Der Anfang vom Ende des deutschen Judentums

1933

< 20. OKTOBER 1933
26. OKTOBER 1933 >

Samstag,
21. Oktober 1933

Widerruf der Einbürgerung von Adalbert Rentschner

»… falls die Einbürgerung nicht als erwünscht anzusehen ist«, könne dieselbe »widerrufen werden«. Mit diesem Wortlaut legitimierte die Reichsregierung in ihrem am 14. Juli 1933 beschlossenen Gesetz »den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit«. Die Nationalsozialisten erfüllten damit ein zentrales Versprechen, das sie bereits im Parteiprogramm von 1920 gegeben hatten.

Das Gesetz richtete sich insbesondere gegen die ihnen in besonderem Maße verhassten Juden, die aus osteuropäischen Ländern in das Deutsche Reich eingewandert waren. In der Durchführungsverordnung konkretisierte der Reichsminister des Innern die rassistische und antisemitische Stoßrichtung des Gesetzestextes. Dort hieß es: »Die Beurteilung, ob eine Einbürgerung als nicht erwünscht anzusehen ist, beurteilt sich nach völkisch-nationalen (und rassischen) Grundsätzen.« Als Personengruppe, die für den Widerruf der Einbürgerung »insbesondere« in Betracht komme, wurden explizit die »Ostjuden« genannt.

Auf Grundlage dieses Gesetzes verfügte der Berliner Polizeipräsident, dass Adalbert Rentschner – 1883 in Czernowitz in der Bukowina geboren und seit fast 30 Jahren in Berlin wohnhaft – seine am 1. März 1924 verliehene preußische Staatsangehörigkeit verlor und damit auch kein Deutscher mehr war. Die Verfügung erstreckte sich ebenfalls auf seine – ursprünglich aus Lemberg stammende – Ehefrau Frania (1892–1942) und auf seinen 1922 in Berlin geborenen Sohn Heinz Leopold. Da das deutsche Staatsbürgerrecht von 1913 auf dem »ius sanguinis« (Blutrecht) basierte, war die Staatsangehörigkeit des Elfjährigen von der seiner Eltern abhängig.

Adalbert Rentschner hatte keine Möglichkeit, gegen die Verfügung Einspruch einzulegen oder juristisch vorzugehen. Die Familie Rentschner galt nunmehr als »staatenlos« und unterstand dem Ausländergesetz.

Jörg Waßmer

Kategorie(n): Berlin | Kaufleute
Schreiben des Polizeipräsidenten Berlin an Adalbert Rentschner, Berlin, 21. Oktober 1933
Schenkung von Katharina Geissler

Kein Ausweg

Adalbert Rentschner zog bereits als Kind mit seinen Eltern von Österreich-Ungarn nach Deutschland, zunächst in die Provinz Pommern und dann nach Berlin. Hier baute er sich eine Existenz als Kaufmann auf, heiratete 1914 und gründete eine Familie. Als die k. u. k. Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges zerfiel, verlor er seine österreichische Staatsangehörigkeit und wurde vorübergehend polnischer Staatsbürger. Von 1924 bis 1933 waren er und seine Familie Preußen und damit – entsprechend Artikel 110 der Weimarer Verfassung – zugleich Deutsche.

1939 als »Staatenloser« unmittelbar von Abschiebung bedroht, bemühte sich Adalbert Rentschner um die Auswanderung seiner Familie und beantragte Visa bei den amerikanischen Behörden. Das Generalkonsulat wies ihnen eine Wartenummer auf der rumänischen Länderquote zu, da Rentschners Geburtsort mittlerweile zum Königreich Rumänien gehörte. Zeitgleich leitete die Familie Schritte zur Emigration nach Schanghai in die Wege. Es gelang jedoch nur dem Sohn, Deutschland zu verlassen. Adalbert und Frania Rentschner wurden am 9. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ausweis für Adalbert Rentschner mit Angabe der preußischen Staatsangehörigkeit, Berlin, 4. April 1924
Schenkung von Katharina Geissler 
IMPRESSUM