Samstag,
9. Dezember 1933
Brief von Hugo Heymann an Julius Sternberg mit der Bitte um Auskünfte über seine Vorfahren
Der »streng vertrauliche« Tipp, ein neues »Judengesetz« sei in Arbeit, brachte den Juristen Dr. Hugo Heymann dazu, zum Füllfederhalter zu greifen und diesen Brief zu schreiben. Das geplante Gesetz würde ihn, wie er meint, in eine »bevorzugte Klasse« einstufen. Die Bedingung dafür sei der Nachweis, dass seine Vorfahren schon vor 1800 in Deutschland beheimatet gewesen waren. Da er selbst seinen Stammbaum nicht so weit zurückverfolgen kann, sucht er Rat bei Julius Sternberg (1879–1971).
Sternberg leitet das angesehene Kaufhaus »M.K. Sternberg« in der Altstadt des Berliner Bezirks Spandau und steht der dortigen jüdischen Gemeinde vor. Doch nicht allein deshalb wendet sich Heymann an ihn. Sternberg ist Geschichtsliebhaber, er hat seine eigene Familie von einem Genealogen erforschen lassen. Die »Erfrischungsdiele«, die zu seinem Kaufhaus gehört, zieren historische Gemälde, die die Geschichte Spandaus erzählen. Zudem war Heymanns Großmutter eine geborene Sternberg und beide Männer haben Wurzeln in der ehemals preußischen (und nunmehr polnischen) Stadt Czarnikau. Die Hoffnung des Briefschreibers, er könne über Sternberg an Hinweise über seine Vorfahren gelangen, war also durchaus berechtigt.
Weniger verständlich war Heymanns Erwartung, der rassistischen Politik der Nationalsozialisten zu entgehen, wenn er nur dokumentieren könnte, dass sich seine Familiengeschichte bereits im 18. Jahrhundert auf »deutschem Boden« abspielte. Das Gesetz, von dem er von »zuverlässiger Seite« hatte munkeln hören, wurde nie erlassen. Für die Nationalsozialisten begründete sich die Angehörigkeit zum Judentum in der Abstammung, »im Blut«. Selbst wenn es Heymann gelungen ist darzulegen, dass seine Ahnen seit Generationen in Deutschland verwurzelt waren, bewahrte ihn dies nicht vor Verfolgung.
Hugo Heymann starb am 24. November 1939 im Alter von 68 Jahren und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee beerdigt. Seine 1874 geborene Frau Susette überlebte die NS-Zeit nicht. Sie wurde im März 1943 nach Theresienstadt und von dort im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert.
Monika Flores Martinez