VielSeitig: Graphic Novels
Lesenswerte Kinder- und Jugendbücher
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Auf dieser Seite haben wir für Sie eine Auswahl von Graphic Novels zusammen gestellt, die wir Ihnen besonders aufgrund einer vorurteilsbewussten Herangehensweise an Themen wie Diskriminierungserfahrungen und kulturelle Vielfalt empfehlen möchten.
Bücher auf dieser Seite
Ein neues Land
Shaun Tan
Die Freiheitsstatue in New York scheint wie aus einem Traum entsprungen: Sie hat sich in zwei riesige menschliche Wesen verwandelt, die tierähnliche Gestalten auf Arm und Rücken tragen. Jedes dieser Wesen steht in einem großen Boot, beide reichen sich die Hände zur Begrüßung. Dahinter erhebt sich die Skyline der Stadt, wie man sie von historischen Bildern oder aus Filmen kennt. Aber ist das überhaupt New York? Und in welcher Zeit befinden wir uns? Auf den ersten Blick scheinen uns die fotorealistischen Zeichnungen dieser Graphic Novel vertraut: Die Menschen und Verkehrsmittel, die Dörfer und Städte könnten aus einem Fotoalbum des frühen 20. Jahrhunderts stammen. Eingestreut sind jedoch bisher nie gesehene Tiere, nicht lesbare Zeichen und Wörter, die uns irritieren und darauf hindeuten, dass wir uns doch irgendwo anders befinden, in einer eigenen Zeit, in einem fremden Land.
In dieses uns also nur scheinbar vertraute Land wandern Menschen aus allen Gegenden der Welt ein. Sie wurden von ihren Familien fortgerissen und durch Kriege, Gewalt und Not aus ihrer Heimat vertrieben. In dem neuen Land ist alles seltsam, merkwürdige Tiere werden zu Begleitern der Einwanderer, die weder die Sprache verstehen, noch die Nahrungsmittel des Landes identifizieren können.
Dem Künstler Shaun Tan gelingt es ganz ohne Worte, die Suche aller aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen nach einem neuen Leben in einem fremden Land darzustellen. In seinen meisterlichen Bildern, die in zarten Brauntönen gehalten sind, bei schrecklichen Erlebnissen auch fast schwarz werden, sind bei jedem Hinschauen neue, kleine Details zu entdecken. Wir folgen dem Helden der Geschichte auf seinem Weg und fühlen uns genauso fremd wie er in der neuen Welt, wir verstehen die Sprache nicht und haben Sehnsucht nach unseren Freunden und der Familie. Überraschenderweise wartet in dieser faszinierenden Bildergeschichte ein Happy End auf uns.
Packeis
Simon Schwartz (Text und Bild)
Mahru Paluk ist der Mann, der den Teufel besiegte, der nach dem Glauben der Inuit am kältesten Punkt der Welt lebt. Hinter dieser Inuit-Sage steckt die Biografie von Matthew A. Henson (1866-1955). Die Graphic Novel Packeis erzählt spannend und in beeindruckenden Bildern Hensons Lebensgeschichte, eine Geschichte von Pioniergeist, Entdeckungen, Scheitern und Vergessenwerden – gehalten in Grautönen und Eisblau. Neben den sagenhaften Episoden schreibt und zeichnet Simon Schwartz das abenteuerliche Leben Hensons: einerseits als junger Schiffszimmermann und Entdecker und andererseits als alternder und desillusionierter Museumsmitarbeiter. Matthew A. Henson war einer jener Männer, die Anfang des 20. Jahrhunderts voller Pioniergeist neue Gebiete, weiße Flecken auf der Landkarte, entdecken wollten. Einer dieser Flecken war der Nordpol, den Matthew Henson gemeinsam mit Robert Peary im Jahr 1909 vermutlich als erster Mensch betreten hat.
