
Der Blaue Raum
Kunst- und Begegnungsprojekt
Anfang des Jahres 2017 bot das Jüdische Museum Berlin Künstler*innen und Kunstinteressierten mit und ohne Fluchterfahrung die Möglichkeit, eine gemeinsame Ausstellung zu realisieren. 20 Kunstschaffende aus zwölf verschiedenen Nationen bildeten schließlich den festen Kern des Projekts. Sie arbeiteten in wöchentlichen Treffen an individuellen und gemeinschaftlichen Werken und entwickelten Ideen für ihre Präsentation im Museum. Kochevents und künstlerische Inputs durch externe Kunstschaffende sowie der Besuch verschiedener Ausstellungen in einfachem Deutsch, Englisch und Arabisch ermöglichten ihnen darüber hinaus die Annäherung an ein gemeinsames Thema.
Herzstück der Zusammenkünfte des Künstler*innenteams wurde ein zum Atelier umfunktionierter blaugestrichener Raum im barocken Altbau des Museums. Dieser gab dem Projekt letztlich auch seinen Titel: Die Farbe Blau mit ihren vielfältigen emotionalen, nationalen und politischen Aufladungen löste dabei vielfältige Assoziationen aus.
Das Thema Flucht stellte das Projekt vor zahlreiche Herausforderungen. Einige Teilnehmer*innen versuchten vergeblich, ihren Aufenthaltsstatus abzusichern. Andere waren mit dem anstrengenden Prozess des Ankommens und Sichzurechtfindens in Deutschland beschäftigt oder mussten wegen der strikten Anwesenheitspflicht in Integrationskursen aus dem Projekt aussteigen. Dennoch wollte die Gruppe Flucht- und Traumaerfahrungen explizit nicht in den Fokus ihrer Ausstellung rücken. Wichtiger war für sie, einen gemeinsamen künstlerischen Prozess zu beginnen, Entscheidungen demokratisch zu treffen und miteinander in Dialog zu treten. „Dialog“ war daher auch das Thema der Ausstellung, die sechs Wochen lang im Blauen Raum zu sehen war.
Begleitet wurde das Projekt von Atalya Laufer als Kuratorin, Katja Oelschläger als Mitarbeiterin und Barbara Rösch als Leiterin des Projekts. Sie befragten die beteiligten Künstler*innen nach ihrem Verhältnis zur Idee und Verwirklichung des Projekts und dem eigenen künstlerischen Entwicklungsprozess. Die Antworten sind im Katalog des Blauen Raums nachzulesen, gemeinsam mit den von Sven A. Strecker angefertigten Porträts der Projektteilnehmer*innen, die auf dieser Seite in der Bildergalerie zu sehen sind.
Die Künstler*innen des Blauen Raums

Avital Yomdin, Künstlerin aus Israel, seit sieben Jahren in Berlin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Für mich hat es eine besondere Bedeutung, dass die Ausstellung Der Blaue Raum gerade im Jüdischen Museum Berlin gezeigt wird. Die Museumsbesucher*innen kommen oft mit bestimmten Vorstellungen von Antisemitismus in das Museum. Durch unsere Arbeiten, die sich direkt oder indirekt mit Flucht, Krieg und Rassismus auseinandersetzen, können sie neue Verknüpfungen mit der jüdischen Geschichte in Deutschland erfahren.“

Ayub Shekan, Künstler aus dem Irak, seit 2015 in Berlin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Nach 22 Jahren war es hier in diesem Projekt das erste Mal, dass ich die Möglichkeit fand, wieder mit Pinsel auf Leinwand zu malen! Im Irak verzierte ich als Autolackierer die Karosserien von Autos, hier aber, im Blauen Raum konnte ich über mehrere Wochen in Ruhe an großformatigen Ölgemälden arbeiten – Ölfarben und Leinwand standen immer bereit.“

Birgit Russi, Lehrerin und Übersetzerin aus Lübeck; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Spannend in diesem Zusammenhang ist es, von den Künstler*innen auch etwas über die Kunstszene in Syrien zu erfahren. Durch die persönliche Auseinandersetzung mit hier vertretenen künstlerischen Positionen habe ich ganz neue Einblicke in künstlerische Prozesse bekommen.“

Chuz Lopez Vidal; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
Im Blauen Raum gründeten Chuz Lopez Vidal und Miss Lata ein Künstlerinnen-Duo:
„Wir waren schon gute Freundinnen und dann sind wir uns als Künstlerinnen im Jüdischen Museum Berlin begegnet. Zwischen uns begann ein Künstlerdialog.“

Miss Lata; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
Miss Lata und Chuz Lopez Vidal über ihr künstlerisches Zusammenwirken im Blauen Raum:
„Wir arbeiten in verschiedenen Kunstdisziplinen. Wir haben uns in den Kompetenzbereich der anderen gegenseitig vorgetastet. Unser künstlerischer Blickwinkel hat sich dadurch erweitert.“

Dirk Heider, Gestalter aus Berlin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
Dirk über sein Projekt im Blauen Raum:
„Es hat etwas Flüchtiges. Aber auch etwas Feiges. Zu sehen ist das Gesicht von Fabrice Leggeri – dem CEO der europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex. Mit seiner Arbeit greift er in die Leben von Menschen ein, gefährdet sie, aber er tut das nicht mit offenem Visier, sondern weit entfernt von seinem Schreibtisch in Warschau.“

Hadi Taher, Fotograf aus dem Irak; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Ich fand heraus, dass unsere Gruppe LGBTQI akzeptiert und schätze die Verbindungen zwischen uns, dass jede*r von uns aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen Kulturen kommt.“

