Brot und Rosen
Zum internationalen Frauen*kampftag
Am 8. März gehen weltweit wieder Menschen auf die Straße, um für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen* zu demonstrieren. Erstmalig in Deutschland wurde dieser Tag 2019 hier in Berlin als gesetzlicher Feiertag verankert. Damit sind über 100 Jahre vergangen, seitdem Clara Zetkin auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen die Einführung eines solchen internationalen Frauen*tages angeregt hatte.
Wenige Jahre zuvor fand ebenfalls in Berlin mit dem Internationalen Frauenkongress eine wichtige Zusammenkunft statt, auf der die bis heute bestehende International Alliance of Women (IAW) gegründet wurde. International ist der Kampf um Frauen*rechte noch heute, wenn auch die gesellschaftlichen Bedingungen historisch wie lokal unterschiedlich ausfallen mögen. Eine passende Gelegenheit, nach den Anfängen der Bewegung zu fragen. Als wissenschaftliche Volontärin des Jüdischen Museums Berlin habe ich deshalb einen Blick in die hiesigen Archivbestände geworfen und auch andere Archive konsultiert.
Wer waren also diese frühen Frauenrechtler*innen und wo werden ihre Geschichten erzählt?
What we fight for ...
Bei der Spurensuche fällt zunächst auf, dass die Ursprünge der Frauen*bewegung nicht an einem einzigen Ereignis oder Datum festzumachen sind. Im 19. Jahrhundert gab es vor allem in den USA vereinzelt wirkmächtige Arbeitskämpfe von Frauen* für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Aus diesen einzelnen Erhebungen entstand eine soziale Bewegung, die die rechtliche Ungleichheit der Frau* innerhalb der Gesellschaftsordnung infrage stellte und damit zunehmend auch das Bürgertum ansprach. So rückten sogleich das Wahlrecht, der Zugang zu Bildung und das Recht auf Erwerbstätigkeit mehr in den Fokus der Forderungen. Dass es den Akteur*innen dabei nicht nur um ein Überleben, sondern auch ein gutes Leben ging, verdeutlicht das Motto „Brot und Rosen“, das einer Rede von Rose Schneiderman aus dem Jahr 1911 entstammt:
„The woman worker needs bread, but she needs roses too.“
Größere Bekanntheit erlangte dieser Satz durch das gleichnamige Gedicht „Bread and Roses“ von James Oppenheim, das direkten Bezug auf Schneiderman nahm. Darin heißt es:
„Small art and love and beauty their drudging spirits knew. Yes, it is bread we fight for, but we fight for roses too.“
Die Vertonung dieses Textes zählt noch heute zum Liedgut der Frauen*bewegungen weltweit. Den wenigsten ist die bemerkenswerte Urheberin dieses Gedankens näher bekannt, für deren politisches Handeln ihre jüdische Herkunft eine bedeutende Rolle spielte.
Sozial, weiblich, jüdisch
Rose (Rachel) Schneiderman (1882–1972) wuchs im russischen Kaiserreich in einer jüdischen Familie auf, die in die USA emigrierte. Nach dem Tod ihrer Eltern, Rose war gerade einmal 13 Jahre alt, musste sie ihren Lebensunterhalt als Textilarbeiterin verdienen. Bereits mit 21 Jahren engagierte sie sich in der jüdisch-sozialistischen Gewerkschaft United Cloth Hat and Cap Makers’ Union und bewegte auch ihre Kolleg*innen zum Beitritt. Die wenige Jahre später anerkannte Gewerkschafterin stieg zur politischen Beraterin der Roosevelt-Regierung auf und trat als einziges weibliches Mitglied des National Recovery Administration Labor Advisory Board sowohl für die Lohngleichheit von Frauen* als auch die Einbeziehung von Hausangestellten in die Sozialversicherung ein – übrigens noch heute brennend aktuelle Themen.
Schneidermans Selbstverständnis als Jüdin spielte dabei für sie eine große Rolle und das nicht nur innerhalb der Interessensvertretung der Arbeiter*innen. Als in den 1930er und 1940er hunderttausende Jüdinnen*Juden durch das nationalsozialistische Deutschland zur Flucht gedrängt wurden, organisierte Rose Schneiderman Unterstützungsangebote zur Emigration in die USA, aber auch nach Palästina.
Frauen*emanzipation in Deutschland
Zu den Pionier*innen der deutschen Frauen*bewegung zählen unter anderem Bertha Pappenheim (1859–1936) und Henriette Fürth (1861–1938). Ihre politischen Ziele in Sachen Frauen*rechte standen denen ihrer amerikanischen Mitstreiter*innen in nichts nach.