Die anderen US-amerikanischen Entdecker des Nordpols fielen in das Gebiet der Inuit ein, entführten Menschen, verkauften diese in den USA als lebende Exponate an Museen und raubten alles, was den Inuit heilig war. Die sagenhafte Geschichte von Mahru Paluk endet ähnlich deprimierend wie die von Matthew A. Henson. Henson wurde für seine Verdienste weder geehrt noch dafür bekannt, stattdessen erhielten andere den Ruhm. Der Grund: Henson war schwarz. Im umfangreichen Anhang des Comics erfahren wir: Erst nach seinem Tod erkannte eine weniger rassistische Öffentlichkeit Hensons wissenschaftliche Verdienste an und verlieh ihm im Jahr 2000 mit der Hubbard-Medaille die höchste Auszeichnung der National Geographic Society. Mit diesem Comic hält man nun eine weitere späte und bildhafte Würdigung des afroamerikanischen Entdeckers in Händen, die unterhaltsam ist und ganz nebenbei Einblick in die Folgen des Rassismus gibt.
Der Traum von Olympia
Die Geschichte von Samia Yusuf Omar
Reinhard Kleist (Text und Bild)
Als Samia Yusuf Omar an den Olympischen Spielen in Peking 2008 teilnimmt, trägt sie die somalische Flagge ins Stadion. Beim 200-Meter-Lauf wird sie Letzte. Von da an ist ihr größter Traum, noch einmal an Olympischen Spielen teilzunehmen – in London 2012 – und dort als Erste ins Ziel zu laufen. Um ihren Traum verwirklichen zu können, muss sie trainieren. Doch in Somalia sind die Lebensbedingungen schlecht. Die Nahrung ist einseitig, das Stadion in Mogadischu ist zerbombt und militante islamistische Bewegungen sehen es nicht gerne, wenn eine Frau Sport treibt. Um Profisportlerin zu werden, muss sie nach Europa. Gemeinsam mit ihrer Tante macht sie sich auf den Weg über Äthiopien, Sudan und Libyen. Auf ihrer fast einjährigen Reise sind sie stets abhängig von den unberechenbaren Machenschaften der Schlepper.
Wann immer sie kann, schreibt Samia Yusuf Omar ihren Fans auf Facebook, wo sie gerade ist. „Ich bin in Khartum und warte schon seit Wochen darauf, dass es weitergeht. Keine Nachricht von denen, die das Auto besorgen wollten. Zum Glück kann ich bei ein paar anderen Somalis in einer Baracke in der Nähe des Busbahnhofs schlafen.“
Dann endlich geht es weiter. Eng zusammengepfercht sitzt sie mit anderen Flüchtlingen auf einem Lastwagen Richtung Tripolis. Sie alle träumen von einem besseren Leben und von Arbeit in Europa. „Ich war Fischer in Somaliland. Aber es gibt kaum noch Fische. Die Netze bleiben leer, seitdem die großen Schiffe aus Europa alles fangen. Also gehe ich dorthin, wo die Fische hingehen.“ Gemeinsam steigen sie in ein kleines Schlauchboot, das sie nach Europa bringen soll.
Reinhard Kleist hat in eindringlichen schwarz-weiß Bildern, knappen Dialogen und Facebookeinträgen das kurze Leben von Samia Yusuf Omar nachgezeichnet. Ihre Lebensumstände in Somalia, ihre Flucht und Ängste, aber immer auch wieder ihren Traum von den Olympischen Spielen in London, ihren Wunsch, mit ihrer Familie in Sicherheit leben zu können.
Die Katze des Rabbiners
Joann Sfar (Text und Bild)
Was passiert, wenn eine Katze einen sprechenden Papagei frisst und danach selbst sprechen kann? In Joann Sfars fünfbändiger Graphic Novel Die Katze des Rabbiners fängt sie prompt an zu lügen – über das mysteriöse Verschwinden des Papageis. Auch eine Katze muss lernen, dass Worte nicht dazu dienen, die Welt nach eigenem Gutdünken umzudeuten, sagt sinngemäß ihr Herr, ein algerischer Rabbiner. Gute Juden lügen nicht. Doch was ist, wenn es sich nicht um einen Menschen handelt, sondern um eine Katze? Spitzfindig verlangt die Katze eine eigene Bar Mizwa, das Ritual, das sie erwachsen und religionsmündig macht, da sie jüdisch sei. In den darauffolgenden Gesprächen zwischen Rabbiner, Rabbiner des Rabbiners, der Katze und ihrer geliebten Herrin Zlabya wird über Gott und die Welt diskutiert. Die Katze nimmt den Leser immer wieder mit auf ihre Streifzüge durch die Stadt, in ihre Träume und kommentiert schonungslos die Worte und Taten der Menschen.
