Zwei Tage nachdem der Augenarzt Ernst Rosenthal (1898–1971) am
27. Mai aus der »Schutzhaft« entlassen worden war, erhielt er einen Bescheid von der Kassenärztlichen Vereinigung, mit dem ihm zum 1. Juli die Zulassung entzogen wurde. Für den seit 1928 in Chemnitz praktizierenden Rosenthal war dies eine existenzbedrohende Situation.
Um ein Berufsverbot zu verhindern, reichte Ernst Rosenthal Einspruch ein. Die »Verordnung über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen« vom 22. April sah einige Ausnahmen vor, darunter für Ärzte, die als Frontsoldaten gekämpft bzw. als Sanitäter im Ersten Weltkrieg gedient hatten. In seinem Brief versuchte Rosenthal sowohl seine Tätigkeit als Arzt im Garnisonslazarett in Berlin als auch seine Mitgliedschaft im Freikorps »Marschgruppe Würzburg« anerkennen zu lassen. Vergeblich. Das Reichsarbeitsministerium sah seinen Dienst in Berlin »nicht als ärztliche Tätigkeit in einem Seuchenlazarett im Sinne der Verordnung« an und forderte für die Zeit beim Freikorps Belege für eine Teilnahme an Kampfhandlungen gegen Spartakisten, die Rosenthal aber nicht erbringen konnte. Am 16. Februar 1934 schickte das Ministerium seinen unwiderruflichen Bescheid per Einschreiben: »Diese Entscheidung ist endgültig.«
Es blieb Ernst Rosenthal wie zahlreichen anderen jüdischen Ärzten nichts anderes übrig, als zu versuchen, sich durch die Behandlung von Privatpatienten über Wasser zu halten. Gleichzeitig suchte er Wege, Deutschland zu verlassen.
Aubrey Pomerance
Chemnitz, den 8. Juni 1933.
An das Reichsarbeitsministerium
Berlin
über den Verband der Aerzte Deutschlands.
Auf Grund der Mitteilung der kassenärztlichen Vereinigung in Chemnitz vom 29.5.33. ist meine Zulassung bei den Krankenkassen vom 1.7.33. ab für beendet erklärt worden.
Ich erhebe gegen diesen Bescheid Einspruch mit folgender Begründung: Entsprechend der Verordnung vom Reichsarbeitsminister vom 22.4.33. habe ich m. K. [meiner Kenntnis nach] Anspruch auf die weitere Tätigkeit bei den Krankenkassen, da ich lt. Bescheinigung des Bayr. Kriegsarchiv München am 9.8.1919 bei der Marschgruppe Würzburg als Zeitfreiwilliger eingetragen bin und diesem zeitfreiwilligen Corps, soweit mir erinnerlich, bis zur Auflösung gegen März 1920 angehört habe. Weiterhin habe ich während des Krieges während meiner Lazaretttätigkeit (Garnisonslaz. i Berlin) u.a. mehrere Wochen auf der Seuchenabteilung (Ruhrabteilung) gearbeitet. Erwähnen möchte ich noch, dass ich nach Schluss des Krieges freiwillig im Reservelazarett Nord
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Berlin bis zur Auflösung desselben Ende März 1919 gearbeitet habe, obwohl ich bereits Ende Dezember 1918 auf Grund eines genehmigten Gesuches zur Fortsetzung meines Studiums hätte entlassen werden können.
Tätigkeit während des Krieges:
Bei der ersten Musterung zurückgestellt wegen einer Herzmuskelerkrankung nach Scharlach. Am 9.6.1917 eingezogen als Rekrut zum Gardelandsturm-Infanterie Regiment G. 12 Döberitz g. v. Heimat, 17.8.1917 zum Garnisonlazarett Berlin.
Bei einer Untersuchung der Generalmusterungskommission wurde meine Kriegsverwendungsfähigkeit abgelehnt. Ich habe mich dann freiwillig zum Dienst in ein Feldlazarett gemeldet. Ich wurde jedoch zum Sanitätstransportkommissar Achen [Aachen?] kommandiert. Diesem Kommando gehörte ich bis Ende des Krieges an.
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Erforderlichenfalls würde es mit auch gelingen, noch Bestätigungen anderer früherer Offiziere der Marschgruppe zu erhalten. Die Ermittlungen nach Namen und Anschriften der Herren sind aber mit Rücksicht auf die lange zurückliegende Zeit schwierig zu erhalten, insbesondere weil die Aufzeichnungen des Bayerischen Kriegsarchivs sehr lückenhaft sind. Diese Bescheinigungen auch jetzt schon beizubringen, habe ich daher vorerst unterlassen.
(Unterschrift E. Rosenthal)