»Der Vorstand der Israelitischen Gemeinde Lübeck möchte nicht verfehlen, Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, für die langjährigen treuen Dienste (…) seinen aufrichtigen und herzlichen Dank auszusprechen.« Als Leo Landau (1880–1960) diese Zeilen las, befand er sich mit seiner Familie bereits seit mehr als sechs Wochen in Haifa. Er und seine Frau Charlotte (1881–1972), beide seit ihrer Jugend überzeugte Zionisten, hatten sich sehr schnell nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten entschieden, nach Palästina auszuwandern. Bis dahin waren sie jahrzehntelang besonders engagiert – Leo Landau als Vorsitzender der Gemeinde und Charlotte Landau als Vorstandsmitglied des Jüdischen Frauenbunds –, sodass ihr Weggang einen großen Verlust für die jüdische Gemeinde Lübeck bedeutete. Inwiefern der Vorstand tatsächlich die Hoffnung hatte, dass sie zurückkehren würden, wie er es in seinem Brief zum Ausdruck brachte, sei dahingestellt.
Bei seinem Abschied blickte Leo Landau auf eine 25-jährige Tätigkeit als Anwalt in der Hansestadt zurück. Ausgerechnet am 1. April, als sich auch vor seinem Büro SS-Männer postierten, sandte ihm ein Landrichter Glückwünsche zum Dienstjubiläum und äußerte die Zuversicht, dass es Landau »vergönnt sein wird, noch einmal ein Vierteljahrhundert lang Ihr Können in den Dienst Ihrer Vaterstadt zu stellen«. Drei Tage später verließen die Landaus die Stadt, zusammen mit ihren Kindern Hans und Eva sowie der 78-jährigen Mutter von Leo Landau. Der älteste Sohn Gustav folgte mit seiner Verlobten im Oktober.
Im September 1950 schaute Leo Landau auf diese schicksalhaften Tage zurück: »Als ich mich (…) von einigen wenigen nichtjüdischen Bekannten und Freunden verabschiedete, warnten diese, vor allem mein Sozius Dr. Roeper, mich vor einem ›so voreiligen Schritt‹ und ein deutschnationaler Oberregierungsrat sagte mir unter vier Augen: ›Wollen Sie wirklich Ihre gute Praxis im Stiche lassen? Glauben Sie denn, dass dieser Unsinn länger als einige Wochen dauern kann?‹ Auch die meisten unserer jüdischen Freunde glaubten, wir hätten den Kopf verloren. Wir ließen uns aber nicht beirren, weil wir die Dinge nüchtern sahen, wie sie wirklich lagen. Die Zukunft hat uns recht gegeben. Wir haben durch unseren schnellen Entschluss unser und unserer Angehörigen Leben, und von unserem Besitz wenigstens soviel gerettet, dass wir in Erez Israel zwar bescheidene, aber ausreichende Mittel zur Gründung einer neuen Heimat zur Verfügung hatten.«
Aubrey Pomerance
Israelitische Gemeinde Lübeck.
Lübeck, den 29. Mai 1933
Herrn Leo Landau,
Haifa (Palästina)
Sehr geehrter Herr Doktor!
Der Vorstand der Israelitischen Gemeinde Lübeck möchte nicht verfehlen, Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, für die langjährigen treuen Dienste, die Sie der Gemeinde im Vorstand und insbesondere in den letzten Jahren als Vorsitzender geleistet haben, seinen aufrichtigen und herzlichen Dank auszusprechen. Sie haben das schwere Amt, das Ihnen die Gemeinde übertragen hat, unter Hintansetzung Ihrer eigenen persönlichen Interessen in vorbildlicher Weise wahrgenommen und sich dadurch die Liebe der Gemeindemitglieder erworben, sodass Ihr Fortzug von Lübeck allgemeines Bedauern hervorrief. Der Vorstand und die ganze Gemeinde gibt sich der Hoffnung hin, dass Ihr Fortzug kein dauernder sein wird und dass die Verhältnisse es Ihnen gestatten mögen, in absehbarer Zeit wieder nach Lübeck zu kommen und weiter Ihre Arbeit dem Wohle der Gemeinde zu widmen.
Beiliegende Zuschrift, die von sämtlichen an der letzten Gemeindeversammlung teilnehmenden Gemeindemitgliedern spontan an Sie gerichtet wurde, möge Ihnen ein Beweis dafür sein, wie Ihre Tätigkeit seitens der Gemeinde anerkannt wurde.
Mit den besten Wünschen für das Wohlergehen Ihrer Familie sowie für Ihr eigenes Glück und Ihre innere Ruhe und Zufriedenheit verbleiben wir in dankbarem Gedenken und in vorzüglicher Hochachtung
Der Vorstand der Israelitischen Gemeinde Lübeck.
(Unterschrift von Frank)
[handschriftliche Ergänzung:]
Ihnen, lieber Herr Doktor, und Ihrer Familie auch persönlich alles erdenklich Gute!
Ihr (unleserlich) Frank