Aus der Perspektive der Katze wirft Joann Sfar in den fünf Bänden verschiedenste Fragen auf, wie: Was ist wahr? Wann ist es besser zu schweigen? Wodurch zeichnet sich der Glaube an Gott im Judentum aus? Was unterscheidet den Menschen von einer Katze? In märchenhaften Bildern werden die Erlebnisse der Katze Moujroum in ihrer sefardischen Familie erzählt. Der bekannte französische Comic-Zeichner und Regisseur Joann Sfar gibt keine oberflächlichen Einblicke in das Judentum, sondern bringt dem Leser die jüdische Sicht auf die Welt näher. Die direkten, oft sarkastischen Kommentare der Katze bringen menschliche Spannungen auf den Punkt und animieren den Leser zusammen mit der Katze dazu, Traditionen und Gewohntes zu hinterfragen.
Aufzeichnungen aus Jerusalem
Guy Delisle (Text und Bild)
Guy Delisle ist Comiczeichner und begleitet seine Frau, die für Ärzte ohne Grenzen arbeitet, mit den beiden Kindern für ein Jahr nach Jerusalem. Während seine Frau in Gaza unterwegs ist, kümmert er sich um Haushalt und Kinder und versucht, an einem neuen Comicprojekt zu arbeiten. Das gelingt ihm jedoch nicht so recht, denn der nächtliche Ruf des Muezzins weckt die kleine Alice auf, was auch ihrem Vater Schlaf und Nerven raubt. Dieser verbringt seine Vormittage damit, die Kinder im chaotischen Jerusalemer Verkehr hin und her zu kutschieren, er lebt also „kurz: Das aufregende Leben eines Hausmanns.“ Daher nutzt Guy Delisle seine wenige freie Zeit dazu, seine Umgebung zu erkunden und berichtet in einer gezeichneten Reportage vom Alltag in einer besonderen Stadt, die ein zentraler Ort von drei großen Weltreligionen und gleichzeitig vom jahrzehntelangen Konflikt um das Gebiet von Israel und Palästina geprägt ist.
Guy Delisle möchte nicht belehren und wertet nicht. Er ist ein hervorragender Beobachter, der von seinen Erlebnissen berichtet, ohne Partei zu ergreifen. Er lässt seine Geschichten und vor allem seine treffenden und witzigen Zeichnungen für sich sprechen. Er berichtet von Erkundungstouren in Jerusalem und Comic-Workshops im Westjordanland, von jüdischen Siedlern, die ihre Autos in den arabischen Ostjerusalemer Werkstätten reparieren lassen, ebenso wie von muslimischen Frauen, die in den Supermärkten der Siedlungen einkaufen.
Weil Guy Delisle so herrlich selbstironisch über sich und seinen Alltag schreibt, über die Freuden seines Hausmanndaseins ebenso wie über die Fettnäpfchen, in die er unweigerlich tappt, ist Aufzeichnungen aus Jerusalem nicht nur ein Buch, das zum Nachdenken anregt, sondern auch häufig zum Lachen bringt. Wer schon einmal in Jerusalem war, wird vieles wiedererkennen. Wer Israel nicht kennt, erfährt auf unterhaltsame Weise viel über den Alltag im Nahostkonflikt. Das Buch ist nur auf den ersten Blick ein dicker Wälzer, denn am Ende ist es schneller gelesen, als einem lieb ist.
Im Land der Frühaufsteher
Paula Bulling (Text und Bild)
Im Land der Frühaufsteher von Paula Bulling macht in eindrücklichen Bildern eine der trostlosen Seiten der geteilten Lebenswelten deutlich. Der Buchtitel ist gleichzeitig der Werbeslogan des Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Dort zu leben heißt für einige, von der Umwelt abgeschirmt in heruntergekommenen Gebäuden, ohne Zugang zu Bildung, Arbeit und Abwechslung ein Leben im Wartestand zu führen und gegen Rechtlosigkeit und Entwürdigung ankämpfen zu müssen. Für einige andere – wie die Zeichnerin und Autorin Paula Bulling – bedeutet es, sich in ihrem Studium selbstbestimmt kreativ zu entfalten und mit den politischen Verhältnissen auseinanderzusetzen. Wie beides zusammenkommen kann, davon handelt diese Comic-Reportage.
