Montag,
11. September 1933
Postkarte von Meta Abramczyk an Familie Steinhardt in Tel Aviv
Sechs Monate ist es her, dass der Maler und Grafiker Jakob Steinhardt (1887–1968), seine Frau Minni und Tochter Josefa Berlin überstürzt verlassen haben, als diese Postkarte mit Nachrichten aus der alten Heimat bei ihnen in Tel Aviv eintrifft. Absenderin ist Meta Abramczyk (1876–1942), seit 1915 Sekretärin der Künstlervereinigung »Berliner Secession e.V.« und eine Art Faktotum der Gruppe. Mit vielen der Künstler, die sie Metella nannten, war sie freundschaftlich verbunden, so auch mit Jakob Steinhardt, der der Secession seit 1918 angehörte und ab 1929 in deren Vorstand saß.
Die Steinhardts erfahren von Metella, wie dramatisch sich die Situation in der Secession verändert hat: Es »lässt sich von den alten Bekannten keiner sehen« und Abramczyk »vegetiere noch«, zusammen mit dem Maler und Radierer Paul Paeschke, als »einziges Überbleibsel«, im Büro in der Budapester Straße 10 im Bezirk Charlottenburg. »Es hat sich so vieles seit Eurem Weggang geändert!«, schreibt sie voller Wehmut und berichtet von gemeinsamen Künstlerfreunden wie Eugen Spiro, Jozsef Bato, Joseph Oppenheimer, Walter Trier und Max Pechstein. Viele sind wie Steinhardt schon geflohen, andere haben es vor, weil ihre Existenz aufgrund ihrer künstlerischen Überzeugungen oder ihrer jüdischen Herkunft bedroht ist.
Auch das bekannte Künstlerlokal »Romanisches Café«, unweit der Berliner Secession, sei jetzt »vollkommen anders zusammengesetzt«, beklagt Abramczyk. Die meisten Stammgäste sind emigriert, der Maler Heinrich Heuser ist »fast der Einzige geblieben an einem verlassenen Stammtisch«.
Im Gegensatz zu vielen der mit ihr befreundeten Künstler gelang es Meta Abramczyk nicht, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Im Oktober 1941 wurde sie ins Ghetto Łódź deportiert und im Mai 1942 in das Vernichtungslager Chelmno verlegt, wo sie am 7. Mai 1942 umkam.
Jakob Steinhardt gab im britisch verwalteten Palästina zunächst privaten Kunstunterricht und wurde dann Lehrer an der Bezalel-Schule für Kunst und Kunsthandwerk in Jerusalem, die er von 1955–1957 auch als Direktor leitete.
Franziska Bogdanov