Israelitischen Gemeinde Lübeck möchte nicht verfehlen, Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, für die langjährigen treuen Dienste (…) seinen aufrichtigen und herzlichen Dank auszusprechen.« Als Leo Landau (1880–1960) diese Zeilen las, befand er sich mit seiner Familie bereits seit mehr als sechs Wochen in Haifa. Er und seine Frau Charlotte (1881–1972), beide seit ihrer Jugend überzeugte Zionisten, hatten sich sehr schnell nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten entschieden, nach Palästina auszuwandern. Bis dahin waren sie jahrzehntelang besonders engagiert – Leo Landau als Vorsitzender der Gemeinde und Charlotte Landau als Vorstandsmitglied des Jüdischen Frauenbunds –, sodass ihr Weggang einen großen Verlust für die jüdische Gemeinde Lübeck bedeutete. Inwiefern der Vorstand tatsächlich die Hoffnung hatte, dass sie zurückkehren würden, wie er es in seinem Brief zum Ausdruck brachte, sei dahingestellt.

Bei seinem Abschied blickte Leo Landau auf eine 25-jährige Tätigkeit als Anwalt in der Hansestadt zurück. Ausgerechnet am 1. April, als sich auch vor seinem Büro SS-Männer postierten, sandte ihm ein Landrichter Glückwünsche zum Dienstjubiläum und äußerte die Zuversicht, dass es Landau »vergönnt sein wird, noch einmal ein Vierteljahrhundert lang Ihr Können in den Dienst Ihrer Vaterstadt zu stellen«. Drei Tage später verließen die Landaus die Stadt, zusammen mit ihren Kindern Hans und Eva sowie der 78-jährigen Mutter von Leo Landau. Der älteste Sohn Gustav folgte mit seiner Verlobten im Oktober.

Im September 1950 schaute Leo Landau auf diese schicksalhaften Tage zurück: »Als ich mich (…) von einigen wenigen nichtjüdischen Bekannten und Freunden verabschiedete, warnten diese, vor allem mein Sozius Dr. Roeper, mich vor einem ›so voreiligen Schritt‹ und ein deutschnationaler Oberregierungsrat sagte mir unter vier Augen: ›Wollen Sie wirklich Ihre gute Praxis im Stiche lassen? Glauben Sie denn, dass dieser Unsinn länger als einige Wochen dauern kann?‹ Auch die meisten unserer jüdischen Freunde glaubten, wir hätten den Kopf verloren. Wir ließen uns aber nicht beirren, weil wir die Dinge nüchtern sahen, wie sie wirklich lagen. Die Zukunft hat uns recht gegeben. Wir haben durch unseren schnellen Entschluss unser und unserer Angehörigen Leben, und von unserem Besitz wenigstens soviel gerettet, dass wir in Erez Israel zwar bescheidene, aber ausreichende Mittel zur Gründung einer neuen Heimat zur Verfügung hatten.«

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Auswanderung | Berufsverbot | Juristen | Religiöses Leben | Zionismus
Brief der Israelitischen Gemeinde Lübeck an ihren ehemaligen Vorsitzenden Leo Landau, Lübeck, 29. Mai 1933
Leo Baeck Institute, Charlotte und Leo Landau Collection, AR 7287

Alte und neue Heimat

Neben seiner langjährigen Tätigkeit im Vorstand der Israelitischen Gemeinde fungierte Leo Landau einige Jahre lang als Präsident der jüdischen Männerloge Bnai Brith. Charlotte Landau, Schwester des Dichters Erich Mühsam, saß von 1919 bis 1921 als eine der ersten Frauen in der Lübecker Bürgerschaft und zeichnete sich durch ihr starkes gesellschaftliches Engagement aus.

»Der Abschied von der alten Heimat«, so Leo Landau, »unserem schönen Haus, in dem wir glückliche Jahre verlebt hatten, von unseren Freunden, der jüdischen Gemeinde und allem, woran wir mit ganzem Herzen hingen, wurde uns bitterschwer. Aber wir fügten uns unverzagt der schicksalhaften Notwendigkeit, und da wir als bewusste Zionisten ein festes Ziel hatten, fuhren wir mit Wagemut der neuen Heimat entgegen.«

In Palästina gelang es Leo Landau, wieder als Anwalt sowie als Wirtschaftsberater zu arbeiten. Charlotte Landau setzte sich für die jüdischen Einwanderer aus Deutschland ein und widmete sich wie in Lübeck der bildenden Kunst.

Leo und Charlotte Landau, 1932
Leo Baeck Institute, Charlotte und Leo Landau Collection, AR 7287 
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