Zwölf Semester Studium lagen hinter Fritz Pinkuss (1905–1994), als er am 2. Juli 1931 an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin die Prüfung zum Rabbiner bestand. Er hatte zunächst in Breslau Jüdische Theologie studiert, an der Universität Würzburg promoviert und sich anschließend an der Hochschule in Berlin eingeschrieben. An dieser »unabhängigen Lehranstalt zum Zwecke der Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung der Wissenschaft des Judentums« ließ er sich zum Rabbiner ausbilden.
Sein Zeugnis, unterschrieben von bekannten jüdischen Gelehrten wie Leo Baeck und Ismar Elbogen, dokumentiert diesen Werdegang, listet seine Abschlussarbeiten auf und entlässt ihn »mit den besten Segenswünschen«. Pinkuss war nun befähigt als »Rabbiner, Prediger und Religionslehrer« zu wirken. Er ging nach Heidelberg und übernahm die Stelle seines Onkels Hermann Pinkuss als Rabbiner in der dortigen Jüdischen Gemeinde.
Eine beglaubigte Abschrift des Zeugnisses stellte sich Fritz Pinkuss im Oktober 1933 zusammen mit anderen Dokumenten in seiner Funktion als Gemeindevorsteher selbst aus. Vermutlich spielte er bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen, da er das deutsche Judentum durch die Nationalsozialisten in seiner Existenz gefährdet sah. Spätestens ab Oktober 1934 stand er dann mit der Jüdischen Gemeinde in São Paulo, Brasilien, in Kontakt.
Unter den Papieren von Fritz Pinkuss befindet sich auch eine 1936 angefertigte Übersetzung des ursprünglich auf Deutsch verfassten Rabbinatszeugnisses ins Portugiesische. In diesem Jahr emigrierte Fritz Pinkuss mit seiner Frau Lotte Selma Pinkuss, geb. Sternfels, und dem einjährigen Sohn Michael Ludwig nach Brasilien. Dort übernahm er eine Rabbinerstelle und baute als Oberrabbiner die liberale deutsch-jüdische Gemeinde in São Paulo auf. Später begründete er an der Universität der Stadt das Zentrum für jüdische Studien.
Christiane Bauer
Abschrift.
HOCHSCHULE FÜR DIE WISSENSCHAFT DES JUDENTUMS ZU BERLIN
RABBINATS – ZEUGNIS
Herr Dr. Fritz Pinkuss, geboren am 13. Mai 1905 zu Egeln bez. Magdeburg, hat nach Erlangung des Reifezeugnisses am Realgymnasium zu Magdeburg von April 1925 bis Juli 1928 am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau und von August 1928 bis Januar 1931 an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zu Berlin insgesamt 12 Semester hindurch dem Studium der jüdischen Theologie obgelegen, an den Vorlesungen und Übungen regen Anteil genommen und ausgebreitete Kenntnisse auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft des Judentums erworben.
Er hat auch durch die von ihm gehaltenen Übungspredigten seine Befähigung als Kanzelredner erwiesen.
Nach Vollendung seiner theologischen Studien meldete er sich an unserer Hochschule zur Rabbinatsprüfung. Von seinen schriftlichen Arbeiten hat die eine mit dem Titel »Saul Ascher, ein unbekannter Theoretiker des Judentums und der Judenemanzipation« das Prädikat »gut«, die andere mit dem Titel: »Die religionsgesetzlich verbotenen Ehen« das Prädikat »genügend« erhalten.
Am 2. Juli 1931 fand die mündliche Schlußprüfung durch das unterzeichnete Lehrerkollegium statt.
Es prüften:
Herr Dr. H. Torczyner: Sprach- und Bibelwissenschaft,
Herr Rabbiner Dr. L. Baeck: Religionsgeschichte, Homiletik und Methodik des jüd. Religionsunterrichts,
Herr Prof. Dr. J. Elbogen: Jüdische Geschichte und Literatur,
Herr Prof. Dr. J. Guttmann: Religionsphilosophie,
Herr Dr. Ch. Albeck: Talmudwissenschaft.
Das Gesamtergebnis der Prüfung war gut.
Auf Grund dieser Prüfung wird Herrn Dr. Fritz Pinkuss mittels dieser Urkunde die Befähigung, als
RABBINER, PREDIGER UND RELIGIONSLEHRER
zu wirken zuerkannt.
Gleichzeitig wird ihm von dem mitunterzeichneten Dozenten für die talmudischen Disziplinen, Herrn Dr. Albeck, eine
HATTARAT HORAA
ausgestellt.
Dies bekunden wir mit unserer Namensunterschrift unter Beidrückung des Amtssiegels.
Unsere Anstalt entläßt Herrn Dr. Fritz Pinkuss mit den besten Segenswünschen.
Möge er in der Gemeinde Israels zur Ehre Gottes und zum Heile der Menschheit erfolgreich wirken und allezeit die Sache des Judentums mit Eifer und Treue vertreten.
Möge er auch die wissenschaftliche Begabung, die er bereits erwiesen hat, weiter entwickeln und zur Bereicherung der Wissenschaft des Judentums beitragen!
Berlin, den 2. Juli 1931.
DAS LEHRERKOLLEGIUM
der HOCHSCHULE FÜR DIE WISSENSCHAFT DES JUDENTUMS.
gez. Torczyner
gez. Guttmann
gez. Baeck
gez. Elbogen
gez. Albeck.
1 Siegel.
Für die Übereinstimmung dieser Abschrift mit dem Original des Zeugnisses,
(Unterschrift von Fritz Pinkuss)
Heidelberg, den 29. Oktober 1933
(Stempel)