In der Nacht vom 3. auf den 4. März durchsuchten fünf SA-Männer das Wohnatelier des Malers und Künstlers Jakob Steinhardt (1887–1968) in der Pariser Straße in Berlin, wo Steinhardt mit seiner Ehefrau Minni und der gemeinsamen neunjährigen Tochter Josefa wohnte. Den Ablauf der Geschehnisse schilderte Steinhardt ein paar Tage später in einem Brief, mit dem er sich vermutlich bei den Berliner Polizeibehörden beschwerte. Allerdings hat sich nur der Entwurf dieses Schreibens erhalten, ob Steinhardt es tatsächlich abschickte, wissen wir nicht.
Die Männer besaßen keinen Durchsuchungsbefehl, genauso wenig wie einen Haftbefehl. Dennoch nahmen sie den Maler fest und brachten ihn zum Verhör in eine Privatwohnung. Er wurde beschuldigt, einen Geheimsender zu betreiben. Da sich der Verdacht als haltlos erwies, entließ man ihn nach wenigen Stunden.
In der darauffolgenden Nacht erhielt der Künstler einen anonymen Drohanruf: »Nun Herr Steinhardt, wie hat es Ihnen gestern gefallen? (…) Es ist Zeit, dass Sie jetzt nach Palästina fahren. Wir werden jetzt öfter zu Ihnen kommen, wir haben ja Ihre Schlüssel und kommen jederzeit rein.«
Nach diesem Anruf erlitt Minni Steinhardt einen Nervenzusammenbruch. Auf Anraten des Arztes verließ die Familie am 7. März die Stadt. Nach einem mehrtägigen Aufenthalt im jugoslawischen Kurort Bled, wo Jakob Steinhardt seinen Beschwerdebrief verfasste, gelang ihnen Mitte März die Ausreise nach Palästina. Sie kehrten nie wieder nach Berlin zurück.
Lea Weik
Ich bitte Sie ff. [= folgenden] Vorfall, der sich in der Nacht vom … zugetragen hat, [zur] Kenntnis zu nehmen und Nachforschungen anstellen zu wollen, wie es möglich sein kann, dass völlig machtlose und unpolitische Menschen solchen Situationen ausgesetzt werden können.
Ich bewohne seit 12 Jahren mit meiner Frau und 9jährigen Tochter ein[e] Atelierwohnung in der Pariserstr. No. 27. Ich bin Mitglied des deutschen Künstlerbundes, der berliner Secession und des Wirtschaftsvorstandes bildender Künstler Deutschlands; habe den Krieg in Russland und Macedonien mitgemacht. Ich bin politisch weder interessiert noch tätig, verkehre auch nicht mit Kommunisten noch mit politisch eingestellten Leuten.
In der Nacht vom 3. zum 4.III. wurden um 4 Uhr heftig geklingelt und 5 N.S. standen vor der Wohnungstür, sagten, dass sie vom Innenministerium Befehl hätten, Haussuchung vorzunehmen und zu mich zu verhaften. Da sie weder nähere Gründe angeben konnten, noch einen Haftbefehl vorweisen konnten, alarmierten wir sofort das Überfallkommando. Erst dann liessen wir sie in die Wohnung, wo sie, ohne sich auszuweisen, eine Haussuchung vornahmen. Kurze Zeit darauf erschien das Überfallkommando.
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und nahm ein Protokoll auf. Aber die S.A.-Leute waren wiederum nicht in der Lage die nötigen Vollmachten für meine Verhaftung vorzuweisen. Auf Veranlassung des Überfallkom. mussten sie meine Wohnung verlassen. Um ca. 1/2 6 Uhr läutete es wieder und dieselben S.A. Leute standen mit einem Kripobeamten vor der Wohnungstür. Der Beamte behauptete, dass ich auf seine Uniform hin auch ohne schriftl. Ausweis verpflichtet sei ihm zu folgen und zwar ins Polizeipräsidium Abt. 1a. Es blieb mir also weiter nichts übrig als mitzugehen. Vor der Haustür verabschiedete sich der Kripo.Beamte und ich wurde nun in Begleitung der S.A.-Leute in einem Auto in eine Etagenwohnung gebracht, die sich in der Gegend Luther und Motzstr befand. Hier wurden meine meine Taschen revidiert und gleichzeitig folgende Fragen an mich gerichtet, die darauf hinausliefen, ob ich einen Geheimsender in meiner Wohnung hätte!
Nachdem die Herrn sich sowohl durch die Haussuchung und das Verhör davon überzeugt hatten, dass ich ihr Verdacht völlig unbegründet war, wurde ich entlassen. In der nächsten Nacht (vom 4.-5.) um 1/2 5 Uhr ging läutete das Telefon und eine mir unbekannte Stimme verlangte mich zu sprechen. Als ich mich meldete sagte der Betreffende [unleserlich]:
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»Nun Herr Steinhardt, wie hat es Ihnen gestern gefallen? Wir sind doch ganze nette Leute, nicht wahr. Haben Sie nun schon etwas gemerkt? Es ist Zeit, dass Sie jetzt nach Palästina fahren. Wir werden jetzt öfter zu Ihnen kommen, wir haben ja Ihre Schlüssel und kommen jederzeit rein. Mit dem Portier werden wir fertig, der ist nicht Wild.« Ich antwortete die ganze Zeit nicht ein Wort. Er tat die ganze Zeit über so, als unterhielte er sich mit mir, zum Schluss sagte er dann »er hat abgehängt, wollen wir es genug sein lassen, ich denke nein.«
Meine Frau hat durch diese beiden Nächte am Sonntag einen Nervenzusammenbruch erlitten, sodass ich auf Anraten des Arztes, einen völlig ruhigen Ort aufsuchen musste. Ich bin aus diesem Grund am Dienstag nach Bled in Jugoslawien gereist. Durch die Polizei erfuhr ich am Sonntag d. 5., dass das Überfallkom. Gedächtniskirche bei mir war und dass die Haussuchung und Verhaftung von Sturm 12 Stand[arte] 7 ausging und dass die Namen der S.A.-Leute zu Protokoll genommen worden sind.
Ich bitte Sie nochmals, den Vorfall zu klären und vor allen Dingen den Urheber dieser Verleumdung festzustellen.
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Meine Adresse ist Bled (Jugoslawien), Hotel Toplice
Mit v. H. [vorzüglicher Hochachtung]