Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 31. MAI 1933
8. JUNI 1933 >

Samstag,
3. Juni 1933

Reisepass für Dr. Herbert Schwalbe

Auf dem Polizeirevier 109 in der Schlesischen Straße 29/30 in Berlin-Kreuzberg bekommt Dr. Herbert Schwalbe (1899–1963) am 3. Juni 1933 seinen Reisepass ausgehändigt. Der 33-jährige Zahnarzt wohnt und praktiziert seit 1926 in dem gleichen Gebäudekomplex, in dem sich auch das Revier befindet. Zur Auswanderung hat er sich unter dem Eindruck des Aprilboykotts entschlossen. Nun hält er das für ihn so wichtige Dokument in Händen. Den Umschlag ziert der Reichsadler der Weimarer Republik und noch nicht das NS-Hoheitszeichen mit Hakenkreuz und Eichenlaubkranz.

In dem Pass legen heute dutzende Sichtvermerke und Kontrollstempel Zeugnis ab von der fünfjährigen Odyssee, die Herbert Schwalbe durchleben wird. Am 10. Oktober 1933 um 8.50 Uhr besteigt er am Bahnhof Charlottenburg einen D-Zug nach Warschau – allein, denn seine Ehefrau und seine beiden kleinen Kinder lässt er schweren Herzens zurück. Sein Ziel ist Persien, wo er die Erlaubnis erhalten hat, sich als Zahnarzt niederzulassen. Er passiert die deutsch-polnische Grenze in Neu Bentschen (Zbąszyń). Mit Transitvisen durch Polen und die Sowjetunion gelangt er schließlich nach Teheran.

Sein Versuch, sich in der zweitgrößten Stadt des Landes, Maschhad, eine stabile Existenz aufzubauen, scheitert. Herbert Schwalbe geht deshalb im Juni 1935 in das Britische Mandatsgebiet Palästina. Die Einrichtung seiner Praxis, die er bis nach Persien mitgenommen hatte, muss er nun wegen des hohen Ausfuhrzolls zurücklassen. In den folgenden Monaten verdingt er sich als Landarbeiter.

Im Frühjahr 1936 reist Schwalbe in die Tschechoslowakei, um seine Familie für 24 Stunden wiederzusehen. Zurück in Palästina bemüht er sich, in die USA auszuwandern. Nachdem er ein Visum erhalten hat, verlässt er Ende Dezember 1937 Haifa mit dem Schiff und landet sechs Wochen später in San Francisco. 1939 gelingt es ihm, seine Ehefrau Else und seine beiden Kinder Reiner und Steffi nachkommen zu lassen.

Jörg Waßmer

Kategorie(n): Ärzte | Auswanderung | Berlin
Reisepass für Herbert Schwalbe, Berlin, 3. Juni 1933, Seite 2 und 3 mit Passfoto und Personenbeschreibung.
Schenkung von Stephanie Wells.
IMPRESSUM