Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Donnerstag,
22. Juni 1933

Unterrichtserlaubnisschein für die Pianistin und Musiklehrerin Ilse Wunsch

In den ersten Monaten der nationalsozialistischen Regierung, als das berufliche Leben der Juden in Deutschland von Entlassungen, Beschränkungen, Versetzungen und Beurlaubungen geprägt war, bildet jede Zulassung von staatlicher Stelle eine Ausnahme. Mit der vorliegenden Bescheinigung erteilte der Schulrat des Schulratsbezirks Berlin-Charlottenburg-Ost der 22-jährigen Ilse Wunsch die Erlaubnis, privaten Musikunterricht in Klavier und Gehörbildung zu geben und zwar »an einzelne Personen und in privaten Musiklehranstalten«. Die Lehrbefähigung hierzu hatte die junge Pianistin bereits zwei Jahre zuvor erhalten, nachdem sie die staatliche Privatmusiklehrerprüfung bestanden hatte.

Ilse Wunsch (1911–2003) lernte seit der Kindheit Klavierspielen. Im Alter von 16 Jahren studierte sie bei dem renommierten Pianisten Franz Osborn und besuchte dann von 1929 bis 1931 das musikpädagogische Seminar der Pianistin und Pädagogin Maria Leo. Nach dem Studium begann Ilse Wunsch, Privatunterricht zu geben, und trat auch öffentlich auf. Aus der vorliegenden Bescheinigung geht hervor, dass sie im April 1933 die Lehrerlaubnis erneut hatte beantragen müssen. Ob ihr die Bescheinigung erteilt wurde, weil ihr Vater als Feldarzt im Ersten Weltkrieg gestorben war, lässt sich an dem Dokument nicht ablesen.

Die Erlaubnis schloss die Einrichtung einer eigenen privaten Musikschule aus. Sie galt zudem nur, solange die Inhaberin im Schulratsbezirk selbst wohnhaft war. Auffallend ist, dass das Unterrichten an Konservatorien und Musikseminaren nicht ausgeschlossen wurde – die entsprechende Passage im Formular ist durchgestrichen. Dies wird zudem auch noch auf der Rückseite des Erlaubnisscheins ausdrücklich bestätigt.

Ob Ilse Wunsch nach Erhalt des Scheins weiter unterrichtet hat, ist nicht belegt. Acht Monate später folgte sie ihrem Verlobten, dem Organisten und Pianisten Max Janowski (1912–1991), nach Japan, wo er Leiter des Klavierstudiengangs an der kaiserlichen Musikakademie in Tokyo wurde. Hier konnte auch Ilse Wunsch unterrichten und konzertieren.

Aubrey Pomerance

Kategorie(n): Berlin | Künstler und Schriftsteller | Schule
Unterrichtserlaubnisschein für die Musiklehrerin Ilse Wunsch, Berlin, 22. Juni 1933
Leo Baeck Institute, Otto Mainzer Collection, AR 10342

Von Japan in die USA

Anfang April 1934 heirateten Ilse Wunsch und Max Janowski, woraufhin Ilse polnische Staatsangehörige wurde. Nach dem tragischen Tod ihres nach China geflohenen Bruders kehrte sie Ende 1936 zu ihrer Mutter nach Berlin zurück. Weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft mehr hatte, erhielt sie nur zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigungen. 1937 emigrierte Max Janowski in die USA, Ilse Wunsch folgte ihm ein Jahr später. Ihre Bemühungen, die Mutter zu retten, schlugen fehl.

In den USA ließ sich das Paar in Chicago nieder und Ilse Wunsch studierte am Chicago Musical College. Doch die Ehe zerbrach. 1941 lernte sie den aus Frankfurt am Main stammenden Juristen und Schriftsteller Otto Mainzer (1903–1995) kennen, mit dem sie eine lebenslange Partnerschaft verband.

Ilse Wunsch blieb der musikalischen Lehre verbunden: In New York unterrichtete sie Klavier und Musiktheorie am New York College of Music und am Stern College for Women. Ende der 1960er Jahre wurde sie Assistenzprofessorin an der New York University. Daneben schrieb sie mehrere Bücher über Musiktheorie und Musikpädagogik und veröffentlichte 1998 ihre Lebenserinnerungen. 2003 starb Ilse Wunsch Mainzer hoch betagt in New York.

Ilse Wunsch am Klavier, Chicago, 1940.
Leo Baeck Institute, Otto Mainzer Collection, AR 10342 
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