Bescheinigung zum Tod von Siegbert Kindermann
Der am 4. Februar 1915 in Berlin geborene Bäckerlehrling Siegbert Kindermann stammte aus einer kinderreichen Familie und wuchs mit 14 Geschwistern auf. Sein Vater war Schildermalermeister von Beruf. Die Familie lebte in der Franseckystraße 5, der heutigen Sredzkistraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
Siegbert Kindermann stand der KPD nah und wurde am 18. März 1933 von SA-Männern verschleppt. Zu diesem Zeitpunkt fungierte die SA bereits als Hilfspolizei.
Gegen 18 Uhr erschien Siegberts Vater Moritz Kindermann auf dem 72. Polizeirevier und meldete, dass sein Sohn vor dem Wohnhaus der Familie von SA-Männern verhaftet und in ihr Sturmlokal in der Schönhauser Allee 159 gebracht worden sei. Laut Polizei wurde das Lokal durchsucht, Siegbert Kindermann jedoch nicht aufgefunden. Nach Angaben von Passanten soll er sofort nach seiner Verhaftung mit einem Motorrad verschleppt worden sein.
Die überlieferten Angaben zum Tathergang sind widersprüchlich, daher lässt sich der Ablauf nicht mehr genau rekonstruieren. Fest steht, dass Siegbert Kindermann in die Hedemannstraße 5 in Kreuzberg gebracht wurde, wo sich eine SA-Kaserne befand, die auch als frühes KZ genutzt wurde. Diese Anschrift findet sich auf einem Dokument zu seinem Tod in den Beständen unseres Archivs.
Auf der Vorderseite des beidseitig bedruckten schmalen Papierstreifens befindet sich eine am 24. März 1933 ausgestellte Todesbescheinigung vom Standesamt, auf der die unmittelbare Todesursache mit „Sprung aus dem Fenster“
angegeben wird.
Auf der Rückseite ist der von einem Kriminalbezirkssekretär am selben Tag angefertigte Beerdigungsschein, auf dem als Sterbeort „Hedemannstraße 5“ angegeben wird. Darüber hinaus ist vermerkt, dass die Erdbestattung sofort erfolgen könne, da keine polizeilichen Bedenken bestünden.
Auf der Suche nach weiteren Informationen wird man in einer Akte aus dem Jahr 1933 im Landesarchiv Berlin fündig. Als Grund für die Verhaftung wird dort angegeben, dass Siegbert Kindermann „Gruppenführer von einer Terror-Gruppe der K.P.D.“
gewesen sein soll, die für mehrere Überfälle auf SA-Männer zwischen 1931 und 1932 verantwortlich gemacht wurde.
Neben Kindermann wurden am selben Tag sechs weitere Personen verhaftet. Als Zeugen wurden ausschließlich SA-Männer befragt. Anhand des beiliegenden Obduktionsberichts wird deutlich, dass der 18-Jährige vor seinem Tod misshandelt wurde. Aus der Akte geht zudem hervor, dass seine Leiche bereits vor dem Eintreffen des Kriminalsekretärs am Tatort von der SA ins Leichenschauhaus geschafft worden war. Folglich konnte der Tatort nur unzureichend untersucht werden. Laut der SA soll Kindermann aus dem Fenster des Toilettenraums im 3. Stock gesprungen sein, wie auch die Todesbescheinigung behauptet.
Sowohl die Behörden als auch die SA vertuschten offenkundig Siegbert Kindermanns Ermordung und stellten seinen Tod als Selbstmord dar. Seine Familie veröffentlichte eine Traueranzeige im Berliner Tageblatt und hielt sich über die Umstände seines Todes bedeckt:
„Am 18. März verstarb infolge eines tragischen Geschickes unser heissgeliebter hoffnungsvoller Sohn und Bruder, der Bäckerlehrling Siegbert Kindermann im eben vollendeten 18. Lebensjahre […] Kondolenzbesuche dankend verbeten.“
Die Beisetzung fand am 26. März 1933 auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee statt.
Sabrina Akermann
Zitierempfehlung:
Sabrina Akermann (2020), Bescheinigung zum Tod von Siegbert Kindermann.
URL: www.jmberlin.de/node/7423
Online-Projekt: Zeugnisse der Brutalität (7)