Ein Beschwerdebrief von Jakob
Steinhardt
Das Projekt Topographie der Gewalt dokumentiert Zerstörungen von Friedhöfen, Blockaden von Geschäften sowie körperliche Gewalt gegen Personen. In unserem Archiv sind jedoch auch Fälle überliefert, die die Ausübung psychischer Gewalt belegen. Zu nennen wäre hier der Psychoterror, den die Familie Steinhardt durchleben musste, und der von Jakob Steinhardt in einem Brief festgehalten wurde.
Der bekannte expressionistische Maler und Grafiker Jakob Steinhardt wurde im März 1933 Opfer einer willkürlichen Verhaftung durch die SA. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er seit 12 Jahren in seiner Atelier-Wohnung in der Pariser Straße 27 in Berlin-Wilmersdorf, zusammen mit seiner Frau Minni und der gemeinsamen 9-jährigen Tochter Josefa.
Nach seiner Flucht verfasste Steinhardt ein Schreiben, mit dem er sich vermutlich bei den Berliner Polizeibehörden beschweren wollte. Darin schildert er seine Verhaftung und drückt zugleich sein Unverständnis darüber aus „wie es möglich sein kann, dass völlig harmlose und unpolitische Menschen solchen Situationen ausgesetzt werden können“
.
Auslöser seiner Flucht war die Nacht vom 3. auf den 4. März, als um 4 Uhr morgens fünf SA-Männer an seiner Wohnung Sturm klingelten. Als Steinhardt öffnete, erklärten sie ihm, sie hätten Befehl, die Wohnung zu durchsuchen und ihn selbst zu verhaften. Weder ein Durchsuchungs- noch ein Haftbefehl lagen vor.
Steinhardt rief die Polizei, die nach ihrem Eintreffen die SA tatsächlich veranlasste, die Wohnung zu verlassen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten die SA-Männer bereits eine Wohnungsdurchsuchung vorgenommen. Eineinhalb Stunden später standen die SA-Männer abermals vor der Tür, verhafteten Jakob Steinhardt im Beisein eines Beamten der Schutzpolizei und verhörten ihn in einer Privatwohnung. Man warf ihm vor, einen Geheimsender zu betreiben, aber nach einigen Stunden wurde er wieder entlassen.
In der darauffolgenden Nacht erhielt er jedoch einen Anruf und wurde am Telefon bedroht:
„Nun Herr Steinhardt, wie hat es Ihnen gestern gefallen? Wir sind dort nette Leute nicht wahr? Haben sie nun [schon] etwas gemerkt? Es ist Zeit, dass Sie jetzt nach Palästina fahren. Wir werden jetzt öfter zu Ihnen kommen, wir haben ja Ihre Schlüssel und kommen jederzeit rein. Mit dem Portier werden wir fertig [...]“
Durch die psychisch extrem belastende Situation und die Androhung, sich jederzeit Zutritt zur Wohnung verschaffen zu können, erlitt Minni Steinhardt am Folgetag einen Nervenzusammenbruch. Aufgrund ihrer psychischen Verfassung sprach ihr Arzt die Empfehlung aus, die Stadt zu verlassen, woraufhin die Familie am 7. März in den jugoslawischen Kurort Bled aufbrach, wo sie ein paar Tage blieb. Dort verfasste Jakob Steinhardt den oben erwähnten Beschwerdebrief. Es ist jedoch unklar, ob er das Schreiben tatsächlich an die Berliner Polizeibehörden abschickte.
Mitte März gelang es den Steinhardts schließlich, nach Palästina auszureisen, wo sie sich in Jerusalem niederließen.
Sabrina Akermann
Zitierempfehlung:
Sabrina Akermann (2020), Ein Beschwerdebrief von Jakob
Steinhardt.
URL: www.jmberlin.de/node/7411
Online-Projekt: Zeugnisse der Brutalität (7)