Sicherlich ist Charlotte Gumpert nicht zum Lachen zu Mute, als sie im August 1933 an ihre Schwägerin Minni Steinhardt schreibt. Trotzdem – oder gerade deshalb? – beschließt sie ihren Brief mit drei Witzen, »auch auf die Gefahr hin, dass Ihr sie alle schon kennt«:
»1.) Fragt man den Ankömmling in Palästina: Kommen Sie aus Überzeugung oder aus Deutschland?
2.) Annonciert ein deutscher Arzt-Emigrant, der sich jetzt in Palästina niederlässt, in der Zeitung: nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt.
3.) Was ist ein Arier? – Wer eine jüdische Urgrossmutter hat!«
Charlotte Gumpert, geb. Blaschko (1898–1933), schreibt diese Zeilen in einem Sanatorium im Schweizer Kanton Tessin, wo sie sich seit mehreren Monaten aufhält. Die Berlinerin soll von einer Tuberkulose-Erkrankung genesen, doch ihre gesundheitliche Verfassung will sich einfach nicht bessern. Auch die Trennung von ihrem Mann Martin und ihrer bald 6-jährigen Tochter Nina wirkt sich nicht positiv auf ihren Gemütszustand aus. Hinzu kommen die beunruhigenden politischen Nachrichten aus dem Deutschen Reich. Ihr Mann ist gerade im Begriff, wieder dorthin zurückzukehren, nachdem er sich zwischenzeitlich in Frankreich aufgehalten hat. »Ich bin sehr traurig darüber, denn ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich je wieder in Deutschland werde leben können«, schreibt sie an ihre Schwägerin, die mit ihrem Ehemann, dem Maler Jakob Steinhardt, und ihrer Tochter Josefa bereits nach Palästina ausgewandert ist.
Auch Charlotte und Martin Gumpert tragen sich mit dem Gedanken zu emigrieren. Doch zuallererst muss die 35-Jährige wieder gesund werden. Dann gilt es, eine berufliche Perspektive zu haben: »Solange wie man im Ausland nichts hat (als nebbich eine kranke Frau), keine Aussicht mindestens auf eine Existenz, muss man eben noch aushalten.« Charlotte und Martin Gumpert sind beide Ärzte; sie sind sich bewusst, dass ihre Chancen im Britischen Mandatsgebiet Palästina gering sind, da es dort bereits ein »Überangebot« an Ärzten gibt. Gegenüber ihrer Schwägerin Minni flüchtet sich »Lotte« auch hier wieder in einen Witz über die Jeckes im Land: »ob denn die Deutschen alle Aerzte wären, fragt ein palästin. Kind«.
Charlotte Gumpert kehrt nach Berlin zurück – und erliegt dort am 30. Dezember 1933 ihrem Leiden. Martin Gumpert emigriert zweieinhalb Jahre später in die USA. Die Tochter Nina folgt im April 1937 zusammen mit ihrer Großmutter.
Jörg Waßmer
[…] Ja, nun habe ich mich wohl genügend ausgeschimpft. – Von uns gibt es leider zu berichten, dass Martin Wohnung sucht, ganz neuerdings, u. mit einer modern umgebauten 3 ½ Zimmer-Wohnung Uhlandstr. Ecke Steinplatz liebäugelt. Ich bin sehr traurig darüber, denn ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich je wieder in Deutschland werde leben können, aber Martin hat doch recht. Solange wie man im Ausland nichts hat (als nebbich eine kranke Frau), keine Aussicht mindestens auf eine Existenz, muss man eben noch aushalten. Und eine 3 ½ Zimmer-Wohnung wird man hoffentlich immer wieder los. Martins Briefe klingen [mei]st recht bedrückt, trotzdem er sich grosse Mühe gibt, es nicht merken [zu lassen], aber wie kann es auch anders sein. Gut, dass er wenigstens [das Kind] hat, das meistens guter Laune ist.
Die Lage der Emigranten-Aerzte, auch der Prominenten, ist eigentlich recht schlimm: Ausser Marcus, dessen Beliebtheit wohl mit Recht besteht, denn er soll sehr tüchtig u. auch nett sein, hat nur Lichtwitz etwas, ein jüd. Krankenhaus in Amerika, aber auch dort soll die Frage der Einbürgerung noch nicht erledigt sein. Alle anderen ziehen noch in der Welt herum. Von Palästina hört man immer wieder über das Überangebot von Aerzten (auch in Form von Witzen: ob denn die Deutschen alle Aerzte wären, fragt ein palästin. Kind) u. da auch eine grosse Anzahl schon geschäftstüchtiger Kollegen (womit ich weder Klopstock noch Marcus meine) rübergeht, so kann ich Dir vorher sagen, dass Martin, der gewisse Methoden verabscheut u. sich mit Leuten, die ihm unsympathisch sind, auch aus beruflichen Gründen nicht anbiedert, sich sehr schwer durchsetzen würde.
Er selbst hat mir übrigens noch nie ein Wort über Paläst. geschrieben, aber ich wäre gar nicht abgeneigt. Das Rumreisen ist jetzt leider zu teuer geworden. Was meinst Du, wie ich mich nach Martins Besuch sehne, besonders da der preussische Anstaltsbetrieb hier an meine ziemlich reduzierten psychisch. u. körperlichen Kräfte harte Anforderungen von Geduld u. Zusammennehmen stellt, aber es geht nicht so einfach. Die Reise ist so weit u. teuer u. da muss man schon aushalten. Alle Leute sagen, der Arzt sei so tüchtig u. ich muss aushalten, also füge ich mich.
Hoffentlich habt Ihr inzwischen die Hitze überstanden. Hier war es auch sehr heiss, was für mich sehr unangenehm war. Eva ist in Florenz auch fast geschmolzen. Ich musste oft an Euch denken. Offenbar hatten wir uns im Norden doch ganz gut akklimatisiert u. wir müssen die Hitze erst wieder neu zu ertragen lernen. Wie geht es Josepha? Hat sie zum Geburtstag irgendeinen europäischen Wunsch, den Mutter ihr vielleicht besorgen könnte. Oder will sie auch mit den Erzeugnissen ihrer alten Heimat nichts mehr zu tun haben? Hat sie nie Sehnsucht?
Zum Schluss noch ein paar Witze, auf die Gefahr hin, dass Ihr sie alle schon kennt:
1. Fragt man den Ankömmling in Palästina: Kommen Sie aus Überzeugung oder aus Deutschland?
2.) Annonciert ein deutscher Arzt-Emigrant, der sich jetzt in Palästina niederlässt, in der Zeitung: nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt.
3.) Was ist ein Arier? – Wer eine jüdische Urgrossmutter hat!
So, das wäre für heute alles. Alle guten Wünsche für Gesundheit, gute Einnahmen, Zustandekommen d. Arbeiterkurse, der Kunstschulen u. sonstiges Wohlergehen u. schreib mal wieder. Viele Grüsse für Jak, Josepha u. Frl. Zuckermann
Deine Lotte
Was macht Jaks Familie? Wo steckt sie?