23. März bis 15. Juli 2012 Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren
Familie Kemplers Krakauer Café und koschere Konditorei
- Almstadtstr. 15 im März 2012 © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Gelia Eisert
Die Gegend zwischen Berliner Rosa-Luxemburg-Platz und Alter Schönhauser Straße, das historische Scheunenviertel, wird heute oft als »ostjüdisches Schtetl« verklärt.
Im Scheunenviertel waren seit der Jahrhundertwende vor allem mittellose, überwiegend traditionell lebende Juden aus Galizien und Kongresspolen ansässig: Sie gründeten Betstuben, es gab Lesehallen, koschere Geschäfte und jüdische Restaurants. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Gegend für viele osteuropäisch-jüdische Flüchtlinge zu einer wichtigen Anlaufstelle.
Viele Berliner brachten das Viertel mit Armut, Kleinkriminalität und Prostitution in Verbindung. Zur Zeit der Inflation und der Wirtschaftskrise bot das Quartier eine willkommene Projektionsfläche für Ängste vor sozialem Abstieg und Überfremdung. In der antisemitischen Propaganda wurde es als »jüdisches Verbrecherzentrum« diffamiert.
Das Krakauer Café und die koschere Konditorei der Familie Kempler war eines von vielen Geschäften in der Grenadierstraße, der heutigen Almstadtstraße in Berlin-Mitte.
Das Angebot richtete sich an eine deutsch- und jiddischsprachige Kundschaft, was man auf dem Foto an den Anzeigentafeln rechts und links vom Eingang erkennen kann.
Statement der Wissenschaftlerin Anne-Christin Saß
»Von ihrer Heimat abgeschnitten und in Berlin nur geduldet, nutzten viele Migranten die ›Freiheit der Migrationssituation‹ sich neu zu orientieren und weitsichtige Lösungsansätze für die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Probleme des sich formierenden Nachkriegseuropas zu entwickeln.
Die heutige Almstadtstraße, früher Grenadierstraße, im Bezirk Mitte, die bis vor kurzem ein unbeachtetes Dasein am Rande des Hackeschen Marktes fristete. In der Leere und den fehlenden Erinnerungszeichen in der ehemaligen ›Hauptstraße‹ der osteuropäisch-jüdischen Migranten in Berlin verdeutlicht sich für mich am stärksten das gewaltsame Ende dieser Migrationsgeschichte.«
Anne-Christin Saß ist Mitarbeiterin des Projekts »Charlottengrad und Scheunenviertel« an der FU Berlin
Das Ehepaar David und Liebe Kempler verließ 1918 mit ihrer damals vierjährigen Tochter Fanny und ihrem einjährigen Sohn Gusty Wisnicz (Galizien) in Richtung Deutschland. Die Familie wohnte in Berlin in der Grenadierstraße 32. David Kempler betrieb in der Nachbarschaft, im Haus Nr. 20, eine koschere Konditorei und das Krakauer Café.
1933 entschied die Familie in Anbetracht des zunehmenden Antisemitismus' und antijüdischer Maßnahmen, Berlin zu verlassen und nach Palästina zu emigrieren.
- David (1888–1954) und Liebe Kempler (1888–1974) mit ihren fünf Kindern (von links nach rechts): Hillel, Isi, Fanny, Miri und Gusty im Jahr 1926
© Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Hillel Kempler
- Miri Kempler (geb. 1923) an ihrem ersten Schultag 1930 © Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Hillel Kempler
- Miri (geb. 1923) und Hillel Kempler (geb. 1925) 1928 © Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Hillel Kempler
- Hillel Kempler (geb. 1925) an seinem ersten Schultag 1932 © Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Hillel Kempler
- Fanny Kemplers (geb. 1914) Abschlusszeugnis aus dem Jahr 1931 von der Mädchenmittelschule der Jüdischen Gemeinde in der Kaiserstraße 29–30 © Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Hillel Kempler
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