Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 19. OKTOBER 1933
20. OKTOBER 1933 >

Freitag,
20. Oktober 1933

Mitgliedskarte des »Reichsverbands christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer oder nicht rein arischer Abstammung« für Joachim Marckwald

Es war ein sperriger Name, den die Gründungsmitglieder ihrem Verein bei der Zusammenkunft in einem Berliner Hotel am 20. Juli 1933 gaben und wenig später im Vereinsregister eintragen ließen: »Reichsverband christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer oder nicht rein arischer Abstammung e.V.«. Diese Bezeichnung sollte zum einen die christlich-nationale Gesinnung der Mitglieder zum Ausdruck bringen und zum anderen auf den Charakter des Vereins als Selbsthilfeorganisation für christliche Verfolgte des Rassenantisemitismus verweisen.

Der Name war nicht unumstritten. Insbesondere die »von uns so schmerzlich empfundene Negation ›nichtarisch‹« stieß intern auf Vorbehalte. Im Juli 1934 sammelte der Vorstand deshalb alternative Vorschläge für die Selbstbezeichnung. Auch die Gestapo scheint auf eine Umbenennung gedrungen zu haben, weil ihr eine Verknüpfung der Worte »deutsch« und »nichtarisch« nicht genehm war. Ab Herbst 1934 hieß der Verein »Reichsverband der nichtarischen Christen«.

Von Anfang an war der Verband bemüht, seine politische Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen. Die Mitgliedskarte war in den Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot gehalten. Das Logo zeigte zwei übereinander gelegte Kreuze: ein christliches Kreuz und ein Tatzenkreuz, das schon vom Templerorden in den Kreuzzügen verwendet worden war und auch als Vorlage für das 1813 gestiftete Eiserne Kreuz gedient hatte. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft war, »auf dem Boden des nationalen Deutschlands« zu stehen, älter als 18 Jahre zu sein, »einer christlichen Religionsgemeinschaft« anzugehören und jüdischer oder teilweise jüdischer Herkunft zu sein. Genaue Mitgliedszahlen liegen keine vor, lassen sich aber auf Grundlage der Auflagenhöhe des herausgegebenen Mitteilungsblattes schätzen: Für 1935 ist von etwa 7.000 bis 10.000 Menschen auszugehen, deren Interessen der Reichsverband vertrat.

Einer von ihnen war der 31-jährige Jurist Joachim Marckwald (1902–1986). Seine Eltern waren vor der Hochzeit konvertiert und hatten beide Söhne nach der Geburt evangelisch taufen lassen. Infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte Marckwald als »Nichtarier« seinen Beruf als Gerichtsassessor nicht mehr ausüben. Im Reichsverband übernahm er schnell Verantwortung und stieg im Spätherbst 1933 in die achtköpfige Verbandsleitung auf. Dort war er unter anderem für die juristische Beratung der Mitglieder und für Auswanderungsfragen zuständig. 1936 emigrierte er selbst: Zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Vater ging er nach Brasilien, wo er sich in der Siedlung Rolândia niederließ.

Jörg Waßmer

Kategorie(n): Berlin | Berufsverbot | Juristen | Vereine
Mitgliedskarte des »Reichsverbands christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer oder nicht rein arischer Abstammung e.V.«, ausgestellt für Joachim Marckwald, Berlin, 20. Oktober 1933
Schenkung
IMPRESSUM