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Schwarz-weiß Fotografie von Albert Einstein und einer jungen Frau (Irene Salinger) auf einem Segelboot.

Irene Stern und Albert Einstein auf dem „Tümmler“, Caputh, ca. 1930; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung der Familie Salinger

Caputher Sterne

Die Entdeckung einer Freundschaft

Rund sechs Kilo­meter südlich von Potsdam erbaute Albert Einstein im Jahr 1929 einen Sommer­sitz, in Caputh gelegen und in unmittel­barer Nach­bar­schaft des Hauses der Berliner Familie Stern. Die Ent­deckung einer Freund­schaft.

„Ich bin früher oft mit Einstein segeln gegangen“, erzählte mir die 93-jährige Irene Salinger (geb. Stern) bei einem Besuch 2004 in Kalifornien. Eine Mitteilung, die ich als eine der unerwartet­sten – trotz unzähliger Gespräche mit deutsch-jüdischen Über­lebenden und Emi&shygranten in den letzten 22 Jahren – sicher nie vergessen werde. „Hier sehen Sie uns“, sagte die zierliche, elegante Irene und zeigte mir ein Foto von sich als strahlende 20-Jährige neben dem berühm­testen Mann der Welt an Bord seines Segel­schiffs „Tümmler“. Und so erfuhr ich die wunderbare Geschichte einer nachbar­schaftlichen Freund­schaft im malerischen Caputh, südlich von Potsdam.

Irene Salinger war die älteste Tochter des Regierungs­bau­meisters Adolf Stern und seiner Frau Elsbeth geb. Salomon. In der ersten Hälfte der 1920er-Jahre hatten sich Elsa und Albert Einstein und die Eheleute Stern in Berlin kennen­gelernt und ange­freundet. Im Jahr 1926 bauten die Sterns ein Sommer­haus auf ihrem einige Jahre zuvor erworbenen Grund­stück, an einem sanften Hügel oberhalb des Templiner Sees am Rand des branden­burgischen Ortes Caputh. Sie hofften, dass sich allmählich Verwandte oder vielleicht auch besonders interes­sante Nachbarn neben ihnen ansiedeln würden. Sie mussten nicht allzu lange warten.

Zum 50. Geburtstag des Nobel­preisträgers Einstein, im Jahr 1929, beab­sichtigte der Magistrat der Stadt Berlin ihrem bekann­testen Einwohner einen Sommer­sitz zu schenken. Das Vor­haben geriet allerdings zum öffent­lichen Skandal, da die Stadt sich unfähig zeigte, einen geeig­neten Standort zu finden. Die Diskus­sion zog sich, mitunter begleitet von anti­semitischen Äußerungen, in die Länge. Die verfah­rene Lage führte Adolf Stern dazu, der Stadt Bau­land auf seinem eigenen Grund­stück anzubieten. Vergebens. Als seine Geduld am Ende war, erwarb Einstein das Gelände und baute selbst. Kurz vor Bau­beginn trugen sich der Architekt Konrad Wachs­mann, Albert sowie Elsa Einstein in das Gäste­buch ihrer künf­tigen Nachbarn ein, Albert mit einer witzigen Zeich­nung eines Strich­männchens, das durch ein Tele­skop auf ein Segel­boot schaut. Fünf Monate später war das Haus bezugs­fertig, und zum Einzug schenkten die Sterns den Einsteins ein eigenes Gäste­buch mit der Inschrift: „Dem großen Nach­bar in Ver­ehrung gewidmet vom Hause Stern. Caputh, Sep­tember 1929.“

Foto einer Seite aus dem Gästebuch von Adolf Stern mit Einträgen von Elsa Einstein, Konrad Wachsmann und einer von Albert Einstein gezeichneter Figur, die mit einem Teleskop in die Ferne schaut.

Eintrag aus dem Gäste­buch der Familie Stern; mit freundlicher Geneh­migung von Lynda Salinger und Bonhams Auctioneers

Unter­zeichnet ist das 1932 ent­standene Gedicht mit „Adolf (leider) Stern“.

Drei unbe­schwerte Sommer verbrach­ten die Einsteins neben den Sterns. 1931 kam eine neue Nach­barin dazu, die jüdische Päda­gogin Gertrud Feiertag, die ober­halb der Sterns eine Gründer­zeitvilla erwarb und darin ein Land­schulheim einrichtete.

Die enge Freund­schaft zwischen Einsteins und Sterns ist in vielen Foto­grafien sowie in einigen erhal­tenen Briefen und Texten fest­gehalten, beispiels­weise in einem Gedicht, das der leiden­schaftliche Briefmarken­sammler Adolf Stern einem Brief­öffner beilegte, den er der phila­telistisch gänzlich unbewan­derten Nach­barin schenkte, in „begie­riger Hoff­nung auf wohl­tätige Folgen“ – unzerris­sene Brief­marken der welt­weiten Einstein’schen Korres­pondenz. Unter­zeichnet ist das 1932 ent­standene Gedicht mit „Adolf (leider) Stern“.




Um die gleiche Zeit schrieb Albert Einstein weise Worte an seine Segel­begleiterin, Sterns Tochter Irene, die nun­mehr eine ange­hende Mode­macherin war:




„Jugend, weisst du, dass du nicht die erste Jugend bist, die nach einem Leben voll Schön­heit und Frei­heit lechzte? Jugend, weisst Du, dass all deine Vor­fahren so waren wie du und der Sorge und dem Hass ver­fielen? Weisst du auch, dass deine heis­sen Wünsche nur dann in Erfül­lung gehen können, wenn es dir gelingt, Liebe und Ver­ständnis für Mensch, Tier, Pflanze und Sterne zu erringen, wenn jede Freude deine Freude und jeder Schmerz dein Schmerz sein wird? Oeffne deine Augen, dein Herz und deine Hände und meide das Gift, das deine Ahnen aus der Ge­schichte gierig geso­gen haben. Dann wird die Erde dein Vater­land sein und all dein Schaffen und Wirken wird Segen spenden.“1

Schwarz-weiß Fotografie von zwei mittelalten Männern im Anzug, die vor einem Baum stehen.

Albert Einstein und Adolf Stern auf dem Funda­ment des Einstein’schen Sommer­hauses, Caputh, 1929; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung der Familie Salinger

„So ein richtiges Caputher Stern­chen findet schon seinen Weg durch die Finsternis.“

Die Einsteins verließen Caputh im Dezember 1932 in Richtung USA, wo Albert am California Institute of Technology eine Gast­professur innehatte. Nach Deutsch­land sollten sie nie wieder zurück­kehren. Am 20. März 1933 wurde das Haus in Caputh aufgrund der absur­den Behaup­tung, dort seien Waffen gelagert, durch­sucht und zum Teil beschä­digt. Einsteins geliebtes Segel­boot wurde im Juli konfis­ziert. Das Haus und dazu­gehörige Grund­stück konnte jedoch ab Mai 1933 von Gertrud Feier­tag gemievtet werden, um dem starken Anstieg der Schüler­zahl Rech­nung zu tragen.

Auch für die Familie Stern brachte die poli­tische Lage gravie­rende Ände­rungen. Sowohl Adolf Stern als auch sein Schwieger­sohn Harry Salinger verlo­ren ihre Ämter im öffent­lichen Dienst. Als erstes Mit­glied der Familie verließ Sterns 21-jährige Tochter Inge­borg Deutsch­land und reiste im Juni 1934 zu Verwand­ten der Mutter nach Kalifor­nien. In einem Brief aus Princeton vom März 1935 bringt Albert Einstein seine Freude zum Aus­druck, „dass Sie im fernen Westen nun doch eini­germaßen festen Fuß gefasst haben.“ Und fügt hinzu: „So ein rich­tiges Caputher Stern­chen findet schon seinen Weg durch die Finster­nis.“2 Nach Kali­fornien wander­ten 1936 auch Irene und Harry Salinger aus; Elsbeth Stern folgte im Juni 1938. Adolf Stern blieb in Berlin zurück, wo er ver­suchte, soviel wie mög­lich vom Familien­besitz und -vermögen zu retten.




Im Juli 1935 wurde der Sommer­sitz von Albert Einstein beschlag­nahmt und an das Land Preußen übereignet. 1938 ahnte Einstein, dass noch Schlimmeres bevorstand und setzte sich für eine Aus­wanderung Gertrud Feiertags ein. Sie aber blieb und musste am Morgen des 10. Novembers erleben, wie das Land­schulheim demoliert und seine Bewohner*innen vertrieben wurden. Auch das Haus der Familie Stern wurde überfallen. Etwa drei Monate später konnte das Anwesen verkauft werden, worum sich Adolf Stern bereits ab Mitte 1938 bemüht hatte, natürlich weit unter Wert.

Schwarz-weiß Fotografie von zwei Landhäusern in einer hügeligen Landschaft.

Die Sommer­häuser der Familien Einstein und Stern in Caputh, ca. 1930–1966; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Roman März, Schen­kung von Irene Salinger

„Erinne­rungen sind das einzige Land, aus dem wir nicht vertrie­ben werden können.“

Im fernen Kali­fornien verfasste im März 1939 die Familie Stern/Salinger, sicher­lich mit den jüngsten gewalt­samen Ereig­nissen vor Augen, einen kurzen und bewe­genden Brief an ihren ehema­ligen Nach­barn:

„,Erinne­rungen sind das einzige Land, aus dem wir nicht vertrie­ben werden können.‘ Wir sind froh und dankbar, dass wir so schöne Zeiten erleben durften, in welchen unser Zusammen­leben mit Ihnen, sehr verehrter Herr Professor, und Ihrer lieben Familie in dem herr­lichen Caputh einen Höhe­punkt bildet. In diesen dank­baren Rück­erinne­rungen senden die ‚Caputher Sterne‘ Ihnen noch nach­träglich ihre herz­lichsten Glück­wünsche. Bis auf meinen Mann, der leider immer noch in Deutsch­land [ist], sind wir alle schon hier gelandet, wir hoffen aber, dass er nun auch baldigst nach­kommen kann. Lockt Sie das herrliche Cali­fornien nicht auch wieder zu einem Besuch, worüber wir uns unend­lich freuen würden.




Mit den herz­lichsten Grüssen an Sie und Frau Margot [Einsteins Stieftochter]

Ihre Elsbeth Stern, Reni Salinger, Harry Salinger, Inga Stern-Fodor, Franz Fodor“
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Adolf Stern gelang es kurz vor Kriegs­beginn im August 1939 Deutsch­land zu verlassen, er kam im Oktober in Kali­fornien an. 1944 nannte er in seinem Antrag auf ameri­kanische Staats­bürgerschaft seinen welt­berühmten Nachbarn als Zeugen. Zu einem persönlichen Wieder­sehen kam es aber scheinbar nie. Adolf Stern starb 78-jährig im August 1951, Albert Einstein vier Jahre später im Alter von 76 Jahren. Gertrud Feiertag schaffte es, trotz der Bemü­hungen Albert Einsteins, nicht zu emig­rieren. Sie wurde im Mai 1943 nach Auschwitz depor­tiert und ermordet.




Schon seit vielen Jahren ist der ehe­malige Sommer­sitz Albert Einsteins Ziel von Besucher*innen aus der ganzen Welt. Das 1997 einge­richtete Jugend­hilfezentrum im Haus des früheren Landschul­heims trägt seit 2008 den Namen Gertrud Feiertags, die 2020 postum zur Ehren­bürgerin Capuths ernannt wurde – wie schon Albert Einstein im Jahre 1949. Lediglich zur Familie Stern gibt es in Caputh keinerlei Hinweise. Ihr schönes, bald 100 Jahre altes Haus ist jedoch erhal­ten und bewohnt. Doch niemand wird vor Ort von den Bezie­hungen aller zuei­nander erfahren können.




Umso glück­licher die Fügung, dass diese Nach­barschaft sich in den Samm­lungen des Jüdischen Museums Berlin abbildet. Unser herz­lichster Dank gilt Irene, Thomas und Lynda Salinger für die Stiftung ihrer bedeu­tenden Familien­sammlung.




Aubrey Pomerance




Aubrey Pomerance leitet seit 2001 das Archiv des Jüdischen Museums Berlin und die dortige Dependance des

Archivs des Leo Baeck Instituts New York und der Dependance der Wiener Holocaust Library.





Der Beitrag erschien 2023 in der gedruck­ten Ausgabe des JMB Journals #25.

Schwarz-weißes Bild eines Landhauses mit jungen Leuten, die davor arbeiten und der Bildunterschrift "Jüdische Landschule Caputh. Caputh bei Potsdam".

Herbert Sonnen­feld, Broschüre des Jüdischen Landschul­heims Caputh, ca. 1933; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Roman März, Schen­kung von David Friedman

Zitierempfehlung:

Aubrey Pomerance (2023), Caputher Sterne. Die Entdeckung einer Freundschaft.
URL: www.jmberlin.de/node/10146


  1. Albert Einstein Archive, Hebrew University of Jerusalem, S. 51–870. ↩︎
  2. https://www.shapell.org/manuscript/einstein-jewish-refugees-from-germany-hitler-1935/#transcripts ↩︎
  3. Albert Einstein Archives, Hebrew University of Jerusalem, 30–660. ↩︎

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