Paula Bulling schildert, wie sie zu Asylbewerbern in verschiedenen Flüchtlingsheimen in Sachsen-Anhalt Kontakt aufnimmt und in intensiven Gesprächen Recherchen über deren Situation durchführt. Sie begleitet die Refugees auch bei Protestkundgebungen und bei Auseinandersetzungen mit gewalttätigem oder verbalem Alltagsrassismus. Dabei freundet Paula Bulling sich mit einigen Personen an und pflegt gemeinsame Interessen wie den intellektuellen Austausch über Kinofilme. Die bisweilen skizzenhaften llustrationen vermitteln etwa durch die Farbgebung – hauptsächlich in Grau – denjenigen, die so nicht leben müssen, eine Ahnung von den Zumutungen eines deutschen Flüchtlingsheims.
Ein Leitmotiv der Reportage, die auch in künstlerischer Zusammenarbeit mit einigen der Protagonisten entstand, ist die Frage nach einer angemessenen Perspektive: Um nicht das Sprechen über Andere und dabei die vorherrschenden Deutungsmuster ungebrochen zu wiederholen, macht Bulling unterschiedliche Positionen, damit einhergehende Beziehungen der Protagonisten zueinander und die Unsicherheiten, die daraus folgen, zum Thema. So schafft es Paula Bulling, mit ihrer Erzählung, Leserinnen und Leser in privilegierten Positionen dazu anzuregen, die eigene Haltung zu reflektieren.
Madgermanes
Birgit Weyhe (Text und Bild)
José António Mugande ist 18 Jahre alt, ehrgeizig und klug, er möchte studieren und Lehrer werden. Wie Tausende andere junge Mosambikaner*innen, die in ihrer krisengeschüttelten Heimat keine Zukunft sehen, wird auch er 1981 mit dem Versprechen, in der DDR eine Ausbildung zu erhalten, in den sozialistischen Bruderstaat gelockt. Schnell wird ihnen aber klar, dass sie nur für unbeliebte Hilfsarbeiten eingesetzt werden sollen und sich einem streng reglementierten Leben zu unterwerfen haben.
Birgit Weyhe erzählt in eindrücklichen zweifarbigen, von ostafrikanischen Motiven inspirierten Bildern die wechselvollen Geschichten dreier Menschen, die sich in Ostberlin begegnen. Sie erzählt, wie der schüchterne José, der Lebemann Basilio und die starke Annabella lernen und sich weiterbilden, sich verlieben, sich mit dem Leben in der Fremde arrangieren und über die mitunter absurden bis unmenschlichen Vorschriften hinwegsetzen. Sie erzählt von Träumen, Enttäuschungen und Schicksalsschlägen sowie von den Familien, die während des langen und blutigen Bürgerkriegs in Mosambik geblieben sind.
Die meisten Vertragsarbeiter*innen kehren 1990 nach Mosambik zurück. Rassismus und Gewalt, Fabrikschließungen und vor allem das Ende ihrer Verträge nach der Wende zwingen sie dazu. Mehr als die Hälfte ihrer Gehälter war während der ganzen Zeit einbehalten worden und sollte bei ihrer Rückkehr ausbezahlt werden. Doch das Geld ist verschwunden. Damit nicht genug: Nach so langer Zeit im Ausland ist den Rückkehrer*innen die Heimat fremd geworden. Viele Madgermanes (der Begriff ist eine Verballhornung von „Made in Germany“), so auch Basilio, kämpfen noch heute dafür, dass sie ihr Geld bekommen.
Madgermanes thematisiert ein wenig bekanntes Kapitel von DDR- und Migrationsgeschichte, stellt Fragen nach Fremdsein, Zugehörigkeit und Heimat. Und prangert Ungerechtigkeit an.