Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

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Freitag,
13. Oktober 1933

Postkarte von Hermann Falkenberg an Johanna Meyer

Am Dienstag, den 17. Oktober 1933 sollte in der Synagoge Fasanenstraße 79/80 im Berliner Bezirk Charlottenburg ein kleiner Festakt veranstaltet werden: Die Jüdische Gemeinde erweiterte ihre IV. Volksschule im Nebengebäude der Synagoge um vier Parallelklassen. Sie reagierte damit auf das »Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen« vom April 1933, das den Besuch jüdischer Schüler an öffentlichen Schulen reglementierte und einen regelrechten Ansturm auf die jüdischen Lehranstalten zur Folge hatte.

Ein paar Tage zuvor erreichte die Vortragskünstlerin Johanna Meyer (1874–1958) diese Postkarte, in der sie gebeten wurde, während der Feierlichkeiten einen Psalm vorzutragen. Absender war der Lehrer Hermann Falkenberg (1869–1936), ein engagierter Laie innerhalb der Gemeinde und Gründer der Liberalen Synagoge Norden in der Schönhauser Allee. Die Personen, deren Namen Johanna Meyer am oberen Rand notiert hat, nahmen vermutlich an der Feier teil: der Gemeindevorsitzende Heinrich Stahl, der Gemeinderabbiner der Synagoge Fasanenstraße Julius Galliner sowie die Sängerin Alice Hannes, mit der zusammen die Rezitatorin auch zu anderen Gelegenheiten auftrat. Ihre Notizen lassen zudem vermuten, dass sie mit Falkenberg am Telefon besprach, welchen Psalm sie vortragen sollte, und dass sie sich schließlich für Psalm 8 und 84 entschieden.

Johanna Meyer, geb. Löwensohn, stammte aus einer großbürgerlichen Berliner Kaufmannsfamilie. Sie erhielt eine Ausbildung als Lehrerin, studierte im Anschluss Schauspiel und unterrichtete dann Stimmbildung. Auch nach ihrer Heirat mit dem Kaufmann Eugen Meyer im Jahr 1901 blieb sie weiter berufstätig. Einem größeren Publikum wurde sie in den 1920er Jahren durch Auftritte im Radio bekannt. Mit ihren literarischen Lesungen war sie eine der ersten weiblichen Stimmen im deutschen Radio überhaupt.

1933 nahmen ihre zahlreichen Engagements im öffentlichen Kulturleben ein abruptes Ende. Von nun an durfte sie nur noch im Jüdischen Kulturbund auftreten oder auf Veranstaltungen jüdischer Organisationen. Johanna Meyer entschloss sich zur Emigration und wanderte im Sommer 1938 zu ihren beiden Kindern in die USA aus.

Franziska Bogdanov

Kategorie(n): Berlin | Künstler und Schriftsteller | Religiöses Leben | Schule
Postkarte von Hermann Falkenberg an Johanna Meyer, Berlin, 13. Oktober 1933
Leo Baeck Institute, Johanna Meyer-Lövinson Collection, AR 299
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