Samstag,
8. Juli 1933
Einladung zur Abschiedszusammenkunft des Bundespräsidiums des Bundes Freier Wissenschaftlicher Vereinigungen
Die erste Freie Wissenschaftliche Vereinigung war im Jahre 1881 in Berlin als Antwort auf den Berliner Antisemitismusstreit gegründet worden. Als paritätische Verbindung stand sie sowohl jüdischen wie christlichen Studenten offen und widmete sich dem Kampf gegen den an den deutschen Universitäten grassierenden Antisemitismus bei gleichzeitigem Bekenntnis zu nationaler Gesinnung. Angeregt von diesem Beispiel entstanden 13 weitere Vereinigungen in deutschen Universitätsstädten. Im Laufe der Jahre nahm jedoch die Zahl der nichtjüdischen Mitglieder stark ab, und bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestanden sie fast ausschließlich aus jüdischen Studenten.
Die am 11. Juli 1933 veranstaltete Abschiedsfeier des Bundes der F.W.V., die fast genau auf den 25. Jahrestag der Gründung fiel, war voller Wehmut. So schrieb Rudolf Zielenziger, letzter Redakteur der Monatsberichte des Bundes und Komponist vieler F.W.V.-Lieder: »Wir jungen FWVer aber geloben Euch, den Älteren unter uns, im Herzen aufrechte FWVer zu bleiben und die Erinnerung an den Geist unseres Menschseins, unseres Kampfes und unseres Frohsinns lebendig und neues Leben gestaltend in uns fortwirken zu lassen.« In Abwandlung des Goethe-Wortes schloss er: »Hier war ich Mensch, hier durft‘ ich’s sein. Vorbei? – das ist so schwer zu glauben. Doch was Du warst und gabst, bleibt mein, und keine Zeit kann es mir rauben.« Das Singen der dritten Strophe des Deutschlandlieds sollte das Selbstverständnis der Mitglieder als Deutsche unterstreichen, ein letzter Akt der gemeinsamen Selbstbehauptung – »Einigkeit und Recht und Freiheit«, so lautete seit der Gründung der Wahlspruch der F.W.V.
In den folgenden Jahren emigrierte bzw. floh die Mehrzahl der Mitglieder aus Deutschland. Dieses Glück teilte Felix Naumann, der die Einladung als Bundespräside unterzeichnet hatte, nicht: Ende Mai 1943 wurde er mit seiner Frau nach Theresienstadt und im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Aubrey Pomerance