Beide initiierten auf dem oben erwähnten Internationalen Frauenkongress 1904 außerdem die Gründung des Jüdischen Frauenbunds, dessen Vorsitz Bertha Pappenheim bis zu ihrem Tod 1936 inne hatte. Noch immer mit der jüdischen Tradition verbunden, doch zugleich der Frauen*emanzipation verpflichtet, sah sich der Verein als Interessensvertretung von Frauen* in der jüdischen Kultur sowie als jüdische Vertretung innerhalb der deutschen Frauen*bewegung.
Henriette Fürth brachte die Notwendigkeit einer solchen Position auf den Punkt: „Wir sind nicht nur Frauen, wir sind jüdische Frauen. Und solange dies Beiwort noch eine herabsetzende Unterscheidung umschließt, solange dürfen wir nicht abhalten vom Kampf“
– gemeint ist hier sowohl der um Frauen*rechte als auch der gegen Antisemitismus.
Denn zu diesem Zeitpunkt galt in Deutschland für die jüdische Bevölkerung noch immer eine rechtliche Benachteiligung. Die formale politische und rechtliche Gleichstellung sicherte erst die Weimarer Verfassung von 1919. Wenige Monate zuvor konnten zur Wahl der Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 auch Frauen* erstmals auf nationaler Ebene ihr Wahlrecht nutzen. Damit feiern wir dieses Jahr auch ein doppeltes Jubiläum emanzipativer Errungenschaften.
Alltag und Aufbruch
Abseits dieser herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Frauen*bewegung und ihrem Engagement für Lohn, Brot und Mitsprache, erstritten sich viele Frauen* im alltäglichen Leben ihre Selbstbestimmung und dies auf ganz unterschiedlichen Wegen. Zugleich galt der Kampf antiquierten Frauenbildern und dem Recht auf Selbstbestimmung, was sich Anfang des 20. Jahrhunderts auch schon in der Wahl der Kleidung oder des Haarschnitts, durch das demonstrative Rauchen in der Öffentlichkeit oder das Fahren eines motorisierten Kraftwagens zeigen konnte.
Gemeinsam gleichberechtigt und emanzipiert
Den Weg der Emanzipation auf politischer wie persönlicher Ebene kennzeichnen viele Konflikte. Wie unmittelbar und alltäglich letztlich die erstrebte Gleichberechtigung aussehen kann, vermag dieser Schnappschuss zu illustrieren. Er zeigt Jugendliche auf einem Ausflug des Bar Kochba von 1927, nach Fischen schnappend, gleichberechtigt, frei und fröhlich. Bei Bar Kochba Berlin, dem ersten jüdischen Turnverein im deutschen Kaiserreich, waren trotz der in Sportvereinigungen allgemein vorherrschenden männlich kodierten Tugenden Frauen* von Beginn an vertreten.
Frauen* in Archiven
Allgemein finden sich sowohl von Frauen* als auch aus der Arbeiter*innenklasse eher wenige Zeugnisse im Archiv unseres Museums, was wohl auf die meisten Archive zutrifft, deren Sammlungsgebiet nicht speziell auf diese Gruppe zugeschnitten ist. Darum gilt unser Gruß an dieser Stelle allen Archiven, die das Wirken selbstbestimmter Frauen* dokumentieren – ob auf der politischen Bühne oder im alltäglichen Lebensumfeld. Denn ohne Zeugnisse, keine Erinnerung. Darauf bauen nicht zuletzt auch wir im Museum, die es als Aufgabe ansehen, diese Geschichte(n) wie auch aktuelle Ereignisse zu bewahren und zu erzählen.
Frauen*bewegung heute
Entlang dieser kleinen Rückschau werden die großen und kleinen Schritte auf dem langwierigen Weg hin zu den Errungenschaften deutlich, die wir heute nutzen und genießen, aber auch zu behaupten haben. Dass diese keinesfalls selbstverständlich oder gar unumstößlich sind, zeigen die globalen Entwicklungen in Sachen #metoo, die Infragestellung von Menschen- und Selbstbestimmungsrechten seitens populistischer Strömungen und autoritärer Regime weltweit und die nach wie vor zahlreichen Frauen*, die Opfer von Gewalt, Diskriminierung und katastrophalen Arbeitsbedingungen sind.
Dadurch wird auch deutlich, dass es noch immer einer Verbesserung der Lebensumstände und Rechte von Frauen* bedarf. Denn wer sich heute wundert, wo in einer Welt des 21. Jahrhunderts noch Ungleichheiten herrschen, muss nur denen zuhören, die es betrifft. Und dort ist der Ruf nach Brot und nach Rosen laut und deutlich, gerade am 8. März.
Mit dem * sind an dieser Stelle all diejenigen Menschen gemeint, die sich selbst als Frauen bezeichnen, von außen als solche adressiert werden oder sich als FLTBQI* angesprochen fühlen.
Christina Hecht
Zitierempfehlung:
Christina Hecht (2019), Brot und Rosen. Zum internationalen Frauen*kampftag .
URL: www.jmberlin.de/node/6097