Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 17. OKTOBER 1933
20. OKTOBER 1933 >

Donnerstag,
19. Oktober 1933

Verleihung der Kriegsdenkmünze 1914/18 an Hans Sachs

Schon seit vielen Jahren führte Hans Sachs (1886–1941) das zivile Leben eines vielbeschäftigten Krawattenfabrikanten, als ihm am 19. Oktober 1933 die Kriegsdenkmünze 1914/18 des Reichskriegerbundes »Kyffhäuser« verliehen wurde. Ihn »für Treue im Weltkriege« mit dieser Medaille auszuzeichnen, hatte durchaus seine Berechtigung: 1906 hatte Sachs sein Einjährig-Freiwilliges Jahr absolviert und war als Unteroffizier in die Reserve gegangen. Vermutlich trat er schon zu dieser Zeit dem »Kameradschaftlichen Verein Deutscher Soldaten« bei. Im Ersten Weltkrieg diente er von 1915 an, bis er kurz vor Kriegsende dienstuntauglich heimkehren musste. Die Mitgliedschaft in seinem Veteranenverein erneuerte er von Jahr zu Jahr, so auch 1933.

Doch dieses Jahr brachte auch für die unzähligen Kriegervereine in Deutschland einschneidende Veränderungen, die zuallererst von ihrem Dachverband, dem »Kyffhäuserbund«, ausgingen. Schon im Mai 1933 bekannte sich der amtierende Präsident Rudolf von Horn mit dem gesamten Verband zum NS-Staat und läutete damit das Ende der bis dahin eigenständigen Landesverbände ein. Am 30. September 1933 ordnete er schließlich die Durchsetzung des »Arierparagraphen« an – Nichtarier durften den Kriegervereinen nicht länger angehören. Die Frist für den Austritt war der 1. November.

Nicht alle Veteranenvereine billigten diese Anordnung, waren sie sich doch der Leistungen und patriotischen Treue der jüdischen Kameraden bewusst und empfanden deren Ausschluss zu Recht als verunglimpfend. Womöglich aus diesem Grund oder auch um abschließend die Verdienste um Verein und Vaterland zu würdigen, erhielt Hans Sachs noch im Oktober die Kriegsdenkmünze. Sein Austritt war trotz allem besiegelt. »Aufrecht und stolz gehen wir aus dem Kampf, den wir über vier Jahre gegen eine Welt von Feinden bestanden haben« – dieses Zitat Hindenburgs ziert die Rückseite der Denkmünze. Für Hans Sachs bekamen die Worte in den folgenden Jahren eine ganz eigene Bedeutung.

Ulrike Neuwirth

Kategorie(n): Frontsoldaten | Unternehmer
Besitzzeugnis über die Verleihung der Kriegsdenkmünze 1914/18 an Hans Sachs, Berlin, 19. Oktober 1933. Das Zeugnis trägt die faksimilierte Unterschrift von Paul von Hindenburg, Reichspräsident und Ehrenpräsidenten des Kyffhäuserbundes.
Schenkung von Brigitte Hundt

Soldat und Kaufmann

Hans Sachs kam 1886 in Schoppinitz bei Kattowitz zur Welt, als eines von vier Kindern der Eheleute Max und Rosa Sachs. Nach Abitur und Militärdienst trat er in die Fußstapfen des Vaters und wurde Kaufmann. Nach dem Ersten Weltkrieg ließ sich Hans Sachs in Berlin nieder und heiratete 1922 die junge Krefelderin Else Stern, die aus einer hochangesehenen Textilfabrikantenfamilie stammte. Noch im selben Jahr wurde der Sohn Walter geboren. Sachs trat als Gesellschafter in die Firma des Schwiegervaters ein und führte alsbald die Berliner Filiale der »Stern-Lehmann & Co. Kravatten- und Mützenfabrik«. 1930 wurde die Tochter Eva geboren.

Schon Mitte der 1920er Jahre entbrannte in der Familie Stern ein erbitterter und lang andauernder Streit um die Nachfolge des Firmengründers, der auch Hans Sachs erfasste und ihn schließlich 1938 aus der Firma drängte. Er sah sich zu einem geschäftlichen Neuanfang gezwungen, der ihm nicht mehr recht gelang. Längst waren ihm die Mittel ausgegangen, auch die geplante Ausbildung des Sohnes am Technikum in Haifa konnte er nicht mehr finanzieren.

Nach dem Novemberpogrom wurde Sachs verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Seine Familie bemühte sich verzweifelt darum, die Emigration aus Deutschland zu organisieren. Dem Sohn Walter gelangt im März 1939 die Flucht nach Palästina, doch für die Eltern und seine Schwester Eva gab es kein Entkommen. 1941 wurden sie mit einem der allerersten Transporte von Berlin nach Minsk deportiert und ermordet.

Die Brüder Hans (rechts) und Walter Sachs als Soldaten, Berlin, vor 1916. Anders als Hans überlebte Walter den Krieg nicht, er starb 1916 im Alter von 27 Jahren.
Landesarchiv Berlin 
IMPRESSUM