Isabel Brosch, Künstlerin, lebt in Berlin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Das Spannendste an diesem Projekt ist, Teil einer Entwicklung zu sein, Teil zu haben. Neben sich selbst und dem Anderen stehen oder gehen zu lernen – in neue, andere Perspektiven. Im konkreten künstlerischen Prozess ebenso wie in der geistigen Auseinandersetzung.“

Janina Schütz, Bildhauerin aus Berlin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Der Blaue Raum im Jüdischen Museum Berlin bedeutet für mich: ein Kokon in einem Kokon. Umgeben von Berlin, umgeben von den Wänden des Museums und seiner Geschichte, gibt er den Teilnehmer*innen des Projektes einen Rahmen des Zusammenkommens. Vieles bleibt unausgesprochen, doch tatsächlich findet in der kurzen Zeit der Treffen ein reger Austausch zwischen Menschen verschiedener Herkunft statt, der ohne die Sicherheit dieses geschaffenen Kokons nicht möglich wäre.“

Mareike Drobny, Künstlerin; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Der Blaue Raum ist für mich mehr ein Zustand, ein Gefühl, was einem Schweben gleich kommt und man doch nicht genau weiß, wo es hin geht. Begegnung und Austausch waren für mich der Anlass, bei dem Projekt mitzumachen.“

Nidal Jalouk, Künstler, Architekt und Musiker; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Der Blaue Raum ist für mich ein blauer Raum. Ein Begegnungs- und Ausstellungsort, in dem ich Schritt für Schritt das Geschehen beobachtete und für mich übersetzte. Ich würde dort künftig gerne mehr arbeiten, denn mir gefallen die Komplexität des Kunst- und Begegnungsprojekts und auch unser Interesse für die Snacks und Süßigkeiten während der Treffen. Doch würde ich versuchen, über Demokratie zu sprechen, abseits von Machtstrukturen und Vorurteilen. Die Künstler*innen aus unserer Gruppe, die mir zu Freund*innen geworden sind, werde ich wieder treffen.“

Norrem, Künstler, im August 2015 aus Syrien geflüchtet; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Die wunderbare Architektur des Gebäudes und das Konzept des Museums boten einen einmaligen Rahmen für die Auseinandersetzung mit dem Thema der emotionalen Dimension von Migration. Das war eine Herausforderung, der ich mich künstlerisch stellen wollte.“

Nouria Khadeeva, lebt in Berlin, geboren in Russland; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Der Blaue Raum bedeutet für mich eine persönliche Wiederbegegnung mit der eigenen Vergangenheit. Mit der Zeit voller Angst und Hoffnungslosigkeit, Verluste und Ausweglosigkeit. Meine persönlichen Erlebnisse versuchte ich im Bild Aquarium der Erinnerungen festzuhalten.“

Orly Goldenberg, Tortendesignerin aus Berlin; Foto: Anja Berkes
„Nach zwei Jahren ehrenamtlicher Arbeit mit Geflüchteten war Der Blaue Raum die perfekte Möglichkeit für mich, meine künstlerische Leidenschaft mit Menschen zu verbinden, die mich mit ihren Erfahrungen als Künstlerin weiterbilden. Kunst war bis zum Projektstart eher ein Hobby für mich, jedoch hat sich das von nun an geändert!“

Persefoni Myrtsou, Künstlerin und PhD-Kandidatin der Europäischen Ethnologie (HU Berlin), lebt und arbeitet in Berlin und Istanbul; Jüdisches Museum Berlin, Foto: Sven Alfred Strecker
„Sicher war dieser Blaue Raum in Berlin für mich auch eine Art Realitätsprüfung. Hier hatte ich die Gelegenheit, Künstler*innen außerhalb der klassisch gesprochen idiosynkratischen, ‚professionellen’ globalen Kunstszene zu treffen – fernab der Institutionen und Netzwerke, der schicken Kleidung und Vitamin B.“

Rais Khalilov, Künstler; Jüdisches Museum Berlin; Foto: Sven Alfred Strecker
„Kreative Atmosphäre, freie Ideen, Kunst pur – das bedeutet Der Blaue Raum im Jüdischen Museum für mich. Es ist ein Begegnungsraum und Kunstlaboratorium, in dem ich nur meine künstlerischen Ideen zu realisieren hatte – fast alle Wünsche an Materialien, Leinwand, Farben, Pinsel wurden erfüllt.“

Sven Alfred Strecker, Fotograf aus Berlin; Foto: Franz Zwerschina
„Zu Beginn war ich sehr interessiert daran, ein Projekt mit anderen Künstler*innen zu realisieren. Allerdings hatte anfangs jede*r ganz eigene Vorstellungen davon, wie und was er oder sie zur Ausstellung beitragen wollte. Also konzentrierte ich mich auf eine ruhige Ecke und ‚komponierte’ einfach für mich selber drauf los. Schön ist nun, dass sich andere Künstlerkolleg* innen für meine Arbeiten zu interessieren scheinen und ich zu anderen Projekten einige meiner fotografischen Arbeiten beitragen darf. Dazu kommt, dass ich das ganze Projekt fotografisch ‚betreue’.“
Ermöglicht durch die Freunde des Jüdischen Museums Berlin.
Informationen zur Ausstellung im Überblick
- Wann 13. Jul bis 27. Aug 2017
- Wo Altbau 1. OG
Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin
Zum Lageplan - Öffentliche Gespräche mit beteiligten Künstler*innen Samstag, 15. 7. 2017 von 13 – 15 Uhr und
Mittwoch, 19. 7. 2017 von 16 – 18 